Um die Jahrhundertwende lösten seine Skulpturen Skandale aus, heute gilt er als Wegbereiter der Moderne. Beides sind beste Indizien für ein Werk, das in unserem überhitzten Kunsthandel Rekordpreise verspricht.
Und doch sind Auguste Rodins Werke noch für geradezu schnäppchenhafte Summen zu kaufen. Auf dem kommenden Salon Artgenéve (27.-31.1.) bietet Akim Monet mit seiner Berliner Sidebyside Gallery fünf Skulpturen an, die zwischen 220.000 bis 5 Millionen Euro kosten – wie ist dieses niedrige Preisniveau zu erklären?
Auguste Rodin verstarb von 99 Jahren. Vier der von Akim Monet angebotenen Bronzen wurden 2015 gegossen. Auftraggeber der brandneuen Figuren ist das Musée Rodin. Postume Abgüsse nennt man solche Nach- und Neuwerke, die erst nach dem Tod des Künstlers entstehen. Das ist eine legale Praxis im Kunsthandel, die allerdings zu großer Verunsicherung führt. Wann ist ein solches Objekt ein Original, wann eine Fälschung? Die Trennlinie ist diffus, bei manchen Bildhauern wie Alberto Giacometti werden Echtheitsanfragen nur noch von Rechtsanwälten bearbeitet. Aber auch im Werk anderer Bildhauer ist die Lage heikel: Immer wieder kommen postume Produktionen in den Handel, die ohne die Erlaubnis des Künstlers entstanden und doch legal sind, wie im Fall der Tänzerin von Edgar Degas. Degas formte die kleine Figur in Wachs und plante nie einen Bronzeguss. Degas´ Erben dagegen gaben 21 Exemplare in Auftrag, die signiert und nummeriert im Handel pro Exemplar Millionen erzielen. Auch das Werk des deutschen Bildhauers Wilhelm Lehmbruck erlebt seit seinem Tod 1938 eine wundersame Vermehrung. Es wird vermutet, dass 80 Prozent seines heute vorhandenen Oeuvres postum entstanden. Und ob die beliebten Sessel von Franz West postum von der Stiftung produziert werden dürfen, ist eine noch nicht geklärte Streitfrage.
Im Fall von Rodin verhält es sich jedoch anders. Er legte testamentarisch fest, dass nach seinem Tod jeder in den Genuss seiner Kunstwerke kommen soll. Schon 1898 hatte er der Gießerei Barbedienne vertraglich zugesichert, zwanzig Jahre lang kleine Versionen des „Kuss“ und des „Ewigen Frühlings“ in unbeschränkter Auflage herzustellen und verkaufen zu können. Eine noch weiter reichende Erlaubnis schenkte er dem Musée Rodin: Als Rodin 1908 in das völlig heruntergekommene, ehemalige Hotel Biron einzog, drohte der Abriss dieses architektonischen Juwels. Rodin machte dem französischen Staat ein Angebot: Der Staat erhielt seine gesamten Werke, dazu seine Antiquitätensammlung und sämtliche Rechte an seinem Werk. Dafür sollte das Hotel Biron zum Rodin-Museum werden, er dort bis zu seinem Lebensende wohnen können und seine Werke für immer einen Platz finden. Der Vertrag wurde unterzeichnet, 1917 starb Rodin 77jährig, 1919 eröffnete das Musée Rodin. Seit November 2015 ist das Haus nach dreijähriger Renovierung wieder zugänglich, 16 Millionen Euro kostete die Generalsanierung.
Das Geld für den Betrieb, die Renovierung und die Restaurierungen stammt großteils aus dem Verkauf postum gegossener Bronzen. Denn das Museum darf alle jene Skulpturen reproduzieren, von denen sie Rodins Modelle besitzen. Die Regelung dafür: Jeweils acht mit arabischen Zahlen nummerierte Güsse sind für den Handel, weitere vier mit römischen Zahlen gekennzeichnete Exemplare für Institutionen. Manche Objekte entstanden im direkten Auftrag von Museen oder Sammlern. Ein früherer Auftraggeber liebte besonders schwarze Bronzen, wodurch wir heute fälschlicherweise diese dunkle Patina mit Rodin verbinden. Ein besonders beliebtes Objekt ist „Der Denker“. Rodin schuf die 72 Zentimeter kleine Figur zwischen 1880 bis 1882, zwanzig Jahre später ließ er die Skulptur auf 1,81 cm vergrößern. Es ist ein Hauptwerk Rodins, in der Haltung der Figur spiegelt sich eine enorme innere Anspannung wider, wodurch die Skulptur als Symbol des modernen, an seiner Existenz zweifelnden Menschen gilt. Mehr als zwanzig Versionen der Monumentalfigur stehen heute in Museen und Privatsammlungen.
Als wäre diese Menge nicht schon irritierend genug, kamen um die Jahrtausendwende 25 weitere Monumentalbronzen des „Denkers“ auf den Markt, vertrieben für je eine Millionen Dollar von der Pariser Galerie Sayegh und mit Zertifikat autorisiert vom Musée Rodin – das allerdings seien keine Originale, sagt Galerist Akim Monet im Gespräch mit der „Presse“.
Wieso sind die einen postumen Abgüsse originaler als die anderen? Der Unterschied liegt im Zustand der Gipsmodelle. Erste Bedingung: Das Modell muss von Rodin angefertigt worden sein. Zweite Bedingung: Es darf nur limitiert für Güsse verwendet worden sein. Die neuen „Denker“ sind wohl von benutzten und dadurch ruinierten Gipsmodellen entstanden. Rodin arbeitete viel mit der Gießerei Rudier zusammen. 1952 sollten eigentlich alle Archive verbrannt und alle Gipse zerschlagen werden, doch immer wieder kamen neue Abgüsse auf den Markt. In den 1990ern wurde sogar ein Rudier-Nachlass mit Gipsen einzelner Teile der Monumentalfigur des „Denkers“ versteigert – stammen die neuen Abgüsse daher? Die Frage, wann Abgüsse von originalen Modellen Fälschungen seien, musste 2014 auch ein französisches Gericht klären. Das Musée Rodin hatte den US-Amerikaner Gerry Snell auf 68 Millionen Euro Schadensersatz verklagt, da er laut Anklage mit seiner Firma Gruppo Mondiale rund 1700 gestempelte und nummerierte Skulpturen von Rodin für einen geschätzten Durchschnittspreis von 35.000,- Euro verkauft hatte. Das Problem: Die Exemplare entstanden nach Gipsen, deren Echtheit niemand anzweifelte. Das Gericht sprach Snell frei, was die Verunsicherung über Rodin-Skulpturen nur noch mehr steigert.
Der Auktionshandel reagiert auf diese Situation mit Zurückhaltung und darum sind die Marktpreise für Rodins Werk noch so niedrig. Aber Galerist Akim Monet sieht ein enormes Potential voraus. Denn erstens würden bald noch einige wichtige Werke aus dem Musée Rodin auf den Markt kommen, die noch nie zuvor gegossen worden seien – gerade für seine experimentellsten Skulpturen fand Rodin zu Lebzeiten keine Auftraggeber. Zweitens gebe es eine neue Garantie: ein dem Werk beigefügter Brief des 2004 gegründeten „Comité Rodin“. Es ist ein zwei-Personen-Komitee, dessen Direktor, Jérôme Le Blay, früher am Musée Rodin arbeitete, später für Christie´s und 2013 den ersten Oeuvre-Katalog zu Rodins Skulpturen herausgab. Dieser Brief zähle mehr als die Zertifikate des Musée Rodin, sagt Monet, und schaffe eben jene Klarheit, die den Markt stabilisieren werde.
veröffentlicht in: Die Presse, 10.1.2016