SBV: Malerei des 16. Jahrhunderts, Münzen, Bücher und neuerdings auch Skulpturen des 19. Jahrhunderts – warum sammelst Du Historisches?
Wim Delvoye: Anfangs habe ich zeitgenössische Kunst gekauft, Fotografien von Robert Mapplethorpe beispielsweise. Aber das ist sehr teuer.
Mein Interesse für Historisches begann mit Münzen – deren reiner Metallwert entspricht meist schon dem Verkaufspreis. Allerdings benötigt man dafür viel Fachwissen. Außerdem kaufe ich Inflationsgeld aus Deutschland und Österreich, da habe ich mittlerweile wahrscheinlich jeden je ausgegebenen Geldschein.
SBV: Tauschst Du auch mit anderen Künstlern?
WD: Mapplethorpe war schon tot – die Guten sind meist tot. Es braucht Zeit, bis man große Qualität erkennt.
SBV: Kaufst Du die Objekte nur als Sammelobjekte oder auch als Anregung für Ihre Kunst?
WD: Nicht die Münzen und Geldscheine, aber die Skulpturen der französischen Bildhauer Mathurin Moreau (1820-1899) und Charles Octave Levy (1822-1899) waren direkter Ausgangspunkt für meine Ausstellung im Louvre. Ich weiß nicht viel über die beiden Künstler, die Objekte sind aus dem späten 19. Jahrhundert und kosten auch nicht viel, wenige Tausend Euro. Aber ich liebe die Kompositionen, diese geometrische Form hinter der Frau, die Mondsichel, Claudions Skulptur mit dem Spiegel in der Hand … Claudion war im 19. Jahrhundert sehr berühmt, mehr als Gerhard Richter heute. Jetzt ist er nahezu vergessen. Ich habe die Figuren wegen der geometrischen Formen ausgesucht. Wenn die eingescannt sind, drehen wir die Skulptur von dem Spiegel oder der Sichel aus in einem speziellen Computerprogramm mehrmals um ihre eigene Achse.
SBV: Wie kamst Du dazu, historische Kunstwerke auf Auktionen zu ersteigern?
WIM DELVOYE: Ich bin ein Künstler, habe ein Auge für Kunst, mein Wissen seit Jahren ausgebaut. Es ist einfach das, was ich am besten kenne. Ein Kollege – ich nenn keinen Namen – hat vor einigen Jahren Intel gesammelt, diese Chips in Computern. Ich hab ihn gefragt, was er denn darüber wisse. Nichts, aber es sei eine gute Anlage … Wir sollten in das investieren, womit wir uns auskennen. Angefangen habe ich mit Münzen, dann Bücher, danach Malerei. Aber eigentlich ist mein Interesse nicht eingeschränkt, ich habe auch eine griechische Vase. Es ist viel günstiger in alte Bücher zu investieren als zeitgenössische Kunst zu kaufen.
SBV: Welche Art von Büchern?
WIM DELVOYE: Das verändert sich, auch weil es regelrechte Moden im Antiquitätenhandel gibt. Vor ein paar Jahren waren botanische Bücher gefragt, jetzt sind Reisebücher gesucht. Diese Moden wechseln weitaus schneller als im zeitgenössischen Kunstmarkt, wo man Jahr für Jahr ungefähr dieselben Künstler auf der Art Basel sieht.
SBV: Wann hast Du mit dem Sammeln Alter Meister begonnen?
WIM DELVOYE: Schon vor längerer Zeit. Aber als ich vor drei oder vier Jahren die Einladung vom Louvre und dann für das Rodin-Museum erhielt, hat mich das noch einmal zum Kaufen stimuliert. Die Beschäftigung geht parallel zu meinem Werk, es gehört zusammen. Und manchmal sehe ich unglaubliche Angebote – da kann ich mich nicht zurück halten.
SBV: Hast Du in der Malerei besondere Vorlieben, ein Zeitalter oder ein Sujet?
WIM DELVOYE: Ich schaue zuerst auf die Qualität der Malerei. Oft sind es Werke aus Norditalien, die mir gefallen, meist frühes 17. Jahrhundert. Religiöse Themen mag ich gar nicht – damit entfällt schon der größte Teil. Besonders fasziniert mich das Caritas Romana-Motiv, die Tochter, die ihren Vater im Gefängnis mit ihren Brüsten nährt – diese Bilder sind im heutigen New York undenkbar! Auch die kleinen Skulpturen von Levy und Moreau zeigen eine andere Moralvorstellung – die Mädchen sind keine 14 Jahre alt, das sieht man an den kleinen Brüsten und dem Venushügel. Aber in dem dunklen Farbton der Bronze kann man das nicht so deutlich erkennen. Stell dir die Skulptur in vielen Farben vor – das ginge gar nicht, das würde unter Pädophilie fallen!
SBV: Wie schützst Du dich vor Fälschungen?
WIM DELVOYE: Ich gehe immer mit einem Restaurator zur Vorbesichtigung. Ich will auch keine aufgearbeiteten Werke, die können gerne Spuren der Zeit tragen.
SBV: Du besitzst ein historisches Schloss aus dem 18. Jahrhundert in Gent. Wohnst Du dort oder zeigst Du dort nur Deine Sammlung?
WIM DELVOYE: Das ist eine lange Geschichte. Ich möchte hier einen Skulpturenpark errichten, meine Werke aufstellen, habe Ai Weiwei eingeladen, eine Brücke über den Wassergraben zu bauen. Aber ohne Erlaubnis des Natur- und Denkmalschutzes darf man nicht einmal den Wassergraben reinigen – was ich allerdings tat und dafür eine Anzeige erhalten habe. Alles hier ist reglementiert. Mittlerweile sind mehr als 80.000 Euro Strafen zusammen gekommen, aber ich weigere mich, die zu zahlen – die Anklagen hängen alle auf dem großen Tor vor dem Schloss! Ich beschäftige vier Anwälte dafür. Der Schlossturm etwa ist eine Fantasie-Architektur aus dem 19. Jahrhundert – welcher Zustand ist denn das Original? Umgekehrt wurden die alten Eichen auf meinem Grund ohne mein Wissen gefällt – weil es amerikanische, also nicht-heimische Bäume sind!
SBV: Wo soll der Skulpturenpark errichtet werden?
WIM DELVOYE: Zu dem Schloss gehören 16,5 Hektar Land, und letztes Jahr habe ich noch das angrenzende Schloss mit weiteren 2,3 Hektar Land gekauft. Manche der jungen Bäume hier sind für meine Skulpturen gepflanzt, insgesamt 30 verschiedene spiralförmige Formen, die um die Stämme gewunden sind und dann ineinander wachsen. Aber die große, die auch 2009 im Peggy Guggenheim Museum in Venedig ausgestellt war, darf ich nicht aufstellen, weil dafür ein Betonsockel notwendig ist – obwohl mir all dieses Land gehört! Also bringen wir den Turm jetzt nach China.
SBV: Im Schloss hängen einige alte Meister und daneben stehen Deine Werke – wird das eine permanente Ausstellung?
WIM DELVOYE: Vielleicht später, jetzt stelle ich hier einiges zusammen, einige alte Möbel, oben die flämischen Kirchenmöbel und im Eingang eine Hochzeits-Truhe aus dem späten 15. oder 16. Jahrhundert.
SBV: Was hat diese Truhe gekostet?
WIM DELVOYE: Ungefähr 7000 Euro und noch einmal 4000 für den Transport, weil die so schwer ist. Das Bild ist eine Kopie von Anthonis van Dyck, das Original ist in München, aber ich finde mein Jesus-Gesicht schöner. Ich habe auch eine Kopie der Mona Lisa aus dem 17. Jahrhundert, für die ich 80.000 Euro gezahlt habe – das ist viel für eine Kopie! Ein anderes Bild ist von Jacques Blanchard (1600-1638). Neulich wollte ich mit bei der Eröffnung meiner Ausstellung im Louvre über diesen Künstler reden und alle taten so, als ob sie ihn kennen – als wäre er ein angesagter zeitgenössischer Künstler! Blanchard war ein Freund von Georges de La Tour (1593-1652), damals extrem berühmt, heute fast vergessen. La Tour war damals bekannt für sein malerisches Licht, Blanchards Spezialität war der horizontale Körper: Sein Werk zeigt nur mythologische oder religiöse Motive, die ihm immer als Anlass für liegende Körper dienten. Das Bild erzählt die Geschichte von Amor und Psyche, aber hier ist Amor kein junger Mann, sondern ein kleiner Knabe, und Psyche hat ein Messer – sehr merkwürdig! Wenn man bedenkt, was ein Andy Warhol kostet, und das dann mit diesem Werk vergleicht – wie unvergleichbar interessanter es ist! Können ist offensichtlich heute kein großer Wert mehr.
SBV: Herzlichen Dank für das Gespräch.