Mysterien der Kulturhauptstadt Elefsina 2023

12. Feb. 2023 in Ausstellungen

Eröffnungszeremonie „Mysterien of Transition“ Kulturhauptstadt Elefsina 2023, Griechenland. Foto SBV

„Die Mysterien wurden der Stadt gestohlen, wir müssen sie zurückbringen“, erklärt Michail Marmorinos voller Überzeugung. Dabei lehnt er lässig am Zaun vor einer riesigen Ausgrabungsstätte in Elefsina. Die rund 20 Kilometer von Athen entfernte, gut mit einem öffentlichen Bus zu erreichende Küstenstadt ist heuer – zusammen mit Temeswar und VeszpremEuropäische Kulturhauptstadt. Mit nur 25.000 Einwohnern ist es die bisher kleinste Stadt, mit der 3000jährigen Geschichte die älteste – und eine der kuriosesten. Insgesamt 177 Fabriken und kleine Produktionsstätten standen hier, heute zeugen noch Ruinen entlang des kurzen Küstenwegs von der Industrialisierung. Wäre es nicht ein trauriges Kapitel mit Migration, Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung und postindustriellen Traumata, dann könnte man die ehemalige Ölmühle, die Zementfabrik und die riesige Ölraffinerie malerisch verklärt betrachten. So aber sind die Wunden von Elefsina unübersehbar – sie seien symptomatisch für die Probleme Europas, betont Marmorinos.

ehemalige Ölmühle, jetzt Veranstaltungsort einiger Ausstellungen von „Mysteries of Transition“, Kulturhauptstadt Elefsina 2023. Foto SBV

künstlerischer Leiter der Kulturhauptstadt entwarf er das „Mysteries of Transition“-Programm mit einer unübersichtlichen Zahl von „Mysterien“ an 16 Orten. Deren Nummerierung im dicken Begleitbuch, dass er seine „Bibel“ nennt, erfolgt eher unkonventionell: Nummer 0 ist die Eröffnungszeremonie, die gerade bei frostigen vier Grad das Meer zur Bühne machte. Nummer 1 gibt es nicht, Nr. 2 ist eine Soundperformance bei dem alten Uhrenturm. Der steht gleich oberhalb jener Grotte auf dem Ausgrabungsgelände, die in die Unterwelt zum Gott Hades führt, wie es heißt. Nr. 3 ist die zentrale Ausstellung, die erst im Juni eröffnet, Nummer 5 die auf Wänden über die kleine Stadt verstreuten Textzeilen. Nr. 17 feiert zwei Monate lang die griechische Schauspielerin, ehemalige Kulturministerin und Mitinitiatorin der Kulturhauptstadt-Idee Melina Mercouri mit einer Ausstellung in der Ölmühle. Nr. 204 ist eine Sound Factory, programmiert für Mai, und im großen Zahlensprung geht es über zu Nr. 400 als „Main Music Event“ in der Iris Factory. Die fehlenden Einträge dazwischen kommen vielleicht später dazu?

Die Nummerierung erklärt Marmorinos mit „was sich am besten anfühlte“ – auch ein Mysterium. Das ist das zentrale Schlagwort in Elefsina. Damit wird an eine Zeit angeknüpft, als Elefsina noch Eleusis (dt. Ankunft) hieß. Damals fanden hier Initiations- und Weiheriten statt, um die Ankunft Demeters aus der Unterwelt zu feiern, aus der sie ihre von Hades entführte Tochter Persephone rettete. Mit diesen „Mysterien von Eleusis“ wurde die Rückkehr ins Leben, der Beginn des Frühlings gefeiert. Der zweite Teil mit Prozessionen entlang der heiligen Straße fand im August statt und ist bis heute nicht gänzlich geklärt: Was genau die Mysten in der großen, Telesterion genannten Halle erlebten, gehörte zu den größten Geheimnissen der Mysterien, auf deren Verrat die Todesstrafe stand – die nie zur Anwendung kam. Die Epoptes genannten, in das Wissen Demeters Eingeweihten kamen jedenfalls laut überlieferter Schriften als völlig Veränderte aus der Halle. Fast zweitausend Jahre wurden diese Mysterien abgehalten, bis ein römischer Kaiser die Feiern 392 n.Chr. per Dekret verbot. Heute zeugen nur noch die archäologischen Ausgrabungen von der einstigen Bedeutung Eleusis. Die Mysterien sind nahezu vergessen – was nicht einmal Herman Nitschs kulturelle Aneignung durch sein Orgien-Mysterien-Theater mit so klaren Übernahmen wie Prozessionen, Tieropferung, Trankopfer für Eingeweihte änderte.
In der Antike standen die Mysterien für Wandel – und das sollen sie jetzt wieder bewirken. Mit dem Programm werde die „moderne Identität Elefsinas geformt“, erklärte die griechische Kulturministerin Lina Mendoni während der Eröffnungszeremonie. Aber kann Kultur infrastrukturelle Probleme lösen? Manche Ruinen werden jetzt zu Kulturstätten, aber was ändert das an den tiefgreifenden Versäumnisse, etwa an dem Schiffsfriedhof mit mehr als 40 im Meer verrottenden Wracks, die zur Eröffnung noch immer nicht beseitigt sind? Ist hier überhaupt ein Tourismus möglich, mit nur zwei Hotels und der Meerwasserverschmutzung? Elefsinas Bürgermeister Argyris Oikonomou formulierte es vorsichtig: Die Kulturhauptstadt sei „der Beginn ihrer Hoffnung auf Veränderung“. Ein anderer Redner sprach vom „Samen des Baums der Kultur“.

Eröffnungsperformance Elefsina Kulturhauptstadt 2023. Foto John Kouskoutis

Dieser Glauben an eine Erneuerung – ganz im Sinne von Demeters Aufstieg aus der Unterwelt – verbildlichte auch die Eröffnungsperformance: Mehr als ein Dutzend Schiffe strahlten helles Licht in den Himmel und zogen um eine Plattform, die begleitet von dramatischer Bläsermusik eine riesige Walfischform als Projektionsfläche für feurige Farbspiele aus dem Wasser holte. Entlang der Promenade zurück zu unseren Bussen feierte dann die ganze Stadt den beginnenden Wandel, auf den Terrassen der Lokale, mit Partymusik in einer weit geöffneten Autowerkstatt und euphorischen Performances auf Balkonen. Und währenddessen brennen ununterbrochen die Flammen der Raffinerie über der Bucht.

Veröffentlicht in: Die Presse, 8.2.2023

Elefsinian Movement, Haris Karoutsos/LDSPRO/2023Elevsis


Fakten laut Pressemitteilung:
• 15.000 Besucher nahmen an der Eröffnungszeremonie „Mysteries of Transition“ (Prozessionen + Musikaufführung) von Chris Baldwin u. Michail Marmorinos teil, 500 Künstler:innen (in Folkloregewand gekleideten, die 14 griechischen Provinzen repräsentierenden Eintänzer:innen; „Nymphen“ genannte Tänzerinnen; Musiker:innen; DJs), 300 „specialised professionionals“, 200 Volunteers + 3 Mio. Besucher via National Television Netword ERT
• Wal-Skulptur: 22 Meter lang, 6 Meter hoch, Gewicht 10 Tonnen; designed by Philppe Geoffrey
• 122 Chöre unter der künstlerischen Leitung von Marina Satti; Kostüme designed by Paris Mexis; Musik von Angelos Triantaphyllou
• 16 Boote und eine schwimmende Bühne für 30 Musiker:innen
• Nymphen: Choreographie von Konstantinos Rigos, Kostüme von Olga Karaververis

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