Magnetbänder flattern im Wind, einige Schritte weiter krault eine Frau im Video durchs Wasser, daneben ist ein Foto- und Tonarchiv von 52 isländischen Wasserfällen. Noch ahnen wir nicht, dass Wasser bald weit mehr als nur ein Bild wird, nämlich eine physische Erfahrung. Denn schon der nächste Ausstellungsraum ist mit Wasser geflutet (Stefan Banz). Ein schmaler Steg ermöglicht es, trockenen Fußes den Weg fortzusetzen. Wir sind auf dem Parcours von „Höhenrausch“ im OÖ Kulturquartier (früher OK Centrum Linz). Vorbei geht es an einer riesigen Luftblase, die aus dem Fenster hinauszudrängen scheint.
Dann verlassen wir das Haus und gelangen auf das Dach der angrenzenden Parkgarage. Dichter Trockennebel umhüllt uns, der aus 600 Düsen geblasen wird (Fujiko Nakaya). Insgesamt 1.6 km lang ist der Weg, der jetzt über die Dächern von Linz führt, eine enorme Brückenkonstruktion hinauf in den 80 Meter hohen Kirchturm der Ursulinenkirche, auf das Dach des Passage City Centers, im zweiten Teil dann durch die Räume des OÖ Kulturquartier hinunter, am Kräutergarten in luftiger Höhe vorbei, durch den dunklen Dachboden des Ursulinenhofs, bis wir auf die Landstrasse treten.
Einige Wege stammen noch vom ersten „Höhenrausch“ 2009, der zentralen Ausstellung im Kulturhauptstadt-Programm „Linz09“. Der ungeheure Erfolg dieses Ausflugs über die Dächer von Linz motivierte den Direktor des OK, Martin Sturm, das Format im Zweijahresrhythmus weiterzuführen. Nicht nur fängt der Parcours diesmal bereits im Haus an und ist die Zahl der Kunstprojekte auf 46 erhöht. Auch der spektakuläre Weg in den Kirchturm ist ebenso beeindruckend wie plausibel. Denn dieses Jahr steht der „Höhenrausch“ unter den Themen Wasser, Wolken, Wind. Innen im OK kreisen mehrere Installationen um diese Elemente, etwa Pipilotti Rists zauberhafte Maschine, die mit Rauch gefüllte Seifenblasen erzeugt. Im „Blauen Kabinett“ sind 21 Videos, Fotografien und Objekte versammelt, darunter Shilpa Guptas Wolke aus Holz, die die Leichtigkeit und Flüchtigkeit des Himmelelements in ein irdisches Gegenteil verkehrt. Im Außenraum dann Wolfgang Dorningers Windmaschine oben im Kirchturm, die der Zugluft das passende Geräusch hinzufügt.
Und der spielerische Höhepunkt, Jeppe Heins „Hexagonaler Wasser Pavillon“ auf dem Parkdeck: Wassersäulen, die unerwartet aufsteigen, zu Wänden werden und uns darin kurz und folgenreich einschließen – eine nasse Herausforderung nicht nur für Kinder.
Aber der Parcours hält auch Wissenswertes bereit. Im begehbaren UFO von Hans Kropshofer erfahren wir, dass Linz 1650 Hektar Wald im Stadtgebiet zu bieten hat und die Donau auf 16,2 Meter Länge durch die Stadt fließt. Einige Schritte weiter sind Solarmodule angebracht. Noch sind einige Plätze frei für weitere Paneele. Denn diese Konstruktion erzeugt nicht nur Strom, sondern zeigt uns auch die Menge der bisherigen Ausstellungsbesucher an. Anfangs waren 21 Stück installiert. Pro 1200 Besucher kommt seit der Eröffnung je ein neues Modul dazu. Am Ende sollen es 84 Paneele werden, die einen Jahresstromertrag von 18.500 Kwh erzeugen. Dafür sind 100.000 Besucher notwendig. Nach nur vier Wochen sind es bereits 36.000 Besucher – das Ziel scheint locker erreicht zu werden. Allein am Pfingstmontag kamen 2800 Menschen.
Der enorme Erfolg dieser Ausstellung beruht darauf, dass hier Kunst zum Erlebnis wird – und dies nicht nur spektakelhaft, sondern nachhaltig. Der Weg in die Höhe, der Blick über die Dächer, die waghalsige Steg-Konstruktion, das spielerische Interagieren mit Wasser – all das zusammen erzeugt aufregende Situationen, die für die Thematik sensibilisieren. Wirklichkeit wird modellhaft inszeniert, künstlerisch umgedeutet und sachlich vorgeführt. Besonders bei Kindern kann man beobachten, dass durch diese Mischung das Interesse an den konventionell ausgestellten Werken im Haus enorm steigt. Wolke und Wasser, das sind jetzt nicht mehr nur Begriffe oder beliebige Bilder, sondern erlebte Phänomene. Erlebnisse sind verinnerlichte Momente und gerade in dem „Blauen Kabinett“ lässt dieser Zugang die emotionale Distanz zu den Werken überwinden. So schafft es diese Ausstellung, dass Wasser, Wolke und Wind zugleich als Konstruktion und Wirklichkeit, als Bild, Wissen und Funktion erlebt werden – und dies bis spät in die Nacht hinein, mit Bar und Liegestühlen auf dem obersten Parkdeck.
veröffentlicht in: Die Presse, 17.06.2011
Höhenrausch.2. Brücken im Himmel. OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich, Linz., 2011 Bis 16.Oktober. Mo-Fr 12-22, Sa – So 10-22 Uhr, Eintritt 10,-/ermäßigt 7,- bzw. 5,- Euro