Zwei krasse Käfige stehen im Raum, gerade hoch genug, damit ein Mensch darin stehen kann. Geschweißt aus alten Eisengittern, wie sie in Polen früher für Zäune benutzt wurden, formen sie bedrohlich wirkende Miniaturkirchen. Daniel Rycharski schafft damit ein starkes Bild für Intoleranz, für eine homophobe katholische Kirche, wie er sie in Polen erlebe, für eine innerlich leere, „eiserne Institution“, erklärt Kasia Matt-Uszynska. Sie ist Kuratorin dieser Eröffnungsausstellung und künstlerische Leiterin des neuen Kahan Art Space Vienna, eines ambitionierten Projektes in der Großen Sperlgasse nahe des Augarten.
Der Name fungiert als Dachmarke für mehrere Aktivitäten. Denn in den bis 2019 vom Haubenlokal Vincent genutzten Räumen kommen jetzt eine Galerie und eine Café Bar zusammen, die als Ort für Diskussionen dienen sollen. Ziel sei es, betont Gründer Zoltan Aczél, hier „einen Raum für politische Veranstaltungen zu schaffen“. Träger und Namensgeber ist die gemeinnützige Dr. Eva Kahan Stiftung, die der in Ungarn geborene Aczél zusammen mit seinem Geschäftspartner Alexander Zach 2016 in Budapest gründete – in Gedenken an seine Mutter, betont Aczél, einer Juristin, die ihm Werte wie Freiheit, Toleranz und die Wichtigkeit von Wissen beigebracht habe. Anfangs vergaben sie Stipendien zum Studium der Rechtswissenschaft an Roma und Sinti, denn für eine „Revolution ohne Waffen muss man die Regeln kennen“, erklärt der studierte Jurist dazu. Später kam der Raum für Kunst aus Mitteleuropa in Budapest dazu, ein Artist in Residence-Programm in ihrem Anwesen in der Toskana und zuletzt das Projekt in Wien. Auch der Schritt zur Kunst basiert auf einer kämpferischen Überzeugung: „Kunst ist das erste Schlachtfeld, wo Freiheit von der Politik eingeschränkt wird.“
Leitthemen ihrer Kulturprojekte sind „Offenheit und Dialog“, formuliert es Aczél. Das Stiftungskapital dafür stamme nicht aus elterlichem Erbe, sondern aus ihrer Holding, zu der Beteiligungen an Ankerbrot bis Belfy gehören, bis Mitte März auch am Magazin Datum, dessen Büro sich im selben Haus wie der Kahan Art Space befindet. Inhaltlich mischen sie sich nicht in den Kunstraum ein, er lehne lediglich radikal „Kommunismus und Nationalsozialismus“ und „jegliche Form von Intoleranz“ ab. Insofern kann die Eröffnungsausstellung des jungen, polnischen Künstlers als programmatisch gelten, denn in Rycharskis Werken treffen sich Themen zu LGBT-Rechten, zum christlichen Glauben, zu Holocaust und Flüchtlingen: die von Flüchtlingen hinterlassene Kleidung nähte Rycharski zu einem „Schleier“ zusammen, mit seinen „Kanaldeckeln“ erinnert der Künstler an den latenten Antisemitismus in seiner Heimat und sein von der Decke hängender Doppel-Jesus ist ein berührendes Bild für ein anderes Christentum: Des Kreuzes entledigt, halten sich die zwei Figuren mit ausgebreiteten Armen an den Händen, lehnen aneinander, schützend, stützend.
Vier bis fünf Ausstellungen sollen im Kahan Art Space pro Jahr stattfinden. Da Kasia Matt-Uszynska zugleich den von ihr gegründeten Neuen Wiener Kunstverein weiterführt, bedarf es eines „Pools von Kuratoren“, wie es Aczél nennt, die abwechselnd Ausstellungen betreuen, und er „schaue darauf, dass es zusammenpasst“. Wieviel Budget steht zur Verfügung? Aczél: „Es ist immer genug Geld da“ – und das offenbar nicht nur für das Programm, sondern auch für die Künstler*innen. Denn er kaufe aus jeder Ausstellung in Budapest und jetzt auch in Wien je zwei Werke an – „aber nicht alles, was ich kaufe, gefällt mir“, gibt er zu. Eine abstrakte, großformatige Malerei aus seiner Sammlung von Flora Koszeghy hängt jetzt dekorativ im Café, das abends zu einem Tapas-Restaurant werden soll. Die Eröffnung des Kraus Café und des Kahan Art Space sollte eigentlich schon im letzten Herbst stattfinden. Das Kraus bleibt durch die Lockdown-Verlängerungen noch immer geschlossen, die Ausstellung im Kunstraum kann jetzt nur durch die Fenster gesehen werden. Nach dem Ende des Lockdown steht es dann auch Kaufinteressierten offen – denn auch das ist der Kahane Art Space: ein kommerzieller Kunstraum ohne die in Galerien üblichen Kommissionen.
veröffentlicht in: Die Presse, 14.4.2021