Kölner Sammlung Hahn in Wien

22. Nov. 2017 in Ausstellungen

Es ging alles ganz schnell. Ende 1978 unterschrieb Wolfgang Hahn den Vertrag, schon im Januar kamen 385 Kunstwerke nach Wien. Und im April 1979 waren sie als Herzstück des Museum des 20. Jahrhunderts im frisch bezogenen Palais Liechtenstein zu sehen – den neuen Ort hatte Wolfgang Hahn als Bedingung für den Verkauf gestellt. Zwei Millionen DM zahlte die Republik Österreich dem Kölner Sammler für das Konvolut – eine stolze Summe, die die Rheinmetropole nicht hatte aufbringen können. Heute sind einzelne Werke mehr wert als der Gesamtbetrag. Aber das war damals noch nicht absehbar.
Und vor allem wollte Wolfgang Hahn aus dem Verkauf kein maximales Geschäft machen, sondern reagierte damit auf seine schwere Krebserkrankung. Acht Jahre später starb er – und damit einer der größten Sammler der 1960er Jahre, ein Chronist der Kunstmetropole Köln, ein bedingungsloser Fan grenzüberschreitender Kunst.
Dreißig Jahre nach seinem Tod widmen das Wiener MUMOK und das Kölner Ludwig Museum dem Sammler heuer eine große Doppelausstellung. Aber wer war Hahn überhaupt und wie kam er nach Wien? Der 1924 geborene Hahn nahm nach Ende seines Kunstgeschichtsstudiums und einer Ausbildung als Gemälderestaurator eine Stelle am Kölner Wallraf-Richartz-Museum an, wo er später Chefrestaurator wurde. Beruflich hatte er mit Kunst vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert zu tun. Aber nach Feierabend suchte er den Kontakt zu Zeitgenössischem. Das Rheinland war damals Zentrum aktionistischer und konzeptueller Kunst.
Und Hahn begann zu kaufen, vor allem Kunst, die aus dem Rahmen fiel – und das wörtlich. Denn sein Schwerpunkt lag auf Fluxus, Happening und Nouveau Realism, auf Objekten aus eigenwilligen Materialien, entstanden in unkonventionellen Prozessen nach grenzensprengenden Konzepten, performativ, provokant, unbequem. Er kaufte als erster die Heroen der Pop Art, Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Claes Oldenburg – von denen er sich teilweise auch wieder trennte, „seine Sammlung war in ständiger Bewegung“, wie es MUMOK-Kuratorin Susanne Neuburger formuliert.
Die Pop Art war für ihn zu teuer geworden, anders als der Aachener Peter Ludwig, der zweite Großsammler im Rheinland, hatte er kein Vermögen zur Verfügung, sondern nur sein monatliches Gehalt. Er kaufte mit seinem außergewöhnlichem Blick für Bahnbrechendes Franz Erhard Walthers „Ersten Werksatz“, eine der frühesten Skulpturen, die auf Handlungsanweisungen basieren; dazu Partituren von John Cages experimentellen Kompositionen, Mimmo Rotellas Bilder aus abgerissenen Plakaten, George Segals Ensembles aus Gipsfiguren mit echten Gegenständen und Dieter Roths Objekte aus organischen Materialien.
Berühmt ist „Hahns Abendmahl“ von Daniel Spoerri: Am 23. Mai 19164 lud Hahn 16 Personen zum Essen in sein Haus. Jeder musste sein eigenes Geschirr mitbringen. Am Ende klebte Spoerri sämtliche Dinge auf dem Tisch fest – fertig war das Bild. Dieses Prinzip baute Spoerri dann ab 1968 im benachbarten Düsseldorf weiter aus. In seinem Restaurant konnte jeder seinen abgegessenen Tisch mumifizieren lassen, für 1000 DM signierte der Koch und Künstler die Platte.
Aber diese Geschichte täuscht ein wenig, denn Hahn war kein Gesellschaftsmensch. Er schmiss keine wilden Parties, setze sich nicht in Szene und suchte auch nicht die mediale Öffentlichkeit. Das heute so begehrte VIP-Prinzip war ihm fremd. Man weiß nicht viel Privates von ihm, er habe immer blaue Anzüge getragen, sei sehr umgänglich gewesen, erzählt Kuratorin Neuburger. Und distanziert offenbar auch. Mit den meisten Menschen blieb er beim förmlichen „Sie“. Anders als Pop Art-Sammler Peter Ludwig flog Hahn nicht zwischen den Metropolen hin und her. Er reiste auch nicht von Kunstmesse zu Kunstmesse, wie es heute viele praktizieren – die wichtigste fand eh in Köln statt.
Stattdessen kaufte er, was in Köln und Umgebung entstand, viel in der Kölner Galerie Rudolf Zwirner und der Düsseldorfer Galerie Alfred Schmela. So schuf er mit seiner Sammlung ein einzigartiges Dokument der damaligen künstlerischen Aufbruchsstimmung im Rheinland. Manche Künstler schenkten ihm auch Werke wie Joseph Beuys, „um gut in der Sammlung vertreten zu sein“, wie Neuburger erklärt. In Hahns Garten standen die verrückten Maschinen von Jean Tinguely und irgendwo muss auch die Figurengruppe in Liegestühlen von Renate Göbel in seinem kleinen Reihenhaus in Köln-Lindenthal Platz gefunden haben. Überhaupt fragt man sich, wie der Sammler all die Werke in seinem Haus unterbringen konnte, wo er mit seiner ersten Frau Gisela, später mit der zweiten Ehefrau Hildegard Helga und der gemeinsamen Tochter lebte. In allen Zimmern, selbst in der Abstellkammer und im Keller hing Kunst. Auf einem berühmten Foto von 1970 sieht man Hahn in seinem Haus sitzen, wie an den Rand gedrängt von all den Skulpturen und Wandobjekten, die das Zimmer füllen. „Ich wollte eigentlich nie sammeln, es hat sich so angesammelt„, sagte er einmal.
Aber wie kam diese Sammlung ausgerechnet nach Österreich? Damals war der Fotograf Hans Mayr Präsident des Wiener Künstlerhauses. Mayr war bestens vernetzt, suchte den Austausch mit Künstlern aus Deutschland, reiste oft nach Köln und kannte auch Peter Ludwig. 1977 hatte er den Sammler zu einer Ausstellung in Wien eingeladen, „Kunst um 1970“ gilt als Initialzündung zur Gründung des heutigen MUMOK. Denn Mayr stand Pate bei der Einbindung von Ludwigs Sammlung in das Wiener Museum. Und Mayr fädelte auch die Verhandlungen mit Hahn ein, den er während seiner Reisen zu Ausstellungen in Köln kennenlernte. Aber warum bemühte sich nicht das Kölner Museum darum? Die Antwort ist wahrscheinlich einfach: Es gab noch gar kein Museum der Moderne. Im Februar 1976 hatte das Ehepaar Ludwig mit der Stadt Köln einen Schenkungsvertrag unterzeichnet, als Gegenleistung zu den 350 Werken musste die Stadt ein „Museum Ludwig“ gründen, das erst 1986 eröffnete.
Auch das Wiener Museum war noch jung, hatte erst 1962 als ´Museum des 20. Jahrhunderts´ unter Gründungsdirektor Werner Hoffmann begonnen und umfasste nur eine kleine, vor allem auf Klassische Moderne konzentrierte Sammlung. Hoffmann hatte viel in Paris und Wien gekauft, da war Hahns Schwerpunkt auf zeitgenössische Kunst eine perfekte Ergänzung. Und Hahn bzw. seine Familie hielt Wien die Treue, 2003 folgte ein weiterer, größerer Ankauf. Bis zu seinem Tod kamen noch 30 Werke in das Wiener Museum. 2005 schenkte die Witwe dem Haus Hahns Bibliothek samt der akribisch geführten Karteikarten, auf denen der Sammler die Ankäufe genau beschrieb und die Materialien vermerkte. Heute ist die Sammlung Hahn eine der drei Säulen des MUMOK, neben Ludwigs Pop Art-Sammlung und dem Wiener Aktionismus – drei Säulen, die in ihren frechen, radikalen Grenzüberschreitungen zusammengehören, was die Ausstellung im MUMOK gerade beeindruckend beweist.

MUMOK, Kunst ins Leben! Der Sammler Wolfgang Hahn und die 60er Jahre, bis 24. Juni 2018

veröffentlicht in: Die Welt, 18.11.2017