Wo sonst die Limousinen vorfahren und Gäste ein- und ausgehen, herrscht Leere. Zwar dürfen Geschäftsreisende im Wiener Fünf-Sterne-Hotel InterContinental nächtigen, wenn sie die Unaufschiebbarkeit ihres Termin erklären. Aber es gibt nahezu keine Gäste. Auch Kongresse finden kaum statt. Stattdessen ist hier bis zum 7. Februar die Interconti Messe eingezogen. Es ist ein Miniformat, nur dreizehn Galerien nehmen teil. In all dem Stillstand der letzten Monate wollten sie ein Lebenszeichen setzen, erklären die drei Initiatoren Emanuel Layr, Henrikke Nielsen und Sophie Tappeiner – und ihre Messeerfahrungen als Galeristen einbringen: „Wir wollten keine Gänge mit Kojen“. „Erst dachten wir an einzelne Zimmer, um den Abstand in der Corona-Zeit zu sichern“, erinnert sich Tappeiner, dann entschieden sie für die Interconti Messe den „ballroom“ des Hotels: 600 Quadratmeter mit dickem Ornament-Teppich, kleine Landschaftsbilder an den Wänden, ein blauer Himmel mit Wölkchen an die Decke gemalt und ein herrlicher Blick auf den Eislaufverein vor den Fenstern – hier zeigen die Galerien jetzt Solopräsentationen in zwei Meter hohen Vitrinen. Weniger als 1000 Euro Miete verrechnet das MAK für die historischen Schaukästen, der Transport ist von Kunsttrans, die Saalmiete vom Hotelbesitzer gesponsert.
Welch spannende Idee! Und doch gab es schnell scharfe Töne gegen diese neue Kunstmesse – von jenen Kolleg*innen, die nicht zur Interconti Messe eingeladen waren. Sie bildeten eine WhatsAppgruppe und begannen ein munteres Intrigenspiel. Geholfen hat es nichts. Denn gerade darum hatten die drei Initiatoren ja ihr Projekt gestartet: „Wir wollten etwas mit Gleichgesinnten machen“ erklärt Galerist Emanuel Layr. Die geringe Teilnehmerzahl ergab sich auch aus der Raumgröße. Dann tauchte plötzlich ein anonymer Brief auf, der gegen den Besitzer des Hotels wettert. Das Hotel wurde 1964 im Auftrag der US-Fluglinie PanAm mit zwölf Stockwerken und rund 500 Gästezimmern im bewussten Kontrast zur historischen Stadt beauftragt. Seither kragt dieses Zeichen einer modernen Architektur 39 Meter hoch aus dem Stadtbild heraus. 2012 kaufte Investor Michael Trojner die Anlage um kolportierte 50 Mio Euro und plant einen direkt anschließenden, 66 Meter hohen Luxuswohnturm – was zu bis heute anhaltenden, massiven Protesten führt. Trojner ist die Zielscheibe eines anonym verfassten Brief: „Angeklagt werden das Hotel InterContinental und die einschlägigen Wiener Kunstgalerien wegen imperialistischen und performativ-liberalen Tendenzen.“ Warum? Der Besitzer des Hotel werde „der wiederholten Steuerhinterziehung und Veruntreuung von öffentlichen Geldern verdächtigt“, es sei ein „korrupter, patriarchaler und imperialistischer Kontext“, die ausstellenden Galerien sollen „Stellung beziehen, ihre Teilnahme an der Messe rechtfertigen und sich in den Diskurs einbringen“. Diese Anschuldigungen entbehren zwar einer rechtlichen Grundlage. Aber die Diskussion um die Herkunft von Geldern und geldwerten Leistungen in der Kunst ist dringend nötig – nur nicht jetzt, nicht hier, finden die Galeristen.
Und sie haben Recht! Denn dieses Projekt ist von einer zauberhaften Atmosphäre. Nicht nur das Ambiente, auch die ausgestellten Werke entführen in eine andere Welt, in der man Immobilienspekulationen und Corona-Wahnsinn für einen Moment vergessen möchte. Manche nutzen die Vitrinen wie eine Bühne, wenn Croy Nielsen die Keramikfigur einer Domina-Szene von Soshiro Matsubara zentral in die verzierte Knotenfußvitrine stellt oder Anna-Sophie Berger für Emanuel Layr viele kleine Teile ihres „Zauberkünstler“ auf einem Podest anordnet.
Im scharfen Kontrast dazu Alfredo Jarrs drei kleine Glaskuben von unterschiedlicher Dichte (Galerie Hubert Winter), wo jeder selbst entscheiden kann, wer „You and Me and the Others“ – so der Titel – ist. Auch Melanie Ebenhoch (Galerie Martin Janda) entwickelte eigens für die Vitrine eine neue Arbeit: „Satan in Skirts“ schwebt in Form eines großen, runden Huts in dem Schaukasten. Vorne ist ein Hotelgang knallrot aufgemalt, hinten ein Spiegel, auf dem ein kleines Theater-Plakat das Stück ankündigt. Sie spricht von dem Hotel als „goldene Aura“, die uns in einen „Lynch´schen Korridor“ führt. Es sind dreizehn kleine Weltsichten, die in dem pompösen Ambiente des Hotels großartig zusammenfinden.
Leider sind durch den verlängerten Lockdown keine Besuche möglich. Aber das planten die Initiatoren von Anfang an mit einem innovativen Online-Konzept ein: In den Räumen wird ein Film gedreht, der jetzt online verfügbar ist, uns durch die Messe führt, Verweise auf Interviews enthält und noch dazu einige Wien-Tipps für Lieblingslokale gibt – zu denen übrigens auch die Bar dieses Hotels gehört, in der sich die Initiatoren oft auf einen Drink trafen.
Interconti Messe, 28.1.7.2.2021
Veröffentlicht in: WELT, 30.01.2021