Nachlass-Streitigkeiten Franz West , Oskar Schlemmer

30. Aug. 2015 in Kunstmarkt

Franz West, Lemurenkopf // c MAK, Wien

Franz West, Lemurenkopf // c MAK, Wien

Die Lemuren sind verschwunden! Seit 2001 thronten auf der Stubenbrücke neben dem MAK Franz Wests vier große, weiße Figurenköpfe. Damals hatte der österreichische Bildhauer die Skulpturen dem Museum anlässlich seiner Personale „Gnadenlos“ als Dauerleihgabe überlassen. 2012 verstarb West, seither prozessieren die Erben mit der West Privatstiftung. Hat jetzt eine Partei die Figuren zurückgefordert?

Oskar Schlemmer, Bauhaustreppe, 1932 // MOMA, NY

Oskar Schlemmer, Bauhaustreppe, 1932 // MOMA, NY

Nachlass-Streitigkeiten in der Kunst sind ein trauriges Kapitel. Mit dem Tod berühmter Künstler beginnt oft ein jahrzehntelanger Gerichtsprozess, so etwa auch im Fall von Oskar Schlemmer. Der deutsche Maler (1888-1943) ist berühmt für seine stereometrischen Figuren und seine Bühnenbilder während der Bauhaus-Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts. Nach seinem Tod 1943 hatte seine Witwe Tut sich intensiv um das Erbe gekümmert und mehreren Museen Dauerleihgaben und Schenkungen übergeben, um den Ruf des Künstlers weiter zu stärken. Nach dem Tod der Witwe 1987 übernahm ihre Tochter Jaina Schlemmer zusammen mit Enkel Raman die Nachlassverwaltung. Aber es gab noch die Enkelin Janine. In den 1990er Jahren entdeckte Janine, dass Tante und Cousin fast sämtliche Leihgaben aus deutschen Museen herausgeholt und an einem unbekannten Ort eingelagert hatten, darunter das gesamte Bildmaterial zum Bauhaus-Unterricht ´Der Mensch´ aus dem Bauhaus Archiv in Berlin.
Damit begann eine bis heute nicht beendete Klage: Seit 2001 prozessiert Janine, um zu ihrem Mitspracherecht bei der Verwaltung und Nutzung des Erbes zu kommen. Sie erhielt schon vor Jahren in allen Punkten recht. Aber ihre Tante kam der gerichtlich bestimmten Auskunftspflicht über den Umfang und Verbleib großer Teile des Nachlasses nie nach. Das auf zwei- bis dreitausend Werke geschätzte Erbe befand sich in Lagern in Italien und der Schweiz, eine Vollstreckung des Urteils blieb daher aus. Also wollte sich Janine ihren Anteil an den in Museen befindlichen Leihgaben sichern, was nur über Geldwerte möglich ist. So sollten im Dezember 2010 65 Werke im Auktionshaus Lempertz versteigert werden, die aus Museen in Stuttgart, Wien und Murnau stammten.
Das teuerste Werk sollte damals 1,8 bis 2 Millionen Euro kosten (Komposition auf Rosa, 1930) – aber es kam nie dazu. Der Katalog war schon gedruckt, jedoch verhinderte eine einstweilige Verfügung die Auktion. Seither liegen die Werke in einer Spedition. 2012 sollte über den Verbleib entschieden werden, ein Mediationsverfahren folgte – alles blieb erfolglos. Da im Zuge der Rechtsunsicherheit eine Veröffentlichung des Werkes von Einsprüchen bedroht war, war bis 2013 jede Ausstellung, jeder Abdruck von Schlemmers Werken von Prozessen und Geldforderungen heikel. Zudem hatten Jaina Schlemmer und ihr Sohn Raman mehrmals Sammler zu langjährigen und kostenintensiven Klagen getrieben. So musste ein Sammlerehepaar drei Jahre lang gegen die Behauptung von Ramin kämpfen, das Bild „Rote Mitte“ (1931) sei eigentlich Eigentum des Nachlasses. Er hatte diese Beschuldigung nicht direkt, sondern einem Dritten gegenüber erwähnt, wodurch die Sammler gezwungen waren, eine Unterlassungsklage einzureichen, um keine nachhaltige Beeinträchtigung des Bildes in Kauf zu nehmen. Drei Gerichte befassten sich mit der „aus der Luft gegriffenen, offensichtlich wahrheitswidrigen Äußerung“ (P. Raue), bis die Sammler im Oktober 2005 endlich Recht bekamen.
Zwischenzeitlich ist die Tante verstorben und Raman hat seinen Wohnsitz nach Indien verlegt, was „jedes Verfahren, jede Zustellung, jede Vollstreckung bis ins Unmögliche erschwert,“ wie Rechtsanwalt Peter Raue in der Zeitschrift der Stiftung Bauhaus im Januar 2014 schrieb. Seit 1.Januar 2014 sind die Urheberrechte am Schlemmer-Werk ausgelaufen, die Erben können jetzt kaum mehr verhindert, dass Bücher über den Maler geschrieben, Bilder abgedruckt, ausgestellt und versteigert werden. Aber die anhaltenden Rechtsstreitigkeiten ließen das Werk fast aus der Öffentlichkeit verschwinden. Zwar erreichte eine große Schlemmer-Retrospektive 2014 in der Staatsgalerie Stuttgart Besucherrekorde, die Verunsicherung am Kunstmarkt bleibt jedoch so lange bestehen, bis der Prozess ein Ende findet.
Droht dieses Schicksal auch dem Werk von Franz West? Berühmt ist West für seine Passstücke aus Pappmasche und Figuren wie die „Lemuren“ beim MAK – Lemuren bezeichnen übrigens in der römischen Mythologie die Schattengeister von Verstorbenen. Seine sperrigen, unbequemen Sessel mit bunter Bespannung erzielen auf Auktionen bis zu 24.000,- Euro, ein „Divan“ bis zu 140.000,- Euro. Kurz bevor West 65jährig nach einer langen Krankheit verstarb, gründete er die Privatstiftung. Das sei damals schon lange geplant worden, betont Rechtsanwalt Ernst Ploil, der die Konstruktion mitentwickelte und im Vorstand sitzt. Der Künstler überschrieb der Stiftung ein großes Konvolut von Werken, damit die Stiftung sich um die Bewahrung und die Vermehrung seines Oeuvres und des Rufs des Künstlers kümmert. Wests Witwe klagte gegen die Stiftung mit dem Argument, ihr Mann sei damals nicht mehr geschäftsfähig gewesen. Ziel der Klage ist es, die Zuwendungen an die Stiftung für unwirksam zu erklären. Mitte 2013 begann der Prozess am Landesgericht, mehr als zehn Zeugen wurden bisher verhört, laut Ploil bestätigten bisher alle Gutachten West eine uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit. Der Vorwurf der Witwe sei bisher nicht erhärtet worden. Andere vermuten, dass im Verlauf des Prozesses – der wohl noch mindesten ein Jahr laufen wird – die Stiftung Vergleichen zustimmen und einen guten Teil der Zuwendungen der Witwe übertragen wird. Problematisch sei die Tatsache, dass die Stiftung „post productions“ anfertigt – Werke, die erst nach Wests Tod entstanden. Laut Ploil seien die aber bereits zu Lebzeiten mit West abgesprochen worden. Noch komplizierter wird die Sache übrigens, da weder die Witwe noch die Stiftung, sondern das Archiv Franz West unter Federführung von Eva Badura-Triska (MUMOK-Kuratorin) für die Echtheitszertifikate zuständig ist.
Solch eine verfahrene Situation verunsichert den Ruf von Wests Werk und damit die Situation am Kunstmarkt zwar nicht so dramatisch wie es bei Schlemmer der Fall ist. Aber es gibt immer wieder besorgte Rückfragen bei Käufen. Und die Lemurenköpfe? Die werden restauriert – im Auftrag der Besitzerin, deren Namen nicht genannt werden kann. Seit acht Monaten laufen die Gespräche über eine Verlängerung der Leihgabe.

veröffentlicht in: Die Presse, 29.8.2015