Mahlzeit – und noch ein allzu großes Thema, diesmal im Dom Museum Wien

12. Okt. 2022 in Ausstellungen

Izumi Miyazaki, Broccoli, 2017, Courtesy of the artist, © Izumi Miyazaki, Foto: Izumi Miyazaki. Dom Museum, Wien

Das Tier im MUMOK, der Baum im Belvedere, jetzt Mahlzeit im Dom Museum – der Reigen thematisch einspuriger Gruppenausstellungen in Wiener Museen geht weiter. Sicherlich, auch dieser Aspekt unseres Lebens ist wieder weitreichend: Ob beim festlichen Gastmahl oder einer alltäglichen Mahlzeit, kaum etwas verbindet Individuen so stark wie ein gemeinsames Essen. Es sei DAS Thema der Menschheit, ist sich Johanna Schwanberg, Direktorin des Dom Museum, sicher. Also stellt sie ihre sechste, epochenübergreifende Themenausstellung des Hauses am Stephansdom darunter. Ähnlich wie die vorherige „Arm & Reich“-Ausstellung verbindet auch diese Schau die sakralen mit den weltlichen Sammlungsbeständen des Museums. „Mahlzeit“ sei zwar weitaus sinnesfreudiger angelegt, im Laufe der Vorbereitungen dann immer ernster geworden, erklärt Schwanberg während der Einführung. Daher reicht die Ausstellung jetzt von gemeinschaftsbildenden Aspekten bis zu Klimafragen und Fragen von Machtverhältnissen.

Josef Danhauser, Der reiche Prasser, 1836, Belvedere, Wien, Foto: © Belvedere, Wien, Foto: Johannes Stoll

Am Beginn sehen wir Elinor Caruccis Fotografie einer stillenden Mutter, kombiniert mit vier Werken zum letzten Abendmahl. Steht dieses Motiv der um Jesus versammelten Jünger für Religion, vielleicht für Verrat oder gar den sich ankündigenden Tod? Oder für Kommunität, also einen Ort der Gemeinschaft? Darauf will sich die Direktorin nicht festlegen, wie überhaupt diese Ausstellung fröhlich offen angelegt ist. Heißt: Hier findet sehr vieles Platz, und das gerne in Petersburger Hängung dicht über- und nebeneinander gedrängt. Einiges wurde eigens für die Schau beauftragt wie die fragilen Engelsfiguren aus Margarine in einer Kühlvitrine von Sonja Alhäuser, oder die üppige Tischskulptur von Götz Bury, deren Beine aus Staubsaugerrohren und die Tischplatte aus Spülbecken gebaut sind. Die Opulenz herrschaftlicher Tafeldekoration verkehrt Bury durch zweckentfremdete Blechmaterialien ins Gegenteil. Wunderbar dazu Josef Danhausers Gemälde „Der reiche Prasser“, das einen Bettler zeigt, der eine feine Tischgesellschaft stört. Und Albin Egger-Lienz´ „Tischgebet“ mit drei Männern, die vor einer leeren Schale beten. Das sind schöne Kontraste, wenn auch sehr naheliegend. Ähnlich plakativ ist auch Klaus Pichlers „One Third“-Serie angelegt, die den langsamen Verfall von Lebensmitteln zeigt und im Titel den Fakt anspricht, dass weltweit ein Drittel aller Nahrung wegen Lagerproblemen oder Vergeudung verschwendet wird.

Klaus Pichler, One Third – ein Projekt ¸ber Lebensmittelverschwendung, Erdbeeren, 2011, Courtesy of the artist, © Klaus Pichler, Foto: Klaus Pichler

Das letzte Kapitel führt uns die „Politik auf dem Teller“ vor: die ehemals von Nomaden verwendeten Kochtöpfe der saudischen Künstlerin Maha Malluh erinnern an eine Lebensweise im Einklang mit der Natur, erklärt uns der Katalog. Gregg Segal legt in seiner Foto-Serie „Daily Bread“ Kinder inmitten von Nahrungsmitteln, versehen mit dem Ort ihrer Heimat: Junk Food in Los Angeles, Selbstgekochtes in Kuala Lumpur – auch Vorurteile wollen bewiesen werden. Ganz am Ende wartet dann doch noch ein überraschender und irritierender Beitrag auf uns: Zina Saro-Wiwas Videos „Table Manners“ zeigen uns Schwarze beim Essen traditioneller Mahlzeiten in Nigeria. Ob Fleisch oder Kürbisblattsuppe, alles wird ohne Besteck mit Fingern gegessen. Die Akteure schauen grantig-herausfordernd direkt in die Kamera, als würden wir mit am Tisch sitzen. Sie starren uns an. Schweigend. In manchen Kulturen gilt eine schweigende Mahlzeit als Strafe. Der Stillenden am Ausstellungsanfang als Inbild von Harmonie steht hier ein zorniges Selbstbewusstsein gegenüber.
All das sind interessante Aspekte eines weitreichenden Themas, dessen Tragweite im Katalog im sehr lesenswerten Interview mit der Soziologin Eva Barlösius noch erweitert wird, wenn sie etwa sagt: „Man könnte Kolonialgeschichte als Geschichte des Essens schreiben,“ denn es ginge damals wesentlich um Nahrungsmittelproduktionen. Aber warum wird dieses Thema hier wie auch in den beiden anderen Museen wie eine – vorwiegend geopolitisch westlich ausgerichtete – Enzyklopädie präsentiert? Verlieren die Werke und auch manche Aspekte der Themen nicht ihre Komplexität, wenn sie eingepfercht sind in Kategorien und Schlagworte? Wären nicht die Fußnoten und Ränder spannender als Bekanntes bildlich zu manifestieren? Vielleicht wäre es langsam an der Zeit, diesem Format eine Pause zu gönnen.

Dommuseum, Wien, 29.9.2022-27.8.2023
veröffentlicht in: Die Presse, 29.9.