Nur rund 500 Skulpturen fertigte er an und ist heute der teuerste Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Auf dem Markt werden aber werden von Alberto Giacometti (1901-1966) weit mehr Werke angeboten – denn der Holländer Robert Driessen fügte dem schmalen Oeuvre Fälschungen hinzu.
Von bis zu 1200 ist die Rede, viele tragen eine Giacometti-Signatur und sogar den passenden Gießereistempel. Jetzt steht er vor Gericht und ist des banden- und gewerbsmäßigen Betrugs angeklagt. Zwischen 2003 bis 2009 soll er als künstlerischer Kopf dieser Bande die Metallskulpturen geliefert haben, die für bis zu 4 Millionen Euro auf den Markt gebracht wurden. Jetzt stand Driesses vor Gericht und legte ein Geständnis ab.
Aber kann man den Fälscher überhaupt anklagen? Schließlich hat er selbst keine Arbeit auf den Markt gebracht. Dafür war der „Reichsgraf von Waldstein“ zuständig, der sich als Freund von Giacomettis jüngeren Bruder Diego ausgab – und alle glaubten dem ehemaligen Heizer aus der DDR bereitwillig. Sogar die abstruse Geschichte, diese Skulpturen würden aus einem geheimen Fundus stammen, ließ kaum jemanden aufhorchen. Wer zweifelte und einen Echtheitsbeweis verlangte, erhielt gefälschte Zertifikate und das Buch „Diegos Rache“. Darin wird die Geschichte des geheimen Horts erzählt – wie einfach doch das Schwindeln im Kunstmarkt ist! Wohl auch, weil bis heute kein Werkverzeichnis Giacomettis existiert, fielen Händler, Auktionshäuser, Käufer und sogar Museen darauf rein. Der Bankier Wolfgang Schuppli kaufte sogar 52 dieser Fälschungen.
Vor sechs Jahren flog der Schwindel dann auf. Einem verdeckten Ermittler des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg wurden fünf falsche Skulpturen für 338.000 Euro angeboten. Bald fand man das Lager in Mainz, der Mainzer Kunsthändler Schulte und zwei Wiesbadener Händler, dann auch der falsche Graf sind bereits zu mehr als sieben Jahren Haft verurteilt. Nur der Künstler fehlte, er war in Thailand untergetaucht und konnte erst bei seiner Rückreise nach Holland erwischt werden. Zum Prozessauftakt sagte Driessen, wer seine Skulpturen kaufe, sei selber schuld. „Die Kunstwelt ist verrottet. Wer glaubt, für 20.000 Euro einen echten Giacometti kaufen zu können, verdient es, hinters Licht geführt zu werden,“ sagte er der Zeitschrift „Spiegel“.
Vieles an diesem Fall ist typisch für Kunstfälschungen. So erfand auch der jüngst aus dem Gefängnis entlassene Fälscher Wolfgang Beltracchi eine abenteuerliche Geschichte, um seine Neuschöpfungen von Max Pechstein oder Max Ernst an den Mann zu bringen. Gefälschte Dokumente, vermeintliche Korrespondenzen und falsche Inventare spielen immer wieder eine wichtige Rolle. Und auch die fehlende Reue aufgrund der ´Gier im Kunstmarkt´ und der Schmerz über die fehlende Anerkennung des eigenen Werkes findet man häufig – und zwar seit Jahrhunderten. Der Heidelberger Kunstgeschichtsprofessor Henry Keazor erzählt jüngst in seinem Buch „Täuschend Echt“ (Theiss Verlag) von zahlreichen Fällen seit der Frühen Neuzeit. Das beginnt mit niemand Geringerem als Michelangelo, der einmal ein Werk der Antike fälschte. Keazor berichtet von den zahlreichen Kopien von van Gogh, die unter anderem von seinem Arzt angefertigt wurden, bis zu Elmyr de Horys systematischen Picasso-, Renoir- und Matisse-Zeichnungen und dem Fall Beltracchi.
Immer wieder steht dabei die Frage zur Diskussion, ab wann der Tatbestand ´Fälschung´ zutrifft. Wann sprechen wir von Plagiat, Imitat oder nur Stilaneignung, von Nachahmung, einer Hommage, Fingerübung? Und ändert die Tatsache der Kopie etwas an der Schönheit des Werkes, das Wissen über die Entstehungsumstände etwas an der Einschätzung? Immerhin werden bereits Werke von Fälschern gefälscht wie im Falle von Han van Meegerens, der über Jahre erfolgreich neue Vermeer-Gemälde schuf, diese auch an Herman Göring verkaufte und deswegen wegen Kollaboration mit den Nazis angeklagt wurde. Da gab er dann schnell seinen Nebenerwerb zu. Andere Künstler fügten absichtlich klare Hinweise ein wie der Maler und Restaurator Tom Keating, der in den 1970er Jahre entlarvt wurde. Er hatte in Bleiweiß Botschaften an seine Kollgen in den Restauratorwerkstätten auf die Leinwand geschrieben, die beim Röntgen unter der Malerei sichtbar wurden, und baute Anachronismen ein – „Zeitbomben“ nannte Keating diese Details, mit denen er den korrupten Kunstmarkt entlarven wollte.
Der Tatbestand der Fälschung ist grundsätzlich dann gegeben, wenn eine falsche Künstlersignatur und eine technische Manipulation hinzugefügt wird. Manche bedienen sich aber der Methode der „Hyperrestaurierung“, wie es Keazor nennt: Der belgische Maler-Restaurator Jef van der Veken ´rekonstruierte´ schlecht erhaltene Bilder, die durch den Bankier Emile Renders als alte flämische Meister verkauft wurden – einiges davon findet sich bis heute in der Forschungsliteratur. Überhaupt spielt die akademische Welt eine wichtige Rolle in der Geschichte der Fälschungen – denn willentlich oder nicht, oft sind es erst die Spezialisten, die den Betrug zum Erfolg führen. Die „Eitelkeitsfalle“ nennt Keazor dieses Schema, wenn Akademiker bei der Aussicht auf Ruhm jede Vorsicht beiseite lassen. So fiel 1896 das Louvre auf eine angebliche Tiara (goldene Krone) des Königs der Skythen hinein, das New Yorker Metropolitan Museum kaufte zwischen 1915 bis 1921 drei angeblich seltene, etruskische Terrakotta-Figuren. Aus viel zu dickem Ton geformt, hätten sie als plumpe Fälschungen sofort auffallen müssen, aber die Museums-Expertin für Antike freute sich wohl zu sehr über den sensationellen Fund, der trotz früh geäußerter Zweifel erst 1961 als solcher anerkannt wurde.
Wer aber trägt die Schuld bei Fälschungen – die Künstler? Sind sie Betrüger oder verkannte Genies? Sind die Käufer aufgrund ihrer Gier selbst schuld, wie es der Giacometti-Fälscher Driessen gerade wieder formulierte? Liegt die Schuld also in der Verantwortung der gierigen Kunden, oder der allzu eitlen Wissenschaftler? Funktionieren Fälschungen gar erst durch die unterstützend wirkenden, „sensationsheischenden Medien“ (H. Keazor)?
Im Fall des Giacometti-Fälschers Driessen ist die Schuldfrage geklärt: Am 22.7.2015 wurde er zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Der wichtigste Garant für erfolgreiche Fälschungen liegt aber außerhalb des Kreises etwaiger Schuldiger. Denn nach wie vor existiert keine Datenbank bereits entlarvter Fälschungen – die dadurch oft wieder im Handel landen. So sollte im Oktober 2012 in Dubai ein Moise Kisling zugeschriebenes Bild versteigert werden. Der Vorbesitzer: „Collection Jagers“ und „Collecton Beltracchi, Palma“. Erst nach heftigen Protesten wurde Beltracchis Fälschung zurückgezogen.
Driessen übrigens verkauft seine sehr schlichten Giacomettis weiterhin: „Original Giacometti Reproductions“ kosten auf seiner Homepage zwischen 750-2000 Euro. Ein echter Giacometti dagegen kostet bis zu 126 Millionen Euro.
Veröffentlicht in: Die Presse, 26.7.2015
Alle Abbildungen stammen aus der Ausstellung „Giacometti – Pionier der Moderne“ im Leopold Museum 2014/15.
Bildlegenden:
1_Inge Morath, Alberto Giacometti in seinem Atelier, 1958, Inge Morath/Magnum Photos © Inge Morath/The Inge Morath Foundation/Magnum Photos © Inge Morath/The Inge Morath Foundation/Magnum Photos; Alberto Giacometti Estate/Bildrecht, Wien 2014
2_Alberto Giacometti, Schreitender Mann, 1947, Kunsthaus Zürich, Alberto Giacometti-Stiftung © 2014 Kunsthaus Zürich © Alberto Giacometti Estate/Bildrecht, Wien 2014
3_René Burri, Alberto Giacometti beim Modellieren einer Büste seines Bruders Diego, 1960 © René Burri/Magnum Photos ©Alberto Giacometti Estate/Bildrecht, Wien 2014; René Burri/Magnum Photos
4_Alberto Giacometti, Der Käfig (erste Version),1950, Sammlung Klewan, München © Sammlung Klewan, München © Alberto Giacometti Estate/Bildrecht, Wien 2014