Hexen in Innsbruck

01. Jul. 2021 in Ausstellungen

HEXEN, Angela Anderson & Ana Hoffner ex-Prvulovic*, Hexenküche (The witch rarely appears in the history of the proletariat) (Film Still), 2021. Taxispalais Innsbruck

HEXEN, Angela Anderson & Ana Hoffner ex-Prvulovic*, Hexenküche (The witch rarely appears in the history of the proletariat) (Film Still), 2021. Taxispalais Innsbruck

Nahezu jede Kultur kennt sie, die Zwischenwesen, die zaubern können. Bei uns heißen sie Hexen: Menschen, meist Frauen, die heilen und helfen. Selbstbewusste, machtvolle und manchmal auch mysteriöse Frauen. Im späten Mittelalter allerdings endet ihre Zeit. Eine schwere Wirtschaftskrise trifft die Länder Europas. Man sucht Schuldige – und damit beginnt die Hexenverfolgung. Sie werden gefoltert, verbrannt, ertränkt. Trotz der barbarischen Inquisition hat sich bis heute ein diffuses Wissen über Hexen gehalten, tradiert in Erzählungen, Bräuchen und in Worten, wenn auch nur in Beschimpfungen.
Dabei hat es Hexen nie gegeben. Es ist eine Konstruktion, die in einer Zeit radikaler gesellschaftlicher Umbrüche dazu diente, andere Formen von Sexualität und Wissen zu unterbinden und das Machtmonopol der Kirche auf Seelenheil zu sichern. Und genau darin werden Hexen heute wieder aktuell. Im Innsbrucker Taxispalais wagt sich jetzt eine Ausstellung an das Thema. Es ist keine historische Aufarbeitung. Es geht um verdrängte Geschichten, andere Seinsweisen, Enttabuisierungen. Um eine Neubesetzung. Denn Direktorin Nina Tabassomi sieht in dem Thema eine Möglichkeit, die gerade allseits präsente Frage nach unserer Zukunft neu zu stellen: Können Hexen als Projektionsfläche für eine andere Formen von Gemeinschaft dienen – eine auf Helfen basierende Gemeinschaft? Könnte man Hexen vielleicht sogar im Sinne von europäischem, indigenen Wissen interpretieren? Wofür stehen Hexen heute?

Esther Strauß Opa, 2015 Performance-Fotografie Pigmentdruck, gerahmt 167 x 111 cm Courtesy die Künstlerin Foto: Günter Kresser. Taxispalais Innsbruck

Esther Strauß, Opa, 2015. Performance-Fotografie, Courtesy die Künstlerin. Foto: Günter Kresser. Taxispalais Innsbruck

Sie werden es schon ahnen: In dieser Ausstellung sind keine Hexendarstellungen zu sehen, keine Klischees oder historischen Darstellungen. Die acht Werke der vier Künstlerinnen plus einem Künstler wollen auch keine Antworten geben, sondern Perspektivwechsel vorschlagen. Das beginnt mit dem blauen Thron von Neda Saeedi, der sich auf Ezekiels Prophezeiung des Monotheismus bezieht – eine der Wurzeln der Inquisition. Das Podest des Throns wird von Plastik-Pflanzen getragen, die schon längst ausgestorben sind. Statt zu wurzeln, stecken die Formen in den Bürstenköpfen von Flächenreinigern – ein brachiales Bild für die Inquisition, das auf heutige Strukturen übertragen ist. Die Form des Throns entspricht übrigens den Sesseln im EU-Parlament – wer hat heute die Macht? Während diese Installation eigens für die Ausstellung entstand, ist Esther Strauß´ Fotografie „Opa“ von 2015: Die Künstlerin steht mit traurigem Blick nackt und lebensgroß vor uns. Füße, Hände und Gesicht sind mit Erde eingerieben – Erde vom Grab ihres Großvaters. Es ist ein eindringliches Bild, dem wir nicht ausweichen können, und stellt als alternatives Erinnerungsritual Fragen: Wie gehen wir mit Toten, mit dem Tod um, was ist erlaubt, wo ist die Grenze? Joachim Köster dagegen lässt in seinem Film einen Tänzer Bewegungen üben, von denen Carlos Castaneda in seinen spirituellen, von Drogen beeinflussten Erzählungen in den 1970er Jahren berichtet – ein Versuch, mit anderen Daseinsformen Kontakt aufzunehmen. Krass der Kontrast dann zu dem grandiosen Film von Pauline Curnier, in dem in kurzen Szenen von sieben älteren Frauen Menstruation, Menopause, Sexualität und spirituelle Gemeinsamkeit zu einer heftigen Bildfolge verwoben werden. Am Ende sehen wir die Frauen in Einzelzellen im Gefängnis. Statt Demut und Reue zu zeigen tänzeln sie, masturbieren lustvoll und kommunizieren durch die Wände.

Pauline Curnier Jardin Qu'un sang impur (Film Still), 2019 HD-Video 16:05 Min. Courtesy die Künstlerin und Ellen de Bruijne Projects, Amsterdam Foto: William Minke

Pauline Curnier Jardin, Qu’un sang impur (Film Still), 2019. HD-Video, 16:05 Min. Courtesy die Künstlerin und Ellen de Bruijne Projects, Amsterdam. Foto: William Minke

Tod, Rituale, Spiritualität, aber auch Feminismus und sogar Lokalbezug durchziehen diese enorm intensive Ausstellung. Bewusst nicht am Anfang, sondern am Ende sehen wir Auszüge aus der historischen Vernichtungsfibel „Der Hexenhammer“, die 1468 zu Beginn der Hexenverfolgung als Anleitung publiziert wurde. Autor ist der deutsche Dominikaner und Inquisitor Heinrich Kramer, der 1485 beim Prozess im Goldenen Dachl in der damaligen Diözese Brixen mit seiner Hexenanklage scheiterte – ein Kapitel der Landesgeschichte, an das nirgendwo erinnert wird. Die Auszüge gehören zur Installation von Angela Anderson & Ana Hoffner „Hexenküche“, die Parallelen zu damals mit heutigen Fragen nach dem Recht auf Abtreibung, von feministischen Aufständen in Tirol bis zur Ausbeutung von Erntehelfern ziehen – Entmachtung ist der rote Faden. Hexen, das wird hier in komprimierter Form deutlich, ist ein weitreichendes, auch politisch im Sinne von Ungleichheitsstrukturen interpretierbares Thema. Während in Frankreich die Hexen als Symbol weiblicher Selbstermächtigung dienen, in den USA als Symbol der freien Frau, geht diese Ausstellung weiter und schlägt ein Nachdenken von Hexen als alternatives Lebensmodelle vor. „Verhext“ könnte dann vielleicht nicht mehr ein Nicht-Gelingen bezeichnen, sondern ein erfolgreiches Zustandekommen. Als nächste Ausstellung ist übrigens „Göttinnen“ geplant.

Neda Saeedi, Ezekiel dreams beyond repair, 2021. Multimedia-Installation In Auftrag gegeben von TAXISPALAIS Kunsthalle Tirol für HEXEN. Courtesy die Künstlerin Foto: Günter Kresser

Neda Saeedi, Ezekiel dreams beyond repair, 2021. Multimedia-Installation In Auftrag gegeben von TAXISPALAIS Kunsthalle Tirol für HEXEN. Courtesy die Künstlerin. Foto: Günter Kresser

Hexen, Taxipalais Kunsthalle Tirol, Innsbruck. 26.6.-3.10.2021
Veröffentlicht in: Die Presse, 29.6.2021