Heile Welt im Angebot der Wiener Auktionshäuser Dorotheum, Im Kinsky, Westlicht

16. Jun. 2015 in Kunstmarkt

Jan Van Kessel der Ältere, Blumenkartusche mit Christuskind, 1658

Dinge unseres Alltags waren lange nicht abbildungswürdig. Noch im Mittelalter war das irdische Dasein nur eine Durchgangsstation auf dem Weg zum ewigen Leben, die Kunst konzentrierte sich auf religiöse Gehalte. Das hat sich seither radikal verändert.

Felice Casorati, erzielte im Dorotheum 25.000,- Euro

Parallel zum Entdeckerdrang im 15. Jahrhundert fügten Künstler bald detailgenaue Naturstudien in ihre Bilder ein. Leblose Objekte als ausschließliches Bildthema sind erstmals um 1600 nachzuweisen. Mit der Zentralperspektive wird dann die für Stillleben so kennzeichnende, brillante Wiedergabe von Früchten, Blumen oder Fischen möglich. Auch hatten Künstler nicht mehr den Status eines Handwerkers, waren nicht mehr in Gilden organisiert und konnten erstmals einen eigenen Kunstmarkt ausbilden – ohne den Spezialisierungen wie die Stillleben nicht möglich gewesen wären.

Jan Brueghel der Jüngere, verkauft Im Kinsky für 2.6 Mio. Euro

Den Höhepunkt erreichte dieses Genre in den Niederlanden im 17. Jahrhundert. Damals begnügten sich die Maler aber nicht mit täuschend echten Darstellungen. Sie wiesen den Dingen moralische Deutungen zu, als Mahnung an die Vergänglichkeit, auch als Bild für utopische Zustände der Welt, also das Paradies. Exotische Blumen und Früchte deuten auf Reichtum und Luxus, Raupen und Schmetterlinge verkörpern die Verwandlungen, Gräser und Ähren erinnern daran, dass die Natur die Menschen ernährt. Ein Meister dieser Gattung war Jan Brueghel der Ältere (1568-1625), der auch „Blumenbrueghel“ genannt wurde. Ihm können nur rund 40 Bilder zweifelsfrei zugeordnet werden. Sein Sohn Jan Brueghel der Jüngere (1601-1678) übernahm die Werkstatt und setzte die Tradition der Blumen-Stillleben auf höchstem Niveau fort. Im Kinsky wird am 16. Juni in der 107. Auktion eines seiner besonders prächtigen Werke versteigert: Im „Blumenstrauß in skulptierter Vase“ (um 1630; Schätzpreis 500.000-1.000.000,-; verkauft für 2.6 Mio. Euro) kommen über 50 Blumen zusammen, die so niemals zur selben Zeit hätten blühen können – ein Paradies.

Marc Chagall, Im Kinsky, Meistgebot 300.000,- Euro

Das Interesse an solchen Blumenarrangements endete mit dem 17. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert beginnt dann eine neue Mode, die nicht mehr die einzelnen Blüten, sondern das Licht, die Atmosphäre und später eine besondere Sichtweise der Realität in den Blick rückt. Ebenfalls im Kinsky wird Marc Chagalls „Les Amoureux au Bouquet“ (1978) versteigert (250-500.000,-). In der linken Ecke ist ein Liebespaar zu erkennen, das Bild ist Ausdruck von Chagalls Glauben an die romantische Liebe.

Oskar Kokoschka, Dorotheum, Verkaufspreis 93.047,- Euro

Wie anders dagegen zeigt uns Oskar Kokoschka Rosen und Iris: Expressiv angelegt, scheinen die Blütenstiele aus dem unbestimmten Raum in die Leere zu wachsen. Das Aquarell wird am 9. Juni zum Schätzpreis von 60-70.000 im Dorotheum versteigert, zusammen mit Carl Moll „St. Michael in Heiligenstadt mit Blumenstillleben“ (um 1930; 90-160.000,-). Die Detailgenauigkeit der Blüten ist bei ihm dem Interesse an malerischen Flächen gewichen, moralische Deutungen sind ersatzlos gestrichen.

Carl Moll, verkauft im Dorotheum für 93.047,- Euro

Ähnlich wie die Darstellung von Blumen verändert sich auch das Menschenbild in der Kunst der letzten Jahrhunderte. Die Künstler der niederländischen Portraitmalerei des 17. Jahrhundert legten großen Wert auf die künstlerische Ausarbeitung individueller Menschen, denen sie Objekte zuordneten, die Rang und Beruf kennzeichneten. Ebenfalls in der Klassische Moderne-Auktion des Dorotheums wird Alfons Waldes „Bauernsonntag“ (250-300.000,-) angeboten.

Alfons Walde, Bauernsonntag

Walde portraitiert die beiden Männer nicht, sondern lässt sie in grob angelegter Malerei und auch farblich eins werden mit der Natur. Er malt ein Lebensgefühl: eine heile Welt.

Anfang des 20. Jahrhunderts interessierten sich die Maler weder bei Blumen- noch bei Menschendarstellungen für die Details und auch nicht für die Wirklichkeit. Denn diesen Fokus hatte schon längst die Fotografie übernommen. Wie sehr das Bild von Menschen nicht in inszenierten Posen, sondern vor allem in dokumentarischen Situationen gesucht wurde, zeigt ein Blick in den Photographica-Auktionskatalog vom Westlicht (12.Juni).

Henri Cartier-Bresson, Gare St. Lazare, 1932, im Westlicht versteigert für 31.200,-

Im überwiegenden Teil der 326 Lose sind Menschen in trivialen Situationen, oft in tristen Verhältnissen abgelichtet, bei der Arbeit, im Krieg.

Dimitri Ermakov, Persisches Mädchen, ca. 1880, Westllicht für 1400,- Euro

Manche dokumentieren Exotisches wie Dimitri Ermakovs „Persisches Mädchen“ (c. 1880s, 400-1600,-), andere halten einen bedeutenden Moment fest wie Oskar Barnacks „Mobilmachung 1. Weltkrieg“ (1914, 2-2400,-) oder portraitieren Künstler wie Andre Villers Aufnahme von Picasso: Im Atelier stehend, schaut der Maler seinen sitzenden Galeristen Daniel-Henry Kahnweiler an – ein seltener Moment, wo Picasso nicht kokett und selbstbewusst, sondern voller gespannter Erwartung ist (1400-1600,-).

Andre Villers, 1955, Verkaufspreis 960,- Euro

Der Schwerpunkt der Auktion liegt auf Fotografien aus der Sowjetunion. Die 148 Lose stammen aus der Galerie Howard Schickler Fine Art, New York, die auf russische und europäische Avantgarde-Fotografie spezialisiert ist.

Anonym, Lenin 1918, Verkaufspreis 19.200,- Euro

Da sieht man politisch bedeutende Momente wie Lenin, der 1918 während der Feiern zum ersten Jahrestag der Oktoberrevolution vor einer überschaubaren Menge eine Rede hält (Anonymer Fotograf, 2-2400,-), oder Georgi Zelmas berührende Aufnahme „Gefangene. Stalingrad, Februar 1943“ (2-2400,-).

Georgie Zelma, Gefangene, Stalingrad, Februar 1943, unverkauft

Sechszehn Lose sind dem russischen Meister des Konstruktivismus, Alexander Rodtschenko, zugeordnet. In seinen dynamischen Portraits, vor allem aber in seiner Straßenfotografie mit extremen Blickwinkeln – typisch ist seine gen Himmel gerichtete Kamera – entwickelte er eine ´moderne´ Bildästhetik. Zeitweise war der Konstruktivismus nicht nur eine Stilrichtung, sondern auch eine politische Bewegung, und Rodtschenko einer der wichtigsten Protagonisten, der mit seinem Werk die Machtverhältnisse in Frage stellte und darüber zur Veränderung der Gesellschaft beitragen wollte.

Alexander Rodtschenko, Zirkusakrobaten, Moskau 1937, unverkauft

Nicht die heile Welt wie bei Alfons Walde, sondern ein neues Alltagsleben suchte er. Beide Bildwelten sind faszinierende Kunst – und wie die prächtigen Blumensträuße Brueghels unrealistische Utopien.

veröffentlicht in: Die Presse, 7.6.2015 + nachträglich hinzugefügten Verkaufsergebnisse