Kontrolle oder Chaos – Helga Philipp, Tilmann Kaiser

07. Mrz. 2016 in Ausstellungen

Helga Philipp, um 1990 // Galerie Hubert Winter, Wien

Helga Philipp, um 1990 // Galerie Hubert Winter, Wien

In Auktionen hat abstrakte Malerei Hochkonjunktur, unter Kunstkäufern gehört diese Sparte zu den beliebtesten Spekulationsobjekten. Manche erklären das damit, dass in den ungegenständlichen Bildern keine regionale Kultur erkennbar ist – was noch zu erforschen wäre. Andere schätzen den hohen Dekorationsfaktor der meist auf wenige Farben und Formen reduzierten Werke – das passt perfekt zu unseren modernen Einrichtungen. Denn darin sind sich alle einig: Die Abstraktion gilt als der Inbegriff der Moderne. Nichts hat die Kunst des letzten Jahrhunderts derartig beeinflusst wie dieser Schritt. War der Gegenstand als Referenz erst einmal aufgegeben, konnte der Bildraum gänzlich frei gefüllt werden, von irritierender Leere bis zu obsessiven Schichtungen. Manche Künstler experimentierten mit Formen, die wie in der Op Art eine Illusion von Bewegung erzeugen; andere suchten nur über die Farbe flirrende, tiefe Bildräume wie Mark Rothko oder hoben wie Frank Stella die Begrenzung der Leinwand auf. Wie aber gehen die Künstler seit dem Ende der Moderne mit der Abstraktion um?

Tilmann Kaiser, o.T. 2015 // Galerie Emanuel Layr

Tilmann Kaiser, o.T. 2015 // Galerie Emanuel Layr

In zwei Wiener Galerien sind dazu gerade zwei gänzlich unterschiedliche und doch verwandte Werke zu sehen: Helga Philipp (Galerie Hubert Winter) und Tilman Kaiser (Galerie Emanuel Layr).
Die 1939 geborene, 2002 verstorbene Helga Philipp gehört zu jenen Künstlerinnen, die gerade vom Kunstmarkt wiederentdeckt werden. Mit vierzehn Jahren wurde sie an der Angewandten aufgenommen, studierte Bildhauerei und zählte in den 1960er Jahren mit ihren kinetischen Objekten und Op Art-Bildern zur internationalen Avantgarde. Einige Werke dieser Phase sind gerade im 21er Haus in der Gruppenausstellung „Abstract Loop Austria“ zu sehen (bis 29.5.). In den 1980er Jahren verschwand ihr Werk fast vollständig vom Markt, denn damals begann der Siegeszug der Jungen Wilden mit ihrer expressiven Malerei. Philipps ließ sich davon aber nicht beirren und in der Galerie Hubert Winter kann man jetzt jene Werke sehen, die zwischen 1988 bis 1996 entstanden: weitgehend schwarze, überraschend elegante Bilder auf Karton, Leinwand und Transparentpapier. Wunderbar, wie vielschichtig Philipp hier verschiedene Weisen der Abstraktion verknüpft: Mehrere Lagen transparenter Folien, die mit unterschiedlich starken Grafitschraffuren bedeckt sind, liegen übereinander. Das erzeugt Balken, Quadrate, Pyramiden. Aber die Strenge der geometrischen Formen ist aufgebrochen mit der meditativen Technik der Schraffuren, die Bilder leben durch die Farbnuancen.

Helga Philipp, Schichtgrafik, 1994. Grafit auf Transparentpapier, 4teilig // Galerie Hubert Winter

Helga Philipp, Schichtgrafik, 1994. Grafit auf Transparentpapier, 4teilig // Galerie Hubert Winter

Es sind „visuelle Abenteuer“, wie es Philipps Tochter Olga Okunev nennt. Galerist Winter spricht bei einem vielteiligen Werk angesichts des Zusammenspiels von Licht und Graphit-Schraffuren von einer „Hintergrundstrahlung“ – die nicht mit den Mitteln der Illusion erzeugt werden, sondern reale Reflektionen sind. Obwohl Philipps Werke in nahezu jeder österreichischen Museumssammlung sind, kosten ihre Arbeiten erst 12.000,- bis 36.000,- Euro – der österreichische Kunstmarkt entwickelt sich langsam.

Tilmann Kaiser, oT, 2015 // Galerie Emanuel Layr

Tilmann Kaiser, oT, 2015 // Galerie Emanuel Layr

Nur auf schwarz-weiße Farbtöne reduziert auch Tilman Kaiser seine neue Bildserie in der Galerie Emanuel Layr. Der 1972 in Graz geborene Künstler arbeitete mehr als ein Jahr an den dreizehn Großformaten. Auch er verwendet das Prinzip der Schichtungen, sucht aber nicht die strengen Abgrenzungen, sondern das Chaos eines kontrollierten Zufalls. Ausgangspunkt der Bilder sind Fotogramme, die auf kleinen, mit Fotoemulsion beschichteten Blättern entstehen. Fotogramme werden nicht mit einer Kamera geschossen, sondern mit einer Taschenlampe belichtet – die weißen Flächen stammen von den Abdeckungen, der Rest ist schwarz. Für das erste Werk bat Kaiser seine Nachbarin, sich auf die Blätter zu legen, auf anderen erkennt man zerbrochene Glasscheiben oder auch nur Kritzeleien. Kaiser entwickelt Blatt für Blatt in einer Fotowanne, fügt die Teile locker zu einem großen Bild zusammen und legt zuletzt noch eine malerische Schicht darüber: exakte Linien in kristallinen Mustern, manchmal auch als rote, wellenförmige Kreise. Ähnlich wie die Schraffuren bei Philipps sind auch diese Muster Ausdrucksformen innerer Vorgänge – des Unbewussten, Traumhaften, Surrealen.

Tilmann Kaiser, oT, 2015 // Galerie Emanuel Layr

Tilmann Kaiser, oT, 2015 // Galerie Emanuel Layr

Kaiser interessiert sich sehr für die Formensprache der Moderne, sucht darin aber die Brechungen,“ erklärt Galerist Layr. 18.000,- Euro kostet ein Bild, der Markt für zeitgenössische Abstraktion beginnt gleich auf einem höheren Preisniveau, einige sind schon nach New York verkauft.
Diese Brechungen machen den Unterschied zu den Abstraktionen der Moderne aus. In Philipps Schichtgrafiken erstaunt der Kontrast zu den strengen Formen, die sich durch die zarten Schraffuren ergeben. Und wenn Kaiser die Farbe in den Fotogrammen mit einem Besen aufträgt, wird die Brechung als Stilelement unübersehbar. Beide suchen eine Ordnung, die zugleich Rückzugsort und Freiraum für Subjektives beinhaltet – ein Modell für eine Welt, in der der Glaube an die eine, richtige Entscheidung verloren gegangen ist.

Galerie Hubert Winter, Breite Gasse 17, Helga Philipp bis 31.3.; Galerie Emanuel Layr, Seilerstätte 2, Tilman Kaiser, bis 9.4.
veröffentlicht in: Die Presse, 6.3.2016