Kathmandu Triennale: Kunst im Sehnsuchtsort

30. Apr. 2017 in Biennalen

Ricardo Brey (Kuba), Dust bathing, 2017, Tonfiguren. Foto Kathmandu Triennale

Ricardo Brey (Kuba), Dust bathing, 2017, Tonfiguren. Foto Kathmandu Triennale

Erstmals findet eine internationale Triennale mit höchst prominenten KünstlerInnen in Kathmandu statt – in jener Stadt, über die Cat Stevens 1970 sang: „Kathmandu, bald werde ich dich sehen“. Damals war die auf 1300 Meter Höhe gelegene Hauptstadt Nepals für junge Leute ein Sehnsuchtsort. Der Musiker reiste nie hin und heute erinnert auch nur noch die Freak Street an die Hippies. Statt einer heilen Welt ist Kathmandu mittlerweile so verschmutzt, dass die meisten Menschen Atemmasken tragen. In den Straßen stapeln sich Ziegelhaufen, immer wieder sieht man Häuserruinen und Baugerüste. 2015 zerstörte ein schweres Erdbeben mehr als 800.000 Gebäude in Kathmandu. Weitgehend intakt geblieben ist das Patan Museum, ein ehemaliger königlicher Palast mit einer Geschichte, die bis 643 n.Chr. zurückgehen soll. Für zehn Tage ist das Museum jetzt einer von vier Ausstellungsorten der Kathmandu Triennale. Denn die globale Kunstkarawane führt seit heuer auch in das kleine Land am Fuße der weltgrößten Berge.

Straße in Patan, Kathmandu, Foto SBV

Straße in Patan, Kathmandu, Foto SBV

Für die Stadt ist die Triennale nicht neu. Seit 2009 gibt es das Kathmandu International Art Festival (KIAF ). Zur zweiten Ausgabe 2012 stellten 97 internationale Künstlern an 16 Orten quer durch die Stadt aus, darunter viele Street Artists. 2015 wurde beschlossen, das Festival umzubenennen, um den Fokus auf Kunst zu betonen, wie Initiatorin Sangeeta Thapa erklärt. Als Kurator für die 1. Kathmandu Triennale wurde Philippe Van Cauteren bestellt, der 70 Künstler aus 25 Ländern einlud. Der Direktor des S.M.A.K. in Gent hat bereits Erfahrungen mit Ausstellungen in Ländern, die noch nicht zur globalen Kunstwelt gehören. Er kuratierte 2015 den Irakischen Pavillon für die Biennale Venedig, die Ausstellung wanderte später in sein Museum in Gent und heuer in den Irak. Wählte van Cauteren für die Venedig-Schau ausschließlich irakische Künstler, so entschied er sich in Kathmandu für ein Drittel lokaler und zwei Drittel internationaler Künstler, darunter bekannte Namen wie Kader Attia, Shilpa Gupta, Jorge Macchi.

Tempel am Durbar Square. Foto SBV

Tempel am Durbar Square. Foto SBV

Was aber können Künstler hier zeigen, ohne in die Klischee-Falle von Aussteigern, Bergtouristen und Katastrophenszenario zu tappen? Wie passt zeitgenössische Kunst zu der Schönheit der historischen Architektur, den kleinen Handwerkergeschäften in Patan, wo man Statuen der vielen Götter kaufen kann, und den eigentümlichen Traditionen wie die Kumari, jenes junge Mädchen, das als ´lebende Göttin´ in einem Tempel wohnt und jeden Tag die Menschen segnet? Genau diese Herausforderung machte Van Cauteren zum Thema der 1. Kathmandu Triennale: die Stadt als Atelier, betitelt „The City, My Studio / The City, My Life“. Die Künstler mussten ihre Werke vor Ort produzieren. So haben die Künstler facettenreiche Verbindungen zu der so enorm lebendigen Stadt aufgespürt.

Song Dong (China), Mandala City for Eating, 2017. Backwaren, Süßigkeiten. Foto SBV

Song Dong (China), Mandala City for Eating, 2017. Backwaren, Süßigkeiten. Foto SBV

Manchmal spielt dabei das Erdbeben hinein wie in Song Dongs Installation: Auf einem großen Tisch hat er Tausende Kekse arrangiert. Von der Seite sah es aus wie eine tibetische Stadt, von oben wie ein Mandala. Zur Eröffnung der Kathmandu Triennale durfte jeder Besucher ein Stück essen. Jetzt sieht es aus wie die zerstörten Tempelanlagen am Durbar Square. Honoré d’O greift in seiner Installation die allgegenwärtigen Stützbalken an den vielen einsturzgefährdeten Häusern auf. Jeder Besucher ist aufgefordert, einige Minuten lang eine stützende Position einzunehmen und erhält dafür ein Zertifikat – eine wunderbare Aufforderung, sich in die Stadt einzufühlen, deren Regierung seit der Revolution 2008 genauso instabil ist wie Häuser. Henk Visch dagegen ließ sich von den Kamasutra-Bildern inspirieren und zeigt in großformatigen Zeichnungen seine Versionen dieses Lehrwerks der Erotik.

S. C. Suman (Nepal) vor seiner Zeichnung Jhaap, 2017. Foto SBV

S. C. Suman (Nepal) vor seiner Zeichnung Jhaap, 2017. Foto SBV

Auch die nepalesischen Künstler folgten der Vorgabe. Der junge Amrit Karki malte ein knallrotes Rechteck auf die Fassaden der dicht hintereinanderstehenden Häuser an einem steilen Hang. Das Werk ist sogar vom Flugzeug aus zu sehen. Wie konträr dagegen sind die traditionellen Mithila-Zeichnungen von S.C. Suman, in denen Motive aus der Mythologie mit abstrakten Mustern kombiniert werden. Schaut man genauer hin, erkennt man darin zeitgenössische Motive wie Flugzeuge, Autos. Es seinen Portraits von Kathmandu, erklärt Suman. Die junge Nepalesin Saurganga Darshandhari hat die traditionellen Stoffbeutel aufgegriffen. In ihren Drucken sind die nicht mit Geld sondern mit der Welt gefüllt.

Mithu Sen, I Replace You, 2017. Steine, Alufolie. Foto SBV

Mithu Sen, I Replace You, 2017. Steine, Alufolie. Foto SBV

Für ein Tribut an die lokale Kunst hat sich die Inderin Mithu Sen entschieden. In allen vier Ausstellungsorten verteilte sie in Alufolie gepackte Steine. Sen recherchierte vorab in den Archiven der örtlichen Kunstakademie und widmet jeden Stein einem früheren Kunststudenten der lokalen Akademie – eine starke Erinnerung daran, dass das Land zwar bisher kaum für seine Kunst bekannt ist, diese aber hier durchaus eine lange Tradition hat.

Oscar Murillo (Kolumbien), The Coming of the Europeans, 2017, Stoffbahn. Foto SBV

Oscar Murillo (Kolumbien), The Coming of the Europeans, 2017, Stoffbahn. Foto SBV

Und Oscar Murillo hat einen Banner zwischen zwei Bäumen aufgehängt: „the coming of the europeans“ steht darauf, auf der Rückseite ist ein Flugzeug gemalt. Das Werk hängt im Park des Taragaon Museums, das von dem österreichischen Architekten Carl Pruscha 1972 als Jugendherberge entworfen wurde – wunderschön, aber ein merkwürdiger Fremdkörper im heutigen Kathmandu. Murillos Banner erinnert an die Hippies in den 1970ern, an die Scharen von Bergtouristen am Flughafen, aber auch die Künstler- und Besucherinvasion der Triennale gerade. Hundertfach wie ein Mantra geschrieben, beschwört es ein Bild der Stadt, wertfrei, poetisch, eindringlich und vor allem nicht romanisierend. Diese 1. Kathmandu Triennale hat es geschafft, tief in der Stadt verankert zu sein. Van Cauteren wollte mit seiner Ausstellung zeigen, dass Kunst ein ganz wichtiger Faktor in einer Stadt ist – und genau das ist ihm großartig gelungen. Kathmandu, wir wollen mehr Triennalen sehen.

Amrit Karki (Nepal), Rechteck, 2017, Farbe auf Hausfassaden, vorne Philip van Cauteren. Foto SBV

Amrit Karki (Nepal), Rechteck, 2017, Farbe auf Hausfassaden, vorne Philip van Cauteren. Foto SBV

24.3.-10.4.2017, www.kt.artmandu.org
veröffentlicht in: NZZ, 30.3.2017