Immer häufiger protestieren Künstler und drohen mit Boykott. Früher war es oft aus Unzufriedenheit mit den Entscheidungen von Kuratoren, wenn ihnen die zugewiesenen Räume oder Nachbarschaften nicht passten. Heute richten sie sich zunehmend gegen Zensur oder unethische bzw. politisch problematische Verbindungen durch Sponsorengelder.
„Unkenntnis“ und „Nachgiebigkeit gegenüber dem internationalen Kunsthandel“ warfen 1964 zehn Künstle dem documenta-Rat vor, der deutsche Maler „nur auf dem Dachboden“, ausländische Künstler dagegen in den großen unteren Räumen platziere. Sie forderten, dass Künstler im documenta-Rat sitzen sollen – ein Traum, bis heute. Politisch motiviert verlief der Protest auf der 34. Biennale Venedig 1968: Als Reaktion auf die Studentenunruhen errichtete die Polizei ihr Hauptquartier im italienischen Pavillon. Daraufhin verdeckten einige Künstler ihre Werke, drehten sie um oder eröffneten ihre Ausstellungen erst gar nicht. Und auf der documenta 7 1982 protestierten Maler und Bildhauer gegen Atomwaffen. Jüngst ereignete sich auch in Wien ein kleiner Boykott, als Leonid Tishkov 2013 sein Werk aus der Sammlungsausstellung der Gazprom Bank in der Albertina entfernen ließ, als Zeichen seines „Protests gegen die Ölförderung in der Arktis, die von Gazprom durchgeführt wird“.
In den letzten Jahren steht zunehmend die oft bigotte Verbindung von Sponsor und Ausstellung zur Debatte wie zur Istanbul Biennale 2013. Dort hatte die Polizei auf die Demonstranten im Gezi-Park geschossen, mit Waffen, wie sie die Koc Holding verkauft – deren Kultur-Ableger, die Vehbi Koc Stiftung, Hauptsponsor eben jener Biennale ist, die sich auf die Seite der Parkbebauungs-Gegner stellte. Während diese Diskussionen noch folgenlos blieben, verlief ein ähnlicher Sponsor-Konflikt in Australien weitaus folgenreicher. Anfangs 2014 initiierte der Australier Matthew Kiem eine Kampagne gegen die Sydney Biennale, die 1973 von dem Transfield-Unternehmer Belgiorno-Nettis gegründet wurde. Gut 40 Jahre später steht die Veranstaltung wegen genau dieser Firma, die seither die Ausstellung als Hauptsponsor mit Millionen förderte, im Fokus: Das multinationale Unternehmen erhielt vom Staat den lukrativen Auftrag, Flüchtlingslager in dem Staat Nauru und auf der Manus Insel zu bauen und zu verwalten. Kiem schlossen sich vier australische Künstler als „Working Group“ an, gemeinsam forderten sie die sofortige Beendigung der Zusammenarbeit mit dem Sponsor, der „von der Abschiebungs-Industrie Australiens profitiere“. 24 KünstlerInnen, die zur Teilnahme an der Ausstellung eingeladen waren, zogen ihre Werke zurück, weil sie nicht mit den „unethischen Praktiken“ und dem „Verstoß gegen die Menschenrechte“ assoziiert werden wollten. Nachdem die Biennale-Organisatoren zunächst an ihrem Hauptsponsor festhielten, gab dieser schließlich selbst auf. Luca Belgiorno-Nettis, Sohn des Gründers, Direktor der Transfield Holding und Präsident des Biennale-Vorstands, trat zurück – wohl nicht zuletzt, weil durch den enormen Medienrummel auch internationale Geldgeber laut über ihren Rückzug nachdachten.
Jetzt verursacht ein Künstlerboykott in Südkorea erneut deutliche Konsequenzen, diesmal aus Anlass einer staatlichen Zensur. 1980 demonstrierten Studenten gegen die Militärregierung für demokratische Rechte. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen. In Erinnerung an das Ereignis und als Jubiläumsausstellung für die heurige 10. Gwangju Biennale eröffnete gerade „Süße Frische – Nach 1980“. Die Stadt Gwangju, mit knapp 2 Mio. Euro Hauptsponsor der Biennale, stieß sich jedoch an einem Bild und verlangte die Entfernung – woraufhin jetzt 13 Künstler mit einem Boykott der Ausstellung drohen. Anlass der Zensur ist Hong Seong-dams satirisch angelegtes, 10 Meter langes Gemälde „Sewol Owol“, dass das Fährunglück im April dieses Jahres aufgreift. Von 476 Menschen überlebten nur 174. Der Künstler zeigt Koreas Präsidentin Park Geun-hye als Vogelscheuche, die von einem Militär festgehalten wird. Er verbindet das Fährunglück mit den Ereignissen von 1980: ´owol´ heißt Mai, jener Monat der tödlichen Protestniederschlagung In der New York Times vom 30.8.2014 wird er zitiert: “What they did was proof of what I tried to say in the painting. Under Park Geun-hye, the country is reverting to the old practices of her father’s era, repressing freedom of expression.” Zwar überarbeitete der Künstler sein Bild noch schnell, verwandelte die Präsidentin in ein Huhn, aber das Bild musste trotzdem entfernt werden. Daraufhin trat der Kurator zurück, denn Zensur entspreche nicht dem „Geist von Gwangju“. Auch Yongwoo-Lee, damals an den Protesten beteiligt, Mitbegründer und Leiter der Biennale Foundation, legte seine Ämter nieder – er hatte die Zensur mitgetragen. Im Interview mit Julie Baumgardner für Art in America erklärt er: „First, this reflects the way that a provincial municipality gets subordinated to a more powerful central government. Also, the Gwangju Biennale Foundation depends on the provincial and central governments for support, which makes up roughly 37 percent of our total budget. I am acutely aware that this is quite high in comparison to other biennales. In the case of Korea, the idea of the central and local governments‘ policy of „funding without interference“ is very much emphasized on the outside. Internally, however, there are many restricting eyes. On the other hand, because it is exceedingly conscious of these financial issues, the biennale is now in danger of losing the people’s trust. This is an even greater problem.
Wieweit sich der Boykott auf die Biennale auswirken wird, ist am 5.9. zu sehen, dann eröffent die 10. Gwangju Biennale unter der künstlerischen Leitung von Jessica Morgan, die den Titel „Burning Down the House“ wählte. Denn die boykottierenden Künstler erhielten Flankenschutz von einem japanischen Museum: die gewünschte Ausleihe eines Werkes von Käthe Kollwitz erfolge nur, wenn „Sewol Owol“ ausgestellt wird.
in kürzerer Form veröffentlicht in: Die Presse, 31.8.2014