Was immer wir ausprobieren, wir finden uns hinter Gittern wieder. Dabei ist diese Erfahrung doch eigentlich dem Pfau vorbehalten, der auf der Stange vor der vergitterten Tür sitzt. Aber der Spiegel hinten an der Wand ändert die Perspektive: Wir sehen nicht das Tier, sondern uns als Gefangene. Diese seltsame Erfahrung beschert uns Michèle Pagel´s Skulptur, die gerade mit dem renommierten Kardinal König Preis ausgezeichnet wurde.
Der 2005 erstmals verliehene, mit 11.000 Euro dotierte Preis wurde zum 100. Geburtstag des Namensgebers initiiert, um eine „für den zeitgenössischen, künstlerischen und gesellschaftlichen Diskurs wichtige Position“ auszuzeichnen. Diese ziemlich offene Widmung wird eingegrenzt durch das Auswahlverfahren: Alle zwei Jahre schlagen 10 Expert:innen jeweils zwei Künstler:innen vor, aus denen dann eine fünfköpfige Jury eine Position hervorhebt. Der erste Preis ging 2005 an Hans Schabus, letztes Jahr wurde Angelika Loderer ausgezeichnet. Dieses Jahr ist die 1985 in Deutschland geborene, in Wien lebende Michèle Pagel die Preisträgerin. Ihre Skulptur „Crrrreature of Habit“ verhandele „Themen wie Macht, Schönheit, Freiheit, aber ebenso die Frage nach den fragilen und flüchtigen Beziehungen in der heutigen Zeit, die durch das rostige, uns abweisende Gartentor sich förmlich aufdrängt“, heißt es dazu.
Macht und Schönheit – das sind große Worte, die sich bei dieser Skulptur von Michèle Pagel nicht sofort aufdrängen. Die Tür ist ein verwittertes Fundstück und das Tier ist ziemlich roh aus sieben unterschiedlich glasierten Ziegeln zusammengesetzt. In der aufrechten Haltung sitzt es wie in einer sehr stolzen, raumgreifenden Pose auf der Stange, was einen seltsamen Kontrast zu der schäbigen Tür schafft – eine Irritation, die sich immer wieder in den Werken der Künstlerin findet. So ist der düstere, riesige, holprig geformte Keramik-Aschenbecher eine brachial Nachformung vom Schloss Schönbrunn. Auch die Wandarbeit „Das Nest“ wirbelt unsere Wahrnehmung durcheinander: Hinter einem vergitterten Fenster sehen wir eine blau gestrichene Wand, in der die Ziegel in Wolkenformen freigelegt sind: Der Ausblick ist doppelt geblockt. Ähnlich spielt die preisgekrönte Arbeit mit einem Kontrast. Das Werk gehört in Michèle Pagel´s Serie „Das Glück ist ein Vogerl“, es ist eine alltägliche Erfahrung, die Pagel ins Absurde überführt. Dazu nutzt sie herkömmliche Materialien und triggert gezielt unsere Assoziationen: Wieso empfinden wir eine zwar vergitterte, aber frei stehende Tür plus Spiegel als Gefängnis? Sind es nicht unsere Vorstellungen, die das Gesehene überlagern – und uns darüber in Verwirrung stürzen? Ein Vogel aus Ziegeln ist das Gegenteil von Freiheit, das Gitter ist nur vordergründig, der Spiegel schafft eine Parallelwelt, die Schönheit liegt wenn, dann im Verborgenen. Umwertung durch Verformung, durch unerwartete Kombinationen verbunden mit vorsichtigen Farbgebungen – diese Methode beherrscht Pagel perfekt, um in einer latent aggressiven Bildsprache unseren Blick herauszufordern. Noch sind ihre Skulpturen in der Wiener Galerie Meyer Kainer zu sehen, bis das prämierte Werk „Crrrreature of Habit“ Ende November nach Salzburg transportiert wird. Dort findet am 27. November die Preisverleihung statt. Bis Ende Jänner sind dann im Kunstraum St. Virgil die Werke der 20 nominierten Künstler:innen zu sehen – ein spannender Querschnitt durch die junge österreichische Kunst!