Kosmos Kunstkammer im KHM Wien

10. Sep. 2010 in Ausstellungen

Generaldirektorin Sabine Haag beim Einräumen der Saliera. Courtesy KHM Wien

Durch das Vestibül, die Stufen hinauf ins Hochpaterre und dann rechts – dort war bis vor acht Jahren die weltberühmte Wunderkammer zu sehen. Nicht zuletzt für diese Sammlung von 8000 kuriosen, exotischen und kostbaren Objekten wurde das Kunsthistorische Museum (KHM) 1891 eröffnet. Damals bestand das prächtige Haus in Wien aus sieben Bereichen, darunter die Waffen, die Münzen und Medaillen, die Gemälde und die Antiken-Sammlung. Die bekannteste aber war die Wunderkammer.
Ende des 19.Jahrhunderts wurden dann durch den Zwang zur Systematisierung einige Objekte wie das ausgestopfte Krokodil oder präparierte Fische in das Naturhistorische Museum ausgegliedert. Der Straußeneipokal des Clemens Kicklinger, der Natuiluspokal oder der Bernsteinhumpen, die Uhren und Elfenbeinarbeiten konnten aber bis 2002 bewundert werden. Dann wurde der Bereich geschlossen, weil die Vitrinen nicht mehr den sicherheitstechnischen Anforderungen genügten und auch die systematische Ordnung nicht mehr zeitgemäß schien. Seit 2006 läuft jetzt die Planung der erneuten Aufstellung, für die die Elfenbeinspezialistin Sabine Haag als Leiterin des wissenschaftlichen Bereichs beauftragt wurde.

Saal XXXII, Courtesy KHM Wien

Heute ist Haag Generaldirektorin des KHM. „Die Wiedereinrichtung der Wunderkammer ist mein ureigenstes Projekt. Das grundsätzliche Bekenntnis der Ministerin zu der Kunstkammer war auch der Grundstein für meine Bestellung 2008,“ erklärt Sabine Haag. Diese Sammlung ist auch tatsächlich einzigartig. Über eine Zeitspanne von fast 1000 Jahre gab das Haus Habsburg Meisterwerke der verschiedenen Epochen in Auftrag oder ließ einzelne Objekte weltweit erwerben. Die wissenschaftlichen Instrumente und Bücher, kostbaren Juwelen, Werke der Goldschmiedekunst und des Steinschnitts, Bronzebüsten, Steingefäße und Elfenbeinwerke galten in ihrer Zeit als Spiegelbild des Kosmos und der Welt, die sich im Mikrokosmos der Wunderkammer bestaunen und erfahren ließ.
Die besondere Bedeutung dieser Sammlung anerkennt auch die Bundesregierung, die der neuen Generaldirektorin trotz Sparzeiten immerhin 14.5 Mio. Euro zusagte. 3.5 Mio muss das Haus selbst auftreiben, bis dieser faszinierende Bereich mit einer Auswahl von 2500 Objekten wieder öffentlich wird, wozu im September beispielsweise ein großes Fundraising-Dinner in New York veranstaltet werden wird. Die Summe mag viel klingen, aber die Neuaufstellung des Grünen Gewölbes in Dresden, die weitaus kleinere Kleinodiensammlung, benötigte 45 Mio. Euro. Die meisten Kosten gehen dabei für Sicherheit und Ausstellungstechnik drauf, aber auch für die bauliche Sanierung der historischen Räume.
Noch sind die Räume eine einzige Baustelle. Die Vitrinen werden neu gebaut, denn nur wenige erhaltende Stücke aus dem 19.Jahrhundert können noch gebraucht werden – die späteren werden gänzlich ausgemustert, denn die sind zu grob, zu schwer und zu unsicher. Der passende Bodenbelag wird noch ausgewählt. Auch eine Bodenheizung wird neu installiert, denn die klobigen Heizkörper waren nicht nur hässlich, sondern auch fatal für das Raumklima und damit für die Objekte.

Saalansicht XXX. Courtesy KHM Wien

Die größte Herausforderung aber liegt in der Frage, wie man eine solche heterogene Sammlung von dreidimensionalen Objekten plus Tapisserien präsentieren kann. Denn einerseits soll die historische Grundstruktur erhalten bleiben, andererseits aktuelle Forschungsergebnisse berücksichtigt werden. Eine bedeutende Veränderung betrifft dabei die Exotica. Diese Zeugnisse fremder Länder und Kulturen aus dem Zeitalter der Entdeckungen aus der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts wurden lange Zeit nicht als wichtiger Bestandteil der Kunstkammer erkannt. „Heute ist uns klar, dass die Exotica in der Neuaufstellung einen eigenen Raum benötigen,“ betont die Generaldirektorin. Denn erstens wird jetzt ein stärkerer Fokus auf die Attraktivität für das Publikum gelegt werden, um ein „lustvolles Erobern“, so Sabine Haag, der Sammlung zu ermöglichen. Zweitens aber kommen gerade in diesen Objekten zeitgenössische Aspekte zur Anschauung. Denn Haag wird die Kunstkammer in der Neuaufstellung kontextualisieren, die Besonderheiten der einzelnen Werke, aber auch die Umstände ihrer Anschaffung thematisieren – und das reicht von Aspekten wie Kriege und Kolonialisierung bis zu den darin transportieren Klischees anderer Kulturen, etwa in den Türkendarstellungen aus der Zeit Leopold I.

Prunkbecken mit Schlangen, Zweites Viertel 16. Jh. © Kunsthistorisches Museum Wien

„Wir wollen einerseits die geschichtliche Entwicklung durch die Sammler und Mäzene vor Augen führen, andererseits die unterschiedlichen Formen des Sammelns zeigen,“ verrät Sabine Haag. So werden einerseits die 23 Räume auf 2500 qm in drei Sektionen aufgeteilt, beginnend mit der höfischen Schatzkammer vom Mittelalter bis zur Renaissance, im Mittelteil die habsburgischen Erzherzöge und Kaiser des 16. und 17.Jahrhundert inmitten ihrer Sammlungen des Manierismus und Frühbarocks und in der dritten Sektion die Objekte der hochbarocken habsburgerischen Auftraggeber. Andererseits folgen die Objekte innerhalb der Säle drei parallelen Erzählsträngen, die geographische, stilistische, aber auch kunsthistorische Aspekte vertiefen. Für diese Ordnungen wird es Leitobjekte geben, „Saalregenten“. Im großen Saal der höfischen Kunst etwa empfängt gleich am Anfang die berühmte Krumauer Madonna von 1393 als Vertreter des ´Schönen Stils´ die Besucher. Ein anderes Leitobjekt ist die berühmte Saliera, ein weiteres die Büste des Adrian de Vries, die Kaiser Rudolph zeigt und im Zentrum des rudolphinischen Saales in leicht erhöhter Position präsentiert wird. So kann Rudolph in souveräner Haltung über seine Sammlung hinwegblicken.

Surtout des Herzogs Karl Alexander von Lothringen (601 KB)Pieter Jozef Fonson, Jakob van der Donck, 1755; Ergänzungen 1770, 1794, Brüssel. Gold, Holz, Messing, Porzellan. © Wien, Kunsthistorisches Museum

Die größte Veränderung aber liegt in der Grundhaltung, mit der Sabine Haag und ihr Team an die Neuaufstellung herangehen. „Es ist meine tiefste Überzeugung, dass die Objekte der Kunstkammer im 21.Jahrhundert ganz besonders relevant sind,“ betont sie. Denn die Objekte erzählen von unserer Herkunft, zeigen unsere Vorstellungen von Schönheit, unseren Wunsch nach Meisterschaft wie die großartigen Werke aus Elfenbein. Anderes spiegelt zentrale und zeitlose Fragestellungen wider wie beispielsweise die Scientifica. Diese wichtigen Bestandteile jeder Kunstkammer wurden gebaut, um Raum und Zeit zu vermessen, um uns in diesen Kategorien zu verorten. Das Entscheidendste aber liegt in einem Rückgriff auf die Basis der Kunstkammer, die immer getragen war vom Glauben an einen universalen Zusammenhang aller Dinge – eine Überzeugung, die heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder an Gewicht gewinnt. Das lässt sich an der zunehmenden Bedeutung der Vernetzung der Wissenschaften ablesen – und genau dafür können die Werke der Kunstkammer Orientierungspunkte geben.

Saalansicht XXVII. courtesy Brigida Gonzales, KHM Wien

So wird die Neuaufstellung der Kunstkammer nicht nur ein kunsthistorisch bedeutender Schritt, sondern spiegelt gesellschaftliche Veränderungen und kann als Brücke zwischen Gestern und Heute gelesen werden. Entsprechend zielt die Generaldirektorin damit auch auf eine Neupositionierung des Hauses an der Wiener Ringstrasse. Ist das KHM bisher ein Touristen- und Spezialistenmagnet vor allem aufgrund seiner großartigen Gemäldegalerie, so soll hier ab 2012 das gleichwertige und sich gegenseitig erhellende Nebeneinander von freier Kunst und Kunsthandwerk präsentiert und bekräftigt werden. Damit wird einerseits ein umfassendes Gesamtverständnis (wieder-)hergestellt. Andererseits wird so die globale Ausrichtung der Sammlungen des KHM betont, die anders als in Museen moderner Kunst schon immer weit über den engen Horizont einer westlichen, eurozentristischen Beschränkung hinausging – das KHM wird dann wieder unübersehbar ein „Haus für Weltkunst“.
veröffentlicht in: Weltkunst, August No. 08, 80. Jg. 2010, S. 24ff