Am 3. Juni eröffnete die Heidi Horten Collection in Wien, 9 Tage nach der Vollendung ihres Privatmuseums verstarb die Sammlerin.
Senkrecht durch das Haus zieht sich das über sechs Meter hohe Blasinstrument „Vibrosauria“. Unten sitzt Constantin Luser an seiner Klangskulptur und lässt laute Töne durch die Räume klingen. Der Auftritt des Wiener Künstlers ist der Höhepunkt der Eröffnungsfeier der Heide Horten Collection, Wiens erstem Privatmuseum. Nach nur 30 Monaten ist die Umwandlung eines Gründerzeithauses in eine moderne Architektur jetzt abgeschlossen. Inmitten eines Hinterhofs, aber ganz prominent wenige Schritte von der Albertina und der Staatsoper entfernt, hat hier die Sammlung der 81jährigen Milliardärin Heidi Horten ein permanentes Domizil gefunden.
Ob damit endlich Ruhe einkehren wird? Seit Jahren schon begleitet ein massiver Vorwurf die Sammlung: der Beginn hänge eng mit Arisierungen zusammen. 1966 heiratete die 1941 als Heidi Jelinek geborene Österreicherin den 32 Jahre älteren, deutschen Kaufhauskönig Helmut Horten. Das Erbe des 1909 in Bonn geborenen, 1987 in der Schweiz verstorbenen Unternehmers bildet den Grundstock von Heide Goëss-Hortens heutigem Besitz – den sie seither nicht nur bewahrt, sondern durch weitere Ehen und unternehmerisches Geschick deutlich vermehren konnte. Im Februar 2018 galt sie laut Forbes mit rund 3 Milliarden Dollar als reichste Österreicherin. Trotzdem ist es immer wieder der Beginn, der sich als Schatten über ihre Aktivitäten legt. Darum entstand im Auftrag der Horten Stiftung ein Gutachten, für das Peter Hoeres von der Universität Würzburg das frühere Kaufhaus-Unternehmen auf 200 Seiten recherchierte. Wieso etwa konnte ein 27jähriger 1936 ein großes Kaufhaus übernehmen? Tatsächlich war der ehemalige Verkäufer damals zunächst nur Geschäftsführer mit lediglich 16,7 Prozent der neugegründeten Helmut Horten KG. Bald suchte er gezielt nach Einzelhandelsunternehmen jüdischer Besitzer, habe dabei aber „keine Notsituation“ herbeigeführt oder verschärft, wie Hoeres und Co-Autor Maximilian Kutzner in der FAZ im Januar schrieben.
Ihr Fazit: Horten profitierte bei den Käufen jüdischer Firmen unübersehbar von der Situation der vertriebenen Eigentümer, zahlte Anfangs für die Übernahmen in Duisburg und Wattenscheid „durchaus marktübliche Preise“ und befriedigte auch spätere Wiedergutmachungsansprüche. Die Studie attestiert Horten eine „vergleichsweise faire“ Handlung und spricht von der unterkomplexen Zuschreibung des ´Ariseurs´“. Nach der NS-Zeit konnte Horten durch die Kriegsverluste „nur auf stark reduzierte“ Vermögenswerte zurückgreifen. „Die Annahme, dass der Grundstock von Hortens Vermögen aus der NS-Zeit stamme, ist nur einschränkend zutreffen.“ Damit ist der Makel wenn nicht für alle Zeiten entfernt, so doch entschärft. Bleibt noch ein zweiter Vorwurf, der oft auftaucht: Es handele sich um eine „Trophäensammlung“.
Denn mit Werken deutscher Expressionisten, die sie noch zusammen mit Helmut Horten erwarb, später meist auf Auktionen erstandenen Bildern von Klee, Miro, Picasso, Mark Rothko, Cy Twombly bis zu Damien Hirst sind darin viele Blue Chips vertreten. Mehr als 700 Werke umfasst die Sammlung, die bisher Hortens Privatdomizile am Wörthersee, in Kitzbühel, London, New York und Bahamas zierten – sie lebe mit der Kunst, betonte sie in einem der wenigen Interviews einmal. 2018 zeigte sie erstmals 175 Werke öffentlich. Die mit „Wow“ betitelte Schau im Wiener Leopold Museum brach nicht nur alle Besucherrekorde des Hauses. Damals entschied sich die öffentlichkeitsscheue Sammlerin auch für eine dauerhafte Aufstellung – die jetzt im neuen Haus überraschend ausfällt: kontrastreich, jung und durch österreichisch!
Direktorin – und seit 1990 Beraterin der Heidi Horten Collection – Agnes Husslein entschied sich zur Eröffnung bewusst für eine sehr reduzierte Auswahl, um erst einmal die Architektur wirken zu lassen. Zu sehen sind dabei kaum ´Trophäen´! Auf den 1500 Quadratmetern der drei Ausstellungsebenen in dem entkernten Haus treffen Lucio Fontana auf John Armleder Leuchtstoffkreise „Target“, eine frühe Robert Rauschenberg-Skulptur auf eine rote Neonarbeit von Brigitte Kowanz. Für den „Tea Room“ schuf Markus Schinwald Sitzmöbel und eine textilbespannte Vitrinenwand mit gläsernen Bullaugen. Dahinter sind Preziosen ausgestellt, kleine Tischskulpturen von Franz Hagenauer und Silberware – Objekte, die auch zur Sammlung gehören. Unter der Decke hängen Hans Kupelwiesers an barocke Formen erinnernde, samtig rote, aber mithilfe eines Baggers deformierte Alutafeln. Auch die feine Balance zwischen großen Namen und jungen Künstlerinnen wie Lena Henke lassen den Trophäen-Vorwurf verblassen. Manche mögen von Henkes plakativer, lila farbigen Sau mit dem Titel „UR-Mutter“ irritiert sein, aber es zeigt deutlich, dass hier persönliche Aspekte wirken: Heide Hortens große Liebe zu Tieren. Darum spricht Husslein wohl auch nicht von einem Museum, sondern nennt es ein „Panoptikum mit musealem Charakter“ – was die im Oktober kommende Ausstellung noch unterstreichen wird: „Look“ wird Hortens Haute Couture-Kleidung in einen Dialog mit den Frauenbildnissen ihrer Sammlung setzen. Und vielleicht werden auch einmal Hortens eigene Bilder dazu gemischt.
veröffentlicht in: WELT, 13.6.2022