Kollektive haben gerade Hochkonjunktur. Spätestens seit der documenta fifteen springen immer mehr Museen und Ausstellungshallen auf diesen Trend auf und suchen nach dieser gemeinschaftlich ausgerichteten Organisationsform in der Kunst. Im MUMOK wurde dazu die hauseigene Sammlung nach Gemeinschaftsarbeiten durchforstet, in der Albertina soll der Trendbegriff wohl simple Künstlerduos aufwerten – die übrigens weitaus stabiler sind als tatsächliche Kunst-Kollektive. Bei denen nämlich scheitert das Motto des ´Wir über das Ich´ irgendwann am Ego der Mitglieder. Jetzt bietet auch die Künstlerhaus Vereinigung am Karlsplatz „Modelle der Zusammenarbeit“, wie es im Untertitel zu „Loving Others“ heißt. Die Kuratoren Christian Helbock und Dietmar Schwärzler entschieden sich für 14 Gruppen – eine Auswahl, die man laut Pressetext „als exemplarisch, gleichzeitig auch willkürlich bezeichnen“ kann, da es „unzählige Kollektive“ gäbe. Gilt die Gefahr einer Willkür nicht auch für Solo-Künstler? Die schiere Quantität könnten Kuratoren ja durch ein Pochen auf Qualität bewältigt. Aber wie kann die bei Kollektiven bestimmt werden, anhand der behandelten Themen oder der Formen des Aktivismus? Das kann man für manche Künstlergruppe des 20. Jahrhunderts durchaus beantworten, die Situationistische Internationale etwa entwarf in den 1960er Jahren ein bis heute beeindruckendes Begriffsvokabular für ihre Aktionen. Die Aktivitäten der Gruppe rund um den Friedrichshof gipfelten im Entwurf einer eigenen Lebensform. Momentan scheinen sich die Fans der Kollektive die Frage nach Qualitätskriterien allerdings nicht zu stellen, das war schon bei der Auswahl nach dem Schnellballprinzip auf der documenta fifteen bestimmend.
Statt auf das Wie und das Warum reicht der pure Fakt eines gemeinsamen Aktivismus für die Nominierung aus. Im Künstlerhaus heißt das: eine Gruppe agiert gegen Abtreibung (Femplak), eine Solo-Person ließ 430 alte Frauen über das Älterwerden reden (Suzanne Lacy), Invasorix thematisiert die „kollektive Zusammenarbeit gegen das Patriarchat“, Total Refusal betreibt eine „Aneignung von Mainstream-Videospielen“ für „friedliche Performances“. Heißt: Standbilder von Ego-Shooter-Avataren harren regungslos vor hübschen Landschaften aus. Bar du Bois ließen die vielen Teile der Glasdecke des Künstlerhauses neu gestalten, ohne gemeinsames Thema. Trotzdem ist von einer „Neuinterpretation“ des Glasdecke im Begleittext die Rede – große Worte gehören dazu, um fehlende Qualität aufzuwerten. The Nest Collective verweist ähnlich wie auch auf der documenta fifteen auf koloniales Raubgut, hier symbolisiert anhand von 31.302 simplen Versandetiketten, die in 24 Rollen von der Decke baumeln.
Die meisten Beiträgen hier sprechen Themen an, deren Wichtigkeit nicht bezweifelt werden soll. Allerdings erschlagen sich erstens die vielen Anliegen schnell gegenseitig. Zweitens mögen die Aktivismen in je einzelnen Kulturinitiativen gut funktionieren, in einer Kunstinstitution werden sie zu – genau: Ausstellungsobjekten. Dadurch verlieren die Aktivismen ihre Lebendigkeit und auch ihre Wirksamkeit. Und drittens werden die meisten Anliegen nicht wie in der bildenden Kunst üblich bildhaft, sondern vornehmlich sprachlich vermittelt. Eine aussagekräftige, wohlmöglich eigenständige und wirkungsstarke Bildsprache scheint verpönt zu sein. Oder zu schwierig, weil kollektiv nicht zu schaffen? Aber dann die Überraschung: Plötzlich stehen wir in einem Raum voller Bilder auf T-Shirts, auf Sackerl, sogar signierte Kunstdrucke liegen da. Hier allerdings verhandelt kein Kollektiv die Welt. Hier sind wir im Kommerz gelandet. Der Raum sei gar kein Shop, wird erklärt, es sei ein „Katalog“ – von Waren, die wir im Internet bestellen oder unten im Künstlerhaus-Shop kaufen können. Eine Liste ordnet den Dingen die Herstellernamen zu. Wo bleibt hier die Idee des Kollektivs? Die Lösung: Es ist die Lumbung-Galerie, der offizielle Kunsthandel der documenta fifteen, der jetzt durch Institutionen tourt. Und der wird ´kollektiv´ genannt, weil 30 Prozent des Profits gemeinschaftlich verwendet werden. Darum kann hier wieder ganz ungeniert die gute, alte Autorenschaft dominieren, selbst die Britto Arts Trust-Mitglieder signieren ihre Drucke als Individuen. Das Wir über dem Ich, diese schöne Idee der Gruppenarbeit, endet, wenn der Kunsthandel beginnt.
Wie passend, dass direkt daneben ein Film läuft, bei dem ebenfalls das Kollektive zweitrangig ist, diesmal allerdings qualitätssteigernd: Der 1943 geborene mazedonische Regisseur Karpo Godina drehte 1972 im Auftrag des Militärs während seines Werkdienst den humorvoll-poetisch-subversiven Kurzfilm „On the art of loving or a film with 14441 Frames”: ein wunderbarer Hippie-Film voller suggestiver Bilder mit Soldaten als Akteuren, der den Künstler damals fast ins Gefängnis brachte. Die Ausstellung franse an allen Ecken aus, hatten die Kuratoren beim Rundgang erklärt, was bei diesem Beitrag ein großer Gewinn ist – und bei dem begleitenden Katalog-Magazin übrigens auch.
Loving Others, Künstlerhaus Vereinigung, 13.10.15.1.2023. Vom 13.-23.10. ist der Ausstellungsbesuch kostenlos.
veröffentlicht in: Die Presse 22.10.2022