Momentum 8 – Nordic Biennale, Norwegen

26. Jul. 2015 in Biennalen

Momentum 8 // SBV

Momentum 8 // SBV

Wenn der Mann die Butter im Kühlschrank nicht findet, nennt man das einen Tunnelblick. Was mag dann eine „Tunnel-Vision“ sein? Diesen Titel wählte ein vierköpfiges Kuratorenteam für die heurige 8.  Momentum Biennale in Moss. Die kleine Küstenstadt gut 50 Kilometer südlich von Oslo ist seit 1998 Austragungsort der „Biennale für nordische Kunst“. Heuer wird also kein weiter, sondern ein verengter Blick thematisiert? Kurator Enqqvist spricht im Interview mit der Zeitschrift Monopol von einem Blick in „die Welt, die jeder von uns alleine bewohnt“: „Abweichend vom Modell des Künstlers, der sich der Welt total öffnet, interessiert uns eine nach innen gerichtete künstlerische Praxis.“

Galleri F15, Moss // SBV

Galleri F15, Moss // SBV

Das ist eine spannende Entscheidung, auf einer Biennale nicht die ganze Welt inklusiv aller Probleme einzufangen, sondern dem Scheuklappenprinzip zu folgen – aber kann das gutgehen? Nur 25 Künstlern wurden eingeladen. Damit ist Momentum 8 eine vergleichsweise kleine Ausstellung, aufgeteilt auf die Momentum Kunsthall und die Galleri F15. In ihren teils aktuell entstandenen Werken konzentrieren sich die KünstlerInnen auf Welten, die individuelle Ideen bis zur ultimativen Konsequenz führen.

Crystoball Lehyt

Crystoball Lehyt

Exzentrische und obsessive Kunst, die keine Rücksicht nimmt auf den 0815-Geschmack des aktuellen Kunstmarktes, die sich von den Fesseln der plakativen Reproduzierbarkeit löst und keine aktuellen Themen platttritt – gibt es das überhaupt noch? Diese Biennale beweist: ja, und es ist noch dazu künstlerisch erfreulich überzeugend und vielseitig. Da treffen Verschwörungstheorien (Edward Schenks Trailer zu Verbindungen zwischen der Biennale und der norwegischen Ölindustrie) auf Psychodelisches (die gespenstischen Bilder des Chilenen Crystobal Lehyt), Recherchen auf Obsessionen.

Fujiko Nakaya // SBV

Fujiko Nakaya // SBV

Gleich zu Beginn hüllt Fujiko Nakaya den Eingangsraum der Kunsthalle in einen dichten Nebel. Die Arbeit trägt die Nummer 01494 – ist das eine fortlaufende Nummerierung? Die japanische Künstlerin zeigte ihre erste Nebelinstallation 1970 in dem von E.A.T. konzipierten Pepsi Pavillon auf der Expo in Osaka – jener Pavillon, der gerade im Museum der Moderne Salzburg so sperrig mit Archivmaterial präsentiert ist. 45 Jahre Nebel – das wäre eine wahre Obsession.

Minna L. Henriksson // Foto Vegard Kleven

Minna L. Henriksson // Foto Vegard Kleven

Auch Minna L. Henriksson folgt einer Obsession: Seit sie auf einem geerbten Landschaftsbild auf der Rückseite einen Nazi-Stempel fand, recherchiert sie das scheinbar schier endlos vorkommende Hakenkreuz- bzw. altindische Swastika-Symbol in der nordischen Architektur und Kultur.

Eva Löfdahl // Vegard Kleven

Eva Löfdahl // Vegard Kleven

Eva Löfdahl fertigte 150 Tage lang täglich eine Skulptur aus einfachen Materialen an und Sofia Hulten verwandelt gemeine Sackkarren in irritierende Objekte.

Sofia Hulten // Vegard Kleven

Sofia Hulten // Vegard Kleven

Wie beiläufig vergessen stehen diese Transporthilfen herum und erst nach und nach entdeckt man die Modifikationen: deplatzierte Reifen, verschränkte Haltestangen, vertauschte Griffe.

Julius von Bismarck // SBV

Julius von Bismarck // SBV

Thematisch am deutlichsten ist das Tunnel-Thema in Julius von Bismarcks „Jugendbewegung“ eingelöst: Unaufhörlich dreht sich ein fahrerloser Polo um die eigene Achse. Am Eröffnungstag saß der Künstler zeitweilig am Steuer – ein Selbstversuch, den man im Juni auch auf der Art Basel, Sektion Unlimited beobachten konnte. Dort drehte sich eine Schale rasant, innen war ein Bett und ein Schreibtisch befestigt. Zwischen diesen beiden Orten wechselte von Bismarck hin und her, bewegte sich auf diesem unstabilen Grund mit erstaunlicher Sicherheit. Auch im Polo in Moss überfiel ihn keine Übelkeit – offenbar muss man nur konsequent die Außenwelt ausblenden und schon funktioniert das „Egozentrische System“, wie das Werk in Basel hieß. Das Basler Werk ist ein perfektes Bild für den Kunstmarkt, die „Jugendbewegung“ die Versinnbildlichung des limitierten Tunnelblicks.
Viele Beiträge erzeugen eine klaustrophobische Atmosphäre, die noch unterstützt wird durch den allgegenwärtigen Soundtrack der queeren Popmusikerin Zhala – aber wo sind die „Visionen“?

Shoplifter, im Hintergrund Sofia Hulten // SBV

Shoplifter, im Hintergrund Sofia Hulten // SBV

´Vision´ bedeutet in der Momentum Biennale interessanterweise keinen Anspruch auf Ausblicke in die Zukunft, keine neuen Strategien für Problemlösungen, keine Erweiterung unseres Horizonts. Stattdessen sehen wir zwar thematisch weit gestreute, aber jeweils enge, individuelle Vorstellungen ohne vordergründige, gesellschaftliche Bezüge. Aber entsteht nicht alle gut Kunst aus einer extrem fokussierten Perspektive? Ja, deswegen führt uns diese Biennale auch nicht aus dem Tunnel hinaus, sondern zeigt uns die enorme Weite, die in der Verengung liegen kann – wenn der Blick nicht in den Kühlschrank, sondern in die inneren Welten gerichtet ist.
veröffentlicht in: Die Presse, 22.7.2015
siehe auch: Kunstforum, Bd. 236, Okt.-Nov. 2015