Katerina Gregos: No Country for young men

19. Mai. 2014 in Ausstellungen

Panos Kokkinias

Mit Wut gegen die Krise

Alle warten, mit dem gut gefüllten Einkaufswagen an der Kasse im Supermarkt, vor dem Nachtclub, in einer Kirche, vor einem Geldautomaten. Immer fährt die Kamera unbeteiligt an den Menschen entlang. Zuletzt sehen wir eine lange, traurige Menschenschlange. Es ist eine Essensausgabe, aber es reicht nicht für alle.

Kostas Tsolis

Da stößt ein alter Mann den nächsten Wartenden um – und alles bricht zusammen. Wie Dominosteine fallen die Menschen, im Zeitraffer folgt die Kamera dem Chaos zurück bis zum Einkaufswagen, der jetzt ziellos durch die Straßen rollt und im Nichts stehen bleibt. Aber Yorgos Zois möchte mit seinem Film nicht nur die Einbahnstraße der Trostlosigkeit zeigen, sondern auch Hoffnung vermittelt: Der Einkaufswagen stoppt zuletzt vor den Füßen des alten Mannes.

Zois lebt in Athen. Sein Film thematisiert die Folgen der Krise. Er ist Teil einer Ausstellung, die in Brüssel unter dem prägnanten Titel „No country for young men“ zeitgenössische griechische Kunst „in Zeiten der Krise“ zeigt. Der Titel variiert Cormac McCarthys Roman „No country for old men“ und referiert darauf, dass 64% der jungen Griechen unter 25 Jahren keine Arbeit haben. Eigentlich lehne sie national ausgerichtete Ausstellung ab, erklärt die Kuratorin Katerina Gregos. In Griechenland geboren, in Brüssel lebend, ist diese Schau ihr aber ein starkes Anliegen. Denn sie möchte den kalten Fakten hier Bilder des Lebens hinzufügen. Wie reagieren die KünstlerInnen auf ihr Land, das seit sieben Jahren kurz vor dem Kollaps steht? 32 Künstler und Kunstkollektive lud sie ein, ließ eine klaustrophobische Architektur mit engen, tunnelähnlichen Gängen von Danae Giamalaki entwerfen und drängelt die Werke auf engstem Raum.

Bill Balaskas: die Akropolis, aufgenommen in der Nacht im Licht der fotografierenden Touristen

Manche erleben diese Anti-White-Cube-Inszenierung als zu düster, übervoll und brachial. Aber eine klassisch-museale Präsentation wäre bei diesem Thema unpassend. Stattdessen konfrontiert uns Katerina Gregos mit einer chaotischen Ausstellung, herausfordernd für die Besucher in der thematischen Dichte und räumlichen Enge. Es beginnt mit einer Skulptur, die als fahrbares Gestell vor dem „Polizeiterror“ schützt (Zissis Kotionis), und leitet uns dann zu vier Themen: die ökonomischen, sozialen und öffentlichen, die existentiellen Aspekte und Bilder einer kollektiven Depression. Mit den drastischen Dokumentationen des Fotojournalisten Alkis Konstantinidis werden wir an die Aufstände seit 2010 erinnert, die auch in berührenden Zeichnungen aufgegriffen sind (Chris Valsamaki): Nur auf Menschen und Barrikaden konzentriert, betonen diese isolierten Szenen in jedem Detail die Brutalität in den Kämpfen.

Kostis Velonis

Kostis Velonis führt in seinen Fotografien vor, wie fragil die Grundprinzipien der griechischen Architektur, die Grundlage der westlichen Kultur sein können, wenn man es mit einfachen Mitteln nachzubauen versucht. Und Philippe Grammaticopoulos erzählt in seinem beklemmenden Animationsfilm „TheBellies“ (2009), wie eine Schar vereinheitlichter, feister Anzugträger Schnecken essen, bis einer von ihnen selbst auf dem Teller landet und von Schnecken gefressen wird – ein Film, dem man nicht ausweichen kann, der eine – jederzeit mögliche – Umkehrung der Verhältnisse zeigt.

Philippe Grammaticopoulos, The Bellies, 2009

Daneben sehen wir böse lachende Köpfe, die auf Booten zu einem Steg rudern. Der Titel dieses düsteren Acrylbildes: „Here come the investors“ (Michalis G. Kallimpopoulos).

Michalis Kallimopoulos, Here Come the Investors

Manches sind aber auch reale Projekte wie der Versuch von dem Kollektiv Depression Era, ein künstlerisches Archiv der Krise anzulegen. Dieses sei eine der unerwarteten Entwicklungen durch die Krise, erklärt Katerina Gregos: In Athen werden immer mehr Künstlerkollektive etabliert, die gemeinsam Wege der Bewältigung und auch des Überlebens suchen. So kämpfen die Guerrilla Optimists mit künstlerischen Aktionen wie etwa einem „psycho-akustischen Feld“ im öffentlichen Raum darum, „aus dem Bett aufzustehen und sich dem Tag zu stellen.“

Selten habe ich eine Ausstellung gesehen, die ein politisches Thema so emotional umsetzt. Hier wird nicht mit einer politischen Geste, sondern aus individueller Anteilnahme heraus gearbeitet. In jedem Werk werden wir mit der Situation in Griechenland konfrontiert. Dabei spürt man in keinem Beitrag Verzweiflung, nirgendwo Anklagen. In manchen Werken blitzt eine Spur Humor auf und sei es nur schwarzer, manche erzählen vom Willen zum Optimismus. Eines aber ist all diesen Werken gemeinsam und das macht auch die große, emotionale Kraft dieser Ausstellung aus: Alles ist getragen von einer großen Wut.

veröffentlicht in: Die Presse, 19.5.2014, http://diepresse.com/home/kultur/kunst/3807359/Mit-Wut-gegen-die-Krise?_vl_backlink=/home/kultur/kunst/index.do

No Country for young men, Bozar, Brüssel, Eintritt frei. Bis 3.8.2014