Das Kopieren von berühmten Kunstwerken ist eine jahrhundertalte Tradition. Es diente der Lehre, der Verbreitung, dem Vergnügen. Mit der Attitüde der Moderne, Vorausgegangenes abzulehnen und stattdessen Innovationen über alles zu stellen, verlor sich diese Praxis ein wenig. Mit der Postmoderne rückte das Kopieren wieder in den Blick, weniger als Tätigkeit denn als Konzept. In den späten 1980ern begannen in den USA einige Künstler, das Kopieren zur Strategie zu erklären: Appropriation Art (Aneignung). Eine Studentin machte mich aufmerksam auf das Werk des jugoslawischen Künstlers Goran Dordevic, der schon 1980 Skizzen von Meisterwerken anfertigte, malte und dann seine eigene Malerei fünfzig Mal kopierte. Dazu gab es einen Vortrag von Walter Benjamin: über die Unsinnigkeit dieser künstlerischen Praxis.
Jetzt ist das Thema wieder brandaktuell. Diesmal nicht als politischer Akt wie bei Dordevic, nicht als Protest gegen Genderungleichheit wie bei Sherrie Levine oder als Revisiting wie bei Elaine Sturtevant. Sondern offenbar als Ausweg aus einer schlaumeierischen Einfallslosigkeit – das legt zumindest die aktuelle Ausstellung von Oliver Laric in der Wiener Secession nahe. Der 1981 in Innsbruck geborene Laric, der in Wien Graphik Design studierte, verteilt im Hauptraum der Secession 18 Skulpturen. Allesamt Kopien. Aus dem 3D-Drucker. Max Klingers Beethoven, 1902; der Jüngling vom Magdalensberg, ein Abguss des 16. Jh. nach römischen Original; Rudolf Schwaigers Mutter mit zwei Kindern, 1958; Otto Jarl Eisbär und Seehund, 1902; eine Rundkrabbe, noch eine Krabbe, ein Fuß.
Oliver Laric wählt aus, was bestens bekannt ist und darum gefällt – und ergo erfolgreich sein wird. Einige Skulpturen sind belanglose Gemeindebauten-Objekte – aber das will der Künstler gar nicht thematisieren. Dann ginge der Diskurs ja über Qualität, und das wäre eine Falle in Fall dieser Ausstellung.
„Photoplastik“ nennt Oliver Laric seine Zusammenwürfelung. Weil 3D-gescannte Skulpturen schlicht zu banal sind, muss natürlich ein überbordender Unterbau beigefügt werden. So können die digitalen Daten der Objekte auf einer Webside rechtefreie und kostenlos heruntergeladen werden – jeder möge sich seine Krabbe selbst drucken. Laric thematisiert also nicht ästhetische Sprache oder künstlerische Fragen wie Material, Form, Proportion, Raum. Nein, Oliver Laric arbeitet an einem 3D-Archiv von Kunstwerken und Alltagsgegenständen. Museale Objekte sollen so „über geografische, soziale und kulturelle Grenzen hinweg verbreitet“ werden – als ob das nicht seit Jahrhunderten sowieso stattfindet. Kleiner, neoliberaler Unterschied: hier geht es nicht um Kunstgenuss, um ästhetische Erfahrung, sondern um Besitz. Denn diese „Verbreitung“ bedeutet: ausdrucken und besitzen. Da sägt einer am eigenen Ast.
Abgesehen von diesem politisch mehr als bedenklichen Irrweg, ästhetische Themen auf den Aspekt des Besitzens herunter zu brechen, fragt man sich auch, was daran eigentlich interessant genug sein kann, um damit einen Ausstellungsraum zu füllen? Künstlerisch gesehen entsteht durch Larics 3D-Drucke keinerlei Mehrwert, auch keinerlei konzeptuelle Variation zur Appropriation einer Sherrie Levine. Es tut sich nur ein riesiges, gähnendes Loch schöpferischer Leere auf. Gefüllt mit Schlaumeierei. Die Computertechnik führe Laric „zu einer selbstreflexiven Auseinandersetzung mit dem Medium“ (Pressetext) – welches Medium? Mit der Kunst nicht, das sieht man an der Auswahl. Also mit dem Drucker – den er schlicht benutzt. Aber ja, Laric recherchierte auch ein wenig: Er fand Vorläufer für den 3D-Dricker. Das wäre vielleicht ein netter Bericht im Computermagazin, aber in der Secession?
Aber da ist noch ein Aspekt: Laric untersuche „mittels Bildwissenschaft das Weiterleben der Antike und ihre Einflüsse auf die europäische Kultur“ (Pressetext) – das tun manche Wissenschaftler tatsächlich, aber Laric gehört nicht dazu. Wo ist denn bitte Wissenschaft, wenn da ein paar Drucke im Raum verteilt sind – die noch dazu die Frage aufwerfen: warum eigentlich nur so wenige? Sollen die mageren Objekte dadurch überhöht werden? Ist da Angst zu spüren, dass die geballte Banalität bei einer größeren Menge noch krasser sichtbar wird? In solch einer Ausstellung wünscht man sich eine neue Diskussion darüber, was wir eigentlich mit dem Begriff ´Kunst´ meinen – geht das wirklich komplett ohne schöpferische Qualitäten, ohne ästhetischen Anspruch, ohne künstlerische Ideen?
Wiener Secession, bis 19. Juni
ZUSATZ:
Ist dies ein weiteres Werk von Laric? Könnte man meinen. Ist aber eine Ausstellungsansicht von „A world of fragile parts“ des Victoria & Albert Museum, London, die bei ihrem Gastauftritt im Arsenla, Venedig, Kopien ihrer Sammlungsbestände zeigen. Kopien, die nicht mehr sind als einfach die technischen Möglichkeiten auszunutzen, problemlos auf Reisen geschickt zu werden. Wo genau ist der Unterschied zu Laric? Im konzeptuellen Überbau? Das kann´s doch nicht sein!