Nachts fallen die Temperaturen auf Minus 16 Grad, tagsüber scheint die Sonne auf die tiefverschneiten Berge. Es ist Hochsaison im Engadin, in den alpinen Ferienorten wimmelt es von Touristen. In St. Moritz findet am Wochenende die Cricket-Meisterschaft auf dem zugefrorenen See statt, danach folgt der Engadin Skimarathon. Und mittendrin gibt es erstmals eine neue, kleine Kunst- und Designmesse. „Wir nennen NOMAD nicht eine Messe. Es sind Schauräume, fast wie ein Club“, korrigiert Giorgio Pace. Die Unterscheidung ist dem Gründer von NOMAD enorm wichtig. Zusammen mit Nicolas Bellavance-Lecompte kreierte es dieses neue Format. Vor einigen Jahren recherchierten sie den Markt für Kunst und „collectibles“, also Sammlungsstücke der angewandten Kunst. Erst seit gut zehn Jahren etabliert sich dieses Segment für hochpreisige angewandte Kunst, die Galerien lösen mehr und mehr Antiquitätenshops ab. Denn gefragt sind heute weniger historische Möbel als Einzelstücke der Moderne und von heute. „Es gibt Kunstmessen, Design Weeks, Designmessen. Aber keine bringt bisher beide Gebiete auf hohem Niveau zusammen,“ erklärt Bellavance-Lecompte. Aber warum Design und Kunst? Zum einen schrumpft die Grenze zwischen beiden Bereichen rasant, immer häufiger stellt Kunst erst gar nicht mehr den Anspruch eines Erkenntnisgewinns, sondern gibt sich mit der Deko-Funktion zufrieden. Zum anderen überschneidet sich die Sammlerschaft. Denn wer Kunst kauft, richtet sich meist auch mit Designmöbeln ein.
Also entschieden Pace und Bellavance-Lecompote, ein neues Format zu kreieren. Das aber sollte nicht in schnöden Zelten oder stereotyper Messearchitekturen stattfinden. Stattdessen gastiert NOMAD in privaten Domizilen. „Die Häuser müssen Geschichten erzählen“, sagt Bellavance-Lecompte, „und öffentlich wenig oder gar nicht zugänglich sein.“ Es sollen exklusive Orte seien, in denen sich Galeristen und Käufer in ruhiger Gelassenheit begegnen.
Die erste Ausgabe von NOMAD fand im April 2017 in Monaco statt, in der 1902 von der Königsfamilie gebauten, später von Karl Lagerfeld bewohnten Luxusvilla La Vigie oben auf dem Hügel gleich am Meer. Jetzt gastiert die Fortsetzung NOMAD St. Moritz oben in den Bergen im Chesa Planta in Samedan, fünfzehn Autominuten von St. Moritz entfernt. Der ehemalige Stammsitz der Adelsgeschlechter von Planta und von Salis ist heute ein Kulturzentrum und Museum für Wohnkultur der Engadiner Patrizier des 18. und 19. Jahrhunderts.
Während der Messe sind die Galerien in historische Küchen, Wohnzimmer und Büros eingezogen, arrangieren ihre exklusiven Designobjekte in antiken Regalen und Schränken wie die auf Holz spezialisierte Sarah Myerscough Gallery oder Gallery Fumis mit von Salzkristallen überwucherten Keramiken von Lukas Wegwerth. Während die in limitierter Auflage produzierten Objekte meist bei 2000 Euro beginnen, gibt es auch wunderbare Gläser und Karaffen ab bereits 55,- Euro wie die an gefrorenes Eis erinnernden, außergewöhnlichen Trinkgläser von Jochen Holz in der Sarah Myerscough Gallery.
Aber warum gastiert NOMAD nur in mondänen Orten? „Das stimmt so nicht. Monaco hat den Charme einer dekadenten, fast vergessenen Stadt“, erklärt Pace, „und St. Moritz ist meine zweite Heimat“. Pace ist studierter Jurist, kam in New York zur Kunst und arbeitete als Kurator an Museen. Sein Kollege Bellavance-Lecompte ist in Kanada geboren, studierte Architektur, studierte bei Olafur Eliasson und arbeitete später bei Thomas Demand in Berlin. 2009 gründete er zusammen mit Pascale Wakim die Carwan Gallery für Design in Beirut und lebt in Mailand. Beide verbindet die Liebe zu Kunst und Design. Dreizehn Galerien nahmen an NOMAD Monaco teil, zwanzig sind es jetzt im Engadin.
Einige Galerien wie Massimo de Carlo waren bereits in Monaco dabei, andere wie Eva Presenhuber und Skarstedt sind Neuzugänge. Presenhuber zeigt Doug Aitkens Film über sein Spiegelhaus, das er in Palm Springs aufbaute. Bis zur Ununterscheidbarkeit zwischen Umgebung und Architektur spiegelt sich da die Landschaft in den Außenwänden – ob das im Engadin vielleicht eine Neuauflage erfahren wird? Während de Carlo Keramiken von Gelatin, auch das grüne Rehkitz von Carsten Höller anbietet, hat Skarstedt Zeichnungen von George Condo mit Möbeln aus seiner privaten Sammlung kombiniert.
Einige Design-Galerien inszenieren in den kleinen, historischen Zimmern der Chesa Planta mondäne Wohnräume, andere haben Glaswaren mitgebracht. Großartig die von der Charles Burnand Gallery eingerichtete Lounge, die perfekt die rustikale, historische Holzarchitektur mit modernen Möbeln kombiniert. Die unwiderstehlich bequemen Sessel kosten ab 5000,- Euro, Lampen beginnen bei 7000,- Euro. 6000 bis 25.000 Euro zahlen die Galerien und erhalten dafür tatsächlich ein einzigartiges Ambiente. Ein Höhepunkt ist Marlborough Contemporary, die einen Teppich von Francis Bacon von 1929 im wunderbaren Teehaus im Garten zeigen. Mitten im meterhohen Schnee stehen dazu die merkwürdigen Skulpturen von Tony Matelli, der billig eingekaufte Kopien historischer Plastiken mit seinen perfekten Bronzegüssen kombiniert wie im „Wurstkrieger“: Fleischhauerware ist drapiert auf einem chinesischen Krieger. Über Preise wird da gar nicht gesprochen.
Parallel dazu gibt es auch zwei Ausstellungen, im niedrigen Obergeschoß der Chesa Planta eine völlig überinszenierte Schau zeitgenössischer Kunst, die unnötigerweise in Dunkelheit stattfindet. Ab und an flackert Cerith Wyn Evans „The Changing Light at Sandover“ auf, ansonsten muss man mit Taschenlampen die Wände ableuchten, um die Werke zu finden – was für ein Mißverständnis! Eine Ausstellung sollte eine Geschichte erzählen oder eine These haben, aber nicht vom Konzept her die Kunst konkurrenzieren.
Entschieden überzeugender dagegen die Design-Ausstellung im historischen Turm wenige Gehminuten entfernt. Da sind einige Design-Objekte zusammen arrangiert wie „Opfergaben für die alpinen Götter“.
Aber klappt das Konzept, kaufkräftige Skifahrer zwischen Piste und Apres-Ski auf eine Messe zu locken? Auch darin unterscheidet sich NOMAD von anderen Formaten: En Passant-Besucher werden gar nicht adressiert. Der Eintritt ist frei, aber Gäste müssen sich vorher online registrieren. 1300 waren es in Monaco. Finanziert wird NOMAD über Sponsoren, von denen manche allerdings eher eine Anlauf-Unterstützung bieten. So konnte NOMAD das Rote Kreuz gewinnen, die während der Messetage eine große Gala in Zelten auf dem zugefrorenen See in St. Moritz abhalten. „Galerien spendeten Objekte für die Gala, umgekehrt kommen die Top-Donators zu uns“, verrät Pace. Tatsächlich geht dieses sehr exklusive, bezaubernde Konzept bestens auf – so gut, dass einige Galerien sich von den Veranstaltern eine Expansion wünschten. So wird NOMAD also nächstes Jahr gleich drei Mal stattfinden: im Winter in St. Moritz, im Frühjahr in Monaco und in Kalifornien.
NOMAD St. Moritz, 8.-11.2018
veröffentlicht in: Welt, 10.2.2018