Künstlerboykott Abu Dhabi

26. Mrz. 2011 in Reisen

Künstlerboykott in Abu Dhabi

Der Termin ist gut gewählt: Am 16.März, pünktlich zur Eröffnung der Art Dubai und der Sharjah Biennale, berichtete die International Herald Tribune von einem brisanten Künstlerboykott. In einem Brief an den Direktor der Solomon Guggenheim Foundation hatte Walid Raad die schlechten Arbeitsbedingungen beim Bau der neuen Museen auf dem Saadiayt Island in den Vereinigten Emiranten angeklagt: „Denjenigen, die mit Steinen und Mörtel arbeiten, sollte der gleiche Respekt zustehen wie denjenigen, die Kameras und Pinsel benuten.

Auf der natürlichen Insel in Abu Dhabi entsteht u.a. das von Frank Gehry geplante, 800 Mio. Dollar teure „Abu Dhabi Guggenheim“, das 2014 fertig gestellt sein soll. Auch wenn das New Yorker Museum hier nur seinen Namen als Marke hergibt, müsse die US-amerikanische Institution trotzdem die Verantwortung für das Wohlergehen der Arbeiter tragen, fordert Raad zusammen mit der Organisation Human Rights Watch (HRW). Und der in New York lebende, libanesische Künstler rief öffentlich seine Künstlerkollegen auf, dem Abu Dhabi Guggenheim keine Werke zu verkaufen oder auszuleihen, bis die Missstände verbessert sind: „Unsere Zusammenarbeit mit dem Guggenheim in Abu Dhabi (und für einige von uns mit anderen Guggenheim-Orten) wird nicht fortgesetzt, wenn die Stiftung nicht Schritte unternimmt, die Rechte der Arbeiter auf der Baustelle des Museums auf dem Saadiyat Island zu sichern.“

Spätestens seit der documenta 2002 gehört Raad zu den international bekanntesten Künstlern der arabischen Region, der mit seinen fiktiven Dokumentationen der „Atlas Group“ immer wieder höchst politische Arbeiten ausstellt. Seine Worte haben Gewicht. Schnell griffen weltweit die Medien den Aufruf auf und in einer öffentlichen Petition unterschrieben mit Stand vom 23.3. bisher 1000 Künstler mit ihren Namen: Kader Attia, Santiago Sierra, Tania Bruguera, Thomas Hirschhorn, Katharina Sieverding, Harun Farocki, Hans Haacke, Shirin Neshat, Mona Hatoum, Katharina Sieverding – die Liste ist prominent und wird stündlich länger.

Hintergrund dieser Aktion ist eine Information, die Raad bereits vor einem Jahr von einem Human Rights Watch-Mitarbeiter erhielt. Daraufhin  informierte Raad das Guggenheim in New York, die sich aber allzu lang zierten, auf die kolportierten Missstände zu reagieren. Noch bevor Raad die Arbeitsbedingungen selbst gesehen hatte, platzierte er genervt von der Hinhaltetechnik des Guggenheims diesen Boykott – überstürzt, wie sich sofort herausstellte. Denn TDIC, das verantwortliche Entwicklungsunternehmen (Tourism Development & Investment Company) in Abu Dhabi, hatte mittlerweile eine absolut vorbildliche Siedlung für die bis zu 40.000 Arbeiter gebaut, mit Cricketplatz und Bibliothek. Sogar Palmen und Grünanlagen sind auf den bereitgestellten Fotografien zu sehen.

Am 19.3. schickte TDIC dann einen Bus nach Sharjah und lud 12 KünstlerInnen, darunter Raad und Emily Jacir, zu einer Besichtigung ein. Vor Ort war nichts schockierend. Sogar das sonst strengsten verbotene Fotografieren erlaubten die Verantwortlichen den Künstlern, so sicher sind sie sich über die präsentierten Standards der Arbeitersiedlung.

Der ganze Wirbel ist also ein Sturm im Wasserglas? Nicht ganz. Denn tatsächlich sind die Arbeitsbedingungen der Fremdarbeiter in den Emiraten und auch in Qatar noch immer erschreckend – und das kann nicht oft genug thematisiert werden. Aber TDIC zumindest hat zahlreiche Schritte für faire Arbeitsbedingungen eingeführt, die auch eine unabhängige Überwachungskommission für regelmäßige Berichte und das Verbot von Anwerbungsgeldern umfassen. Auch wenn TDIC in diesem Fall der falsche Adressat für die Anklage war, so ist es doch begeisternd zu sehen, dass ein Künstlerboykott einen derartigen medialen Druck erzeugen kann.

veröffentlicht in: Die Presse, 26.3.2011