Küba bei TBA in Wien – Gewalt im Samtumschlag
„Das liegt in unserer Natur. Schlägereien. Kämpfe. Das fällt einem als Erstes ein, wenn man ‚Küba’ hört.“ Arif, 20 Jahre alt, wohnt im verrufenen Istanbuler Stadtteil Küba und erzählt vor laufender Kamera von seinem Leben dort, von Freundschaft und vor allem von Gewalt. Arif ist einer von den 40 Bewohnern des Barackenviertels, die der türkische Künstler Kutlug Ataman für seine Installation „Küba“ interviewte.
Wer allerdings in Wien „Küba“ hört, denkt nicht an Istanbul, sondern an Francesca von Habsburg, die ihm Rahmen ihrer Stiftung Thyssen-Bornemisza Art Contemporary (TBA 21) eine zweimonatige „Kunst-Schiffsreise“ mit abschließender Ausstellung in Wien organisierte. Den Beginn des Projekts setzte die Installation Küba des türkischen Künstlers Kutlug Ataman, die auf einem Donaufrachter durch die Donauländer Bulgarien, Serbien, Kroatien, Ungarn, Slowakei bis nach Wien reiste. An jeder Station kam die im Auftrag von TBA 21 entstandene Arbeit einer weiteren Künstlerin oder eines weiteren Künstlers hinzu. Thema der Auftragsarbeiten: das Sprechen über Minderheiten und ethnische Gemeinschaften, über Identitäten, Migration und Überlebensstrategien. Sieben jeweils „lokale“ Künstler sollten in ein „Zwiegespräch“ nicht mit- oder untereinander, sondern mit Ataman treten – eine Hierarchie, die sich in der Ausstellung in Wien ebenso spiegelt wie in den einzelnen Beiträgen.
Im ehemaligen jüdischen Theater „Nestroyhof“, das zuletzt als Supermarkt benutzt wurde und seither leer steht, bespielt Ataman ebenerdig den großen Theatersaal. Dicht beisammen stehen 40 alte Fernsehgeräte, davor je ein gebrauchter Sessel, in einem eindrucksvollen Arrangement. Ein murmelndes Stimmengewirr liegt über dem kleinen Saal, denn 40 vierzig Menschen – Jugendliche, Männer und Frauen – sprechen in Nahaufnahme über ihr Leben, über politischen Widerstand, soziale Ausgrenzung, Chancenlosigkeit und immer wieder über Freundschaft. Vor dem Saal kann man an Nedko Solakovs Bar eine Erfrischung nehmen. In der Form den Grenzlinien Bulgariens folgend, an den Außenseiten mit den für Solakov typischen kleinen Kommentaren beschriftet, führt die Arbeit einen interpretarorisch waghalsigen Salto vor: „Auf metaphorischer Ebene veranschaulicht [sie] die Transitsituation, der das Land in seiner fast fünfhundertjährigen Okkupationsgeschichte ausgesetzt war.“ Rein ausstellungstechnisch gesehen ist die schicke Bar natürlich eine willkommene Einrichtung für jede der unterwegs angelaufenen Station bzw. Ausstellungen gewesen – womit Solakov geschickt dem Auftrag des Zwiegesprächs ausgewichen ist.
Bevor es in der Wiener Ausstellung über die schmale Stiege hinunter in den Keller geht, liegen „Reiseführer“ von Matei Bejenaru aus. Es ist der mit Abstand überzeugendste Beitrag der Sieben. Bejenaru verkehrt die Opferrolle ihres Themenauftrags durch die vielen Tipps und Informationen für illegale rumänische Flüchtlinge mit Ziel England in eine gut recherchierte und tatsächlich subversive Aktion. Bejenarus Beitrag entstand allerdings schon im vergangenen Jahr – ohne den offenbar keineswegs inspirierenden Auftrag von TBA 21.
Im Keller beginnt der Rundgang dann mit stimmungsvollen Fotografien des katastrophalen Hochwassers, bevor uns Laszlo Csaki & Szabolcs Palfi auf zwölf Monitoren Spezifisches über den in Zeiten des Kommunismus fast ausgestorbenen, ungarischen Windhund namens Greyhound – ein „spezifisches Hungarikum“ – erzählen. Zelimir Zilnik lud Jugendliche zu einem Workshop ein und betitelte den daraus entstandenen, dokumentarischen Film Soap in Danube Opera. Renata Poljak begab sich auf Identitätssuche von Belgrad nach Vukovar liefert das Video eines Ehestreits. Anetta Mona Chisa & Lucia Tkacova präsentieren zwei Fotografien, die laut Pressetext „das Konzept der Klassengesellschaft auf die slowakische Gesellschaft [übertragen], indem sie eine lebende Skulptur, welche sich nach Kriterien wie Beschäftigung, Ausbildung, Einkommen, Macht und soziales Prestige zusammensetzt, errichteten.“ Eine Behauptungs-Skulptur also. Emanuel Danesch & David Rych begleiteten die Reise mit der Kamera und zeigen in einem kleinen, alten Wohnwagenanhänger vor dem Nestroyhof ihre „mobile Videothek“.
Es ist ein organisatorisch gewaltiges Projekt, das Thyssen-Bornemisza Art Contemporary mit dieser Reise gemeistert hat. Über die genauen Kosten wird die Auskunft verweigert, vom Bundeskanzleramt allerdings kamen 240.000,- Euro staatliche Subvention hinzu. Die für das Projekt entstandenen Auftragsarbeiten sind im Besitz von Francesca von Habsburg. Ein Katalog zur Ausstellung dokumentiert das Projekt „Küba“. Ein weiterer Katalog ist eigens Atamans Installation „Küba“ gewidmet – und bündelt in dunkelrotem Samteinband und edel verstärkten, glänzenden Ecken Auszüge der vielen Monologe über Armut und soziale Randsituationen zum Nachlesen.
veröffentlicht in: www.artnet.de, 1. Juli 2006
„Küba – Reise gegen den Strom“, Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, Wien. 24. Juni bis 9. September 2006