George Loudon Collection im Museum Grimani in Venedig

20. Dez. 2024 in Ausstellungen

A Cabinet of Wonders, George Loudon Collection, Museum Grimani, Venedig, 2024. Foto: Matteo de Fina

Im historischen Palazzo Grimani treffen jetzt Wunderkammer-Objekte des 16. Jahrhunderts auf die außergewöhnliche George Loudon Collection – kontrastreich & inspirierend!

Jahrhundertelang sammelten europäische Fürsten- und Königshäuser exklusive Objekte hoher Handwerkskunst für ihre Wunderkammern. Ob aus Elfenbein, Perlmutt oder seltenem Holz, nur die edelsten Materialien wurden für Schalen, Figuren und Kuriositäten verarbeitet. Jetzt sind in Venedig einige solcher Schätze zusammen mit Objekten des 19. Jahrhunderts aus der George Loudon Collection ausgestellt. Die großteils schulischen oder wissenschaftlichen Anschauungsobjekte sind allerdings teilweise aus Papier oder Wachs – kann solch ein kultureller Zusammenprall verschiedener Materialien gutgehen?

Wunderkabinett, Installationsansicht Museum Grimani. Foto Matteo de Fina

Es kann, und zwar dank einer grandiosen Inszenierung. Denn der französische, in London und Venedig lebende Kurator Thierry Morel konnte für dieses „Wunderkabinett“, so der Titel, das Museum Palazzo Grimani gewinnen: Im Kern aus dem Mittelalter, Mitte des 16. Jahrhunderts erweitert, kaufte und renovierte die Stadt Venedig den Palast in den 1980er Jahren. Nur wenige Fußminuten vom Markusplatz können hier bis heute die historischen Stuckarbeiten, Marmorstatuen und Fresken des 16. Jahrhunderts bewundert werden.

Bis Mai 2025 wird diese historische Reise jetzt im dem „Wunderkabinett“ nahtlos weitergeführt, szenographisch kongenial umgesetzt von Flemming Falessen. Denn Morel lässt die Schau mit Objekten des 16. Jahrhunderts beginnen. Da liegen historische Bücher auf einem mit dunkelgrünem Samt bedecktem Tisch neben einem florentinischen Glas aus vergoldeter Bronze. An der Wand hängt die Tizian zugeschriebene „Magdalena“ von 1565, die ein Privatsammler im Wiener Dorotheum erwarb. Gegenüber steht der prachtvolle Kabinett-Schrank aus Augsburg – eine Leihgabe des Wiener Museums für Angewandte Kunst (MAK).

Leihgaben aus Wien

Mehr als 40 Objekte steuert das MAK bei, darunter die zierlichen Elfenbeinobjekte, die im 17. Jahrhundert keine andere Funktion erfüllten als mit grandiosem Handwerk zu erfreuen. In einer radikalen Hängung in einer raumhohen Vitrine treffen im dritten Raum die Pokale aus seltenen Steinen des MAK auf Leihgaben venezianischer Museen wie Büsten, frühe  Muranogläser oder der Kerzenständer mit Korallen. Hinter diesen detailreichen Objekten ließ Morel einen vergrößerten schwarz-weiß-Druck einer imaginären Wunderkammer aus dem 17. Jahrhundert affichieren. Zum Schutz der Objekte ist davor ein Hühnerstall-Draht gespannt – welch ein herrlich-frecher Kontrast!

George Loudon Collection, 3 japanische Globen. Museum Grimani, Venedig 2024Von Globen bis Tieren – die Welt der George Loudon Collection

Dazwischen mischt Morel wenig Zeitgenössisches wie ein Blumenbouguet – gefertigt aus Papier? Nein, aus Hühnerknochen! Mit japanischen Globen von 1810 beginnt dann die George Loudon Sammlung. In den 1980er Jahren hatte der 1942 geborene Brite Werke junger Künstler gekauft, von den Jungen Wilden in Berlin oder der aufblühenden Londoner Szene rund um Damien Hirst, aber auch Anish Kapoor oder Bill Woodrow. Nach 25 Jahren hatte er 700 Werke von 50 Künstlern – und verlor das Interesse. Kunst sei Anfang der 2000er Jahre immer mehr zum Investment und „zu einer Cocktail-Party“ geworden, wie er in Venedig beim Rundgang erklärt.

Damals habe er wissenschaftliche Bücher gelesen und sei von den Illustrationen fasziniert gewesen – womit seine neue Leidenschaft begann: das Entdecken der Schönheit in Objekten, die zur Veranschaulichung dienen. Seither erweitert er seine Sammlung bei Händlern, leider immer seltener bei Auktionen – diese Schätze seien oft nicht hochpreisig genug für die Häuser, beobachtet er.

Pomegranates, didactic models made by Francesco Garnier Valletti (attributed), late 19th century, wax, pigments. London. George Loudon Collection

Objekte mit einem Twist

Was genau aber sucht er? Zu sehr Restauriertes interessiere ihn nicht, das wäre was für Dekorationszwecke, betont er. Er will Objekte mit einem Twist wie das Skelett eines Fuß´, dem humorvolle Studenten die Zehnnägel schwarz anmalten. Oder die gruselige Serie der 22 Fötus-Köpfe aus dem späten 19. Jahrhundert, deren Zweck heute kaum bekannt ist. Manche der Anatomie-Objekte erinnern an die dunklen Biologiesäle früherer Schule; ein Totenkopf ist akribisch nummeriert, um es nach dem Zerlegen in seine Einzelteile wieder zusammenfügen zu können. Großartig sind die handbemalten Früchte aus Wachs des späten 19. Jahrhunderts, die bewusst mit fehlerhaften Stellen ausgestattet sind, wohl als Lehrmaterial für eine Schule in Norditalien – die genaue Herkunft verriet ihm der Händler nicht. „Ästhetisch müssen die Werke sein“, betont er, wie die teils aus Samt gebastelten Pilze oder die Blumen aus Wachs. Denn er lebe mit den Dingen.

Das Museum der Zukunft

Der letzte Raum steht unter dem Thema der „zoologischen Progression“, hier sind Meereswesen auf einem großen Tisch angeordnet, darunter die grandiosen Schnecken aus Glas des böhmischen Duos Leopold und Rudolf Blaschka. Oder die Naturdrucke von Schmetterlingen, die in einer Wiener Technik mit Kupferplatten entstanden, wie Loudon erklärt. Am Ende faszinieren die bizarren, wie Blumen angeordneten Mineralien. Er besuche oft die Depots von Museen, erzählt Loudon nebenbei, die er als „Museen der Zukunft“ sieht – denn dort würden die Schätze schlummern, die Handwerk und Kunst wieder vereinen können.

veröffentlicht in: Die Presse, 15.12.2024
Museo di Palazzo Grimani, Venedig, bis 11.Mai 2025