Zeitgenössische indische Kunst 2008

10. Jul. 2008 in Reisen

New Spirit – zeitgenössische indische Kunst

I. New Delhi

New Delhi, 11.Triennale India 2005. 48 indische Künstler stellen auf der großen, internationalen Ausstellung in New Delhi aus, fast durchwegs akademisch-konservative Malerei. Die jungen Positionen der indischen Kunst, heißt es, boykottieren die Triennale. Wer die dissidenten Künstler sind, bleibt uns unbekannt. Zeitgenössische Kunst, so schien es damals, war eine Nischenkultur für Eingeweihte.

II. Mumbai

Drei Jahre später. Die Fahrt führt nach Mumbai und Bangelore. New Delhi, erklärt uns der Taxifahrer, sei wie Washington DC, zuviel Verwaltung und Politik. Mumbai dagegen ist die Hauptstadt von Wirtschaft, Mode und Filmindustrie – das perfekte Pflaster für die rasend schnell wachsende Kunstszene. Die meisten KünstlerInnen wohnen hier, vornehmlich in Bandra, einem Viertel an der westlichen Küstenseite. Die Galerien dagegen konzentrieren sich im südlichsten Teil Mumbais, unten am „Gate of India“. Hier entwickelt sich ein Club- und Kunstquartier, erste Modegeschäfte folgen bereits und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die white-cube-Galerien für zeitgenössische indische Kunst aus den Hinterhöfen (Project 88), Nebeneingängen (Galerie Mirchandani + Steinruecke) und ehemaligen Lagerräumen (Gallery  Chatterjee & Lal) in Gassenlokale einziehen – eine Entwicklung, die in Wien fast zwanzig Jahre benötigte. Zu den renommiertesten Galerien für zeitgenössische indische Kunst gehört BodhiArt, die nach Filialen in Mumbai, New York und Singapur seit Mai jetzt auch in Berlin vertreten sind – als erste indische Galerie auf dem europäischen Festland.

Fast monatlich starten in Mumbai neue Galerien für zeitgenössische indische Kunst, die Eröffnungen sind brechend voll, besonders wenn sich die Kunst- mit der Musikszene kreuzt. Im ersten Stock neben dem Eingang eines Zwei-Sterne-Hotels in einem schmalen Haus, das wohl auf Abbruch wartet, verbirgt sich die Bombay Art Gallery. Hier wird eine Ausstellung von Talvin Singh gezeigt, indischer Underground-Musikstar. Ausgestellt sind vernachlässigbare Fotografien und Objekt-Arrangements, Klangkörper als Wandobjekt, fotografierte Alltagsmomente, die das visuelle Spiel zwischen verschiedenen Oberflächen bebildern. Der Höhepunkt des Abends: Der berühmte DJ und Tabla-Spieler tritt selbst auf. So wie Singh in seiner Musik klassische indische Musik mit Drum´n´Bass und Ambient kombiniert, so vermischen sich auch in seiner Ausstellung ganz unbekümmert die Welten, wenn rundherum an den Wänden Kerzen auf dem Boden stehen.

Solche bruchlosen Übergänge bzw. Gleichzeitigkeit von Tradition und Jetztzeit begegnen wir immer wieder in den Werken der jungen Künstler, wenn Bharti Kher Ornamente für Feminisierungsthemen einsetzt, N. S. Harsha Elemente der klassische Miniaturmalerei in seinen großartigen Bildern zu gesellschaftskritischen Universen ausbaut, wenn auf religiöse Motive zurückgegriffen und der Stil des Sozialistischen Realismus mit zeitgenössischen Themen vermischt wird. Oft wirkt das höchst befremdlich. Als an und in der Moderne geschulte Betrachterin gehört der radikale Traditionsbruch und die Kunst-über-Kunst-Thematisierung zum Grundrepertoire meines Kunstverständnisses – wie kann ich solche Mischungen, noch verstärkt durch kulturell hochbeladene Materialien wie Haare, Steine, Knochen verstehen? Die religiösen Details, so erklärt Shilpa Gupta, werden in der zeitgenössischen indischen Kunst meist als subversive Elemente eingesetzt. Ein Grund dafür sei ein einschneidendes Ereignis, das oft als eine Art Beginn der zeitgenössischen Kunst genannt wird: Am 6.Dezember 1992 wurde die Babri-Moschee in Ayodhya von radikalen Hindus zerstört. 1528 auf den Grundfesten eines von den muslimischen Eroberern zerstörten Hindu-Tempels errichtet, wo der Legende nach der Gott Rama geboren worden sei, ist die Moschee bis heute der Inbegriff religiösen Fundamentalismus. Seither werden mit den Mitteln der bildenden Kunst immer Fragen gestellt, was bedeutet Religiosität im Alltag, in der Kultur, in der eigenen Identität?

III. Brüche

Im selben Jahr begann allerdings auch die wirtschaftliche Grundlage des Booms zeitgenössischer indischer Kunst. Nach einer Finanzkrise beschließt die indische Regierung 1992 das Ende der Planwirtschaft und damit die wirtschaftliche Öffnung und Liberalisierung. Im Zuge dessen vervielfacht sich innerhalb weniger Jahre das TV-Angebote von einem auf über hundert Sender, womit sich das Bilderangebote ändert und ein „flexiblerer Umgang mit Identität“ entsteht, wie der shooting-star der indischen Kunstszene, Jitish Kallat, in seinem Essay im Katalog zu „Horn Please. Erzählen in der zeitgenössischen indischen Kunst“ erklärt. Der mediale overkill, das turbulente Treiben in den Großstädten, die ungeheure Gleichzeitigkeit von allem ist auch das Thema seiner plakativen, collagenhaften Bilder und Installationen, wenn sich in der Serie „Carbon Milk“ Menschen, Autos und Alltagszeug zu Haarbergen indischer Kindern auftürmen oder Kallat mit seiner Riksha „Sweetopia“ in Form eines Skeletts eine Art Ikone dieser Zeit des Aufbruchs geschaffen hat.

Auf staatlicher Ebene ist von dem Boom zeitgenössischer indischer Kunst allerdings nichts festzustellen. Im Gegenteil: Annapuma Garimella, Direktorin des Research & Design-Büros „Jackfruit“, erzählt, dass die indische Regierung noch immer ihre weltweiten Botschaften mit „traditional modern art“ ausstaffiert – nicht als Exportschlager wie in China, sondern zur Unterstützung der „ethnic identity“. Auf dem Subkontinent werden über 14 Sprachen gesprochen, traditionelle Kunst und Kunsthandwerk dienen als nationaler Kitt, zeitgenössische Kunst wird weitgehend ignoriert. Zwar existieren in Indien Kunstakademien, aber kaum staatliche  Ausstellungsmöglichkeiten. Die Nationalgalerien sind verstaubte Häuser, Kunsthallen oder ähnliches gibt es nicht, die Lalid Khali Academie, Organisator und Hauptaustragungsstätte der India Triennale, zeigt meist religiös-traditionelle Werke und international bekannte Künstler wie Vivian Sundaram, Subodh Gupta, Sheela Gowda oder RAQS Media Collective sucht man erfolglos in den nationalen Museen.

IV. Bangalore

Stattdessen entsteht in atemberaubendem Tempo eine neue Struktur für zeitgenössische indische Kunst aus Galerien, Stiftungen und Privatmuseen. Indiens wichtigster Sammler Abhishek Poddar und seine Mutter Lekha werden im August dieses Jahres in New Delhi ein Haus für ihre „Devi Art Foundation“ eröffnen. Die von Delhis alteingesessener Galerie bzw. Familie Vadehra finanzierte FICA-Foundation vergibt Preise für junge KünstlerInnen, initiiert public art-Projekte und plant ebenfalls ein eigenes Museum. Und nicht nur in Delhi und Mumbai boomt die Kunst. Auch in Bangalore, der im südlichen Landesinneren gelegene IT-Stadt mit 8 Mio. Einwohnern. Hier sind die Mieten weitaus günstiger als in Mumbai, die Galerien können experimenteller arbeiten. Star dieser Szene ist Sunitha Kumar Emmart von der Gallery SKE. 2002 gegründet, reicht ihr Programm von der jungen Sakshi Gupta, die mit alltäglichem Material beeindruckende Installationen wie einen Teppich aus Auto-Ersatzteilen schafft, über Sudarshan Shetty mit seinen raumgroßen, mechanischen Installationen voller Humor, aber auch Bharti Kher mit ihren hybriden Kreaturen, die die Rolle der Frau zwischen „wildness and domestification“ thematisieren und die documenta12-Teilnehmerin Sheela Gowda mit ihren faszinierenden, großräumigen Installationen aus „gender- and cultural-loaded material“ (S. K. Emmart). Nur wenige werden allerdings exklusiv vertreten, noch teilen sich nahezu alle Galerien in Indien alle KünstlerInnen.

Ergänzt durch die noch sehr junge Foto-Galerie „Tasveer“ und die bereits 1996 gegründete Gallery Sumukha ist die Szene in Bangalore sehr übersichtlich. „Tasveer“ ist Teil des Firmenimperiums von Tee bis zu Design des Sammlers Abhishek Poddar. In seinem mehrstöckigen Bürohaus voller Kunstwerke von Andy Warhol bis zur jungen Sonia Jose sind überall auf den Glasflächen strenge Linien angebracht. Es ist eine architektonische Intervention von Alwar Balasubramaniam. Balasubramaniam ist mit seinen minimalistischen, konzeptuellen Werken eine außergewöhnlich reduzierte Position, kaum Farben, kaum Figuren. Stattdessen übersetzt er das für die indische Kunst so typische narrative Moment in Bilder des Momenthaften und des Verschwindens, in Irritationen der Wahrnehmung und Zweifel an einer verbindlichen Wirklichkeit. Im neuen Spezialsektor ´Art Premiere´ der nächsten Art Basel wird Balasubramaniam in der Talwar Gallery zusammen mit Nasreen Mohamedi präsentiert.

V. Künstlerinnen

Es ist ein breites Spektrum, das die junge zeitgenössische Kunstszene Indiens prägt, mit auffallend vielen, großartigen Künstlerinnen: von den erzählerischen Bildern der 1946 geborenen Malerin Nalini Malini, die zu den wenigen Frauen gehört, die sich schon früh in der männerdominierten Sparte behaupten konnte (und letztes Jahr in Robert Storrs „Think with the senses…“ auf der 52.Biennale Venedig ausgestellt war), über Ayisha Abrahams Werke rund um Postkolonialismus und Migration, die erotischen Zeichnungen von Mithu Sen bis zu den Cindy-Sherman-ähnlichen, großartigen schwarz-weiß-Fotografien Pushpamala´s. Immer wieder sind es Themen des Alltags, die mit religiösen Verweisen und nationaler Symbolik aufgeladen sind, die diese Werke zwar ´indisch´ wirken lassen, aber deutlich über den nationalen Kontext hinaus verständlich und wirksam sind.

Im Frühjahr 2009 soll die 12.India Triennale eröffnet werden. Ganz offenbar war es vor drei Jahren das falsche Forum, um sich über zeitgenössische Kunst zu informieren. Vielleicht werden die alten Professoren der Lali Khalid Academy dann endlich die Ausstellungen für die vielschichtige, faszinierende zeitgenössische indische Kunst öffnen.

–        FICA-Foundation, www.ficart.org

–        Jackfruit Research & Design, Bangalore www.jackfruitresearchdesign.com

–        Art India, The Art News Magazine of India, www.artindiamag.com

–        India Triennale, http://www.lalitkala.gov.in/triennale/about.asp triennale@lalitkala.gov.in

–        Galerie Nature Morte, New Delhi, www.naturemorte.com

–        Gallery Chemould Prescott Road, Mumbai www.gallerychemould.com

–        Project 88, Mumbai www.project88.in

–        Galerie Mirchandani + Steinruecke, Mumbai www.galeriems.com

–        Sakshi Gallery, Mumbai www.sakshigallery.com

–        Gallery  Chatterjee & Lal, Mumbai www.chatterjeeandlal.com

–        The Bombay Art Gallery, Mumbai www.bombayartgallery.com

–        BodhiArt www.bodhiart.in

–        Gallery SKE, Bangalore www.galleryske.com

–        Gallery Sumukha, Bangalore www.sumukha.com

–        Tasveer, Fotografie-Galerie, Bangalore, www.tasveerarts.com

–        Auktionshaus Saffronart, www.safronart.com

–        Indiens erstes ´ezine´ über Kunst: www.mattersofart.com

–        webside über zeitgenössische Kunst aus Indien: www.artconcerns.com

–        Vom 13.3.-12.7.2008 zeigt „Initial Access. Frank Cohen Collection“ in Wolverhampton, England, die Ausstellung „Passage to India“ mit u.a. Bharti Kher, Jitish Kallat, Atul Dodiya, Subodh Gupta, Sudarshan Shetty

–        Im Spätherbst 2008 wird eine Ausstellungsreihe indischer KünstlerInnen in den Krinzinger Projects in Wien beginnen

 

veröffentlicht in: SPIKE Juni 2008