Oscar Muñoz – Vergänglichkeit als Dauerzustand
Ein kleiner, in den Sand skizzierter Mann scheint den Strand hinaufzurobben, will offensichtlich dem Meer entkommen. Kaum hat die Figur einige Meter zurückgelegt, rollt eine riesige Welle heran – und löscht die schematische Gestalt wieder aus. Das nur knapp vierminütige Animationsvideo Hombre de arena (Man of Sand) ist kennzeichnend für Oscar Muñoz‘ Werk. Mit einfachen Mitteln thematisiert der kolumbianische Künstler komplexe Momente wie Erinnerung und Vergänglichkeit. In einer außergewöhnlichen Kombination aus minimalistischer Formensprache sowie Materialverwendung und politischer Thematik mit kulturhistorischen Bezügen schafft er überraschend aussagekräftige Bilder. Aber so verführerisch viele seiner Arbeiten auch sind, wie etwa die reduzierten Portraits aus Kohle in Wasserbecken oder aus Wasser auf Asphalt, so sehr erschrecken sie uns mit ihrer Vergänglichkeit. Denn Oscar Muñoz unterläuft unseren – unbewussten – Wunsch nach Sicherheit und Dauerhaftigkeit. Bei ihm sehen wir Verschwinden und Vergeblichkeit zu.
Besonders eindringlich lassen sich diese Prozesse in seiner Fünfkanal-Videoinstallation Pryecta para un memorial (Projekt für ein Denkmal) beobachten, die 2005 und 2007 auf der Biennale von Venedig zu sehen war und auch jetzt ein zentrales Werk in dieser umfassenden Einzelausstellung im OK Centrum Linz ist. Oscar Muñoz‘ Bilder verkörpern radikal das Gegenteil des Denkmal-Konzepts, denn hier ist nichts auf Dauerhaftigkeit und Monumentalität angelegt: Auf heißem Asphalt malt eine Hand Portraits mit Wasser auf Stein. Aber kaum ist ein Auge fertig, trocknet das Haar schon weg, nimmt das Kinn Kontur an, verschwindet der Mund. Wir sehen dem Verblassen einer Erinnerung zu, der Vergeblichkeit, ein Bild zu fixieren. Zugleich wird mit dieser Flüchtigkeit das Genre Portraitbild mit seinem Wunsch nach Bewahrung und letztlich Unsterblichkeit ad absurdum geführt.
Die Vorlagen für die fünf im Video skizzierten Portraits stammen von Todesanzeigen kolumbianischer Zeitungen. Muñoz, 1952 in Popayán geboren, lebt in Santiago de Cali, der drittgrößten Stadt Kolumbiens, die gerade wieder einmal zu trauriger Berühmtheit gelangte, weil lokale Behörden dort 100 Gewehre beschlagnahmten, die für die revolutionäre FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) bestimmt waren. Entführungen, Gewalt und Drogenhandel prägen das internationale Medienbild des lateinamerikanischen Staates, doch in Kolumbien ist der Tod Realität. Allein 2009 wurden 15.817 Menschen ermordet. Auch wenn Muñoz diesen Bezug nicht selbst nennt, ist sein Werk mit diesem Kontext thematisch unübersehbar verbunden. In der großformatigen Bodeninstallation Ambulatoria (Umhergehen) (1994) legt er zerbrochenes Sicherheitsglas über Luftaufnahmen seiner Heimatstadt. Muñoz spricht von einem „neuen Stadtplan“, bei dem die Glas-Fragmente zu Gebäuden werden und sich die Bruchlinien als „neues Netz emotionaler Beziehungen“ (Katalog) abzeichnen. Doch hier bleibt es nicht allein bei einer kontemplativen Betrachtung des Werkes, bei einer Reflexion der abgebildeten und eingeprägten Gewalt. Man kann und muss die Arbeit betreten, über das zerbrochene Glas hinübergehen, so dass die Vorstellung, diese Scherben seien die Folge von Explosionen, geradezu körperlich erlebbar wird.
Dieses Œuvre illustriert nicht, sondern deutet immer nur an. Die alltägliche Erfahrung von Gewalt und Tod wird hier nicht zum künstlerisch ausgeschlachteten Klischee, sondern ist immer nur Subtext in Werken, die sich auf einer formalen Ebene, als Kommentar auf künstlerische Praktiken auslesen lassen. Dies gilt auch für das mehrteilige Werk Paístiempo (2007-08), bei dem Oscar Muñoz mit Brandpunkten das Raster von Zeitungsbögen einer Tagesausgabe von El Tiempo und El País nachzieht. Die Beiträge der ersten Seiten sind noch klar erkennbar, die nachfolgenden kaum mehr dechiffrierbar. „Das Ergebnis entspricht dem eines Serienbildes, das mit dem Umblättern zunehmend an Schärfe und Sichtbarkeit verliert“, erklärt der Künstler. Hier geht es also nicht darum, die schnelle Erfahrung eines zerstörerischen Feuers zu liefern, sondern die einer bedrohlichen Vergänglichkeit, einer fortschreitenden Auflösung. Und genau hierin liegt auch die enorme Faszination dieses Werkes: Der Tod kommt als Prozess ins Bild. Das Verschwinden wird zur Dauer, der wir zuschauen können und die nicht mehr Sicherheit, sondern Verlust transportiert.
Von Raum zu Raum führt diese grandiose Ausstellung uns tiefer in die Auseinandersetzung mit Erinnerung und Tod. Immer wieder verblüffen die Materialwahl und die minimalen Mittel, mit denen Muñoz es gelingt, Klischee und Spektakel von diesen so heiklen Themen fernzuhalten. Umso enttäuschender ist die neueste, erstmals im OK Centrum gezeigte Installation A través del cristal (Hinter Glas) (2009). Auf die Scheiben von gerahmten Familienfotos werden Videos projiziert, die das Geschehen im Wohnzimmer spiegeln. Das Glas des Rahmens sei eine „Grenze zwischen zwei parallel existierenden Räumen und Zeiten“, schreibt Muñoz. Aber die Demarkationslinie zwischen Alltag und Abwesenheit, Vergangenheit und Gegenwart kommt hier nicht in den Blick, denn das Thema wird individualisiert – und damit banalisiert. Die Aufmerksamkeit richtet sich aufs Detail, man spekuliert über Soziotop und Schicksal der Fotografierten und damit verliert dieses Werk jene erstaunliche und so packende Allgemeingültigkeit, die das Œuvre von Muñoz auszeichnet. Dennoch – die übrigen Installationen sind eindrücklich genug, und am Ende überwiegt eine weit über das Einzelne hinausgehende Erfahrung von einer Vergänglichkeit als Dauerzustand.
veröffentlicht in: www.artnet.de, 16. Januar 2010
Oscar Muñoz – OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich, Linz. Vom 13. November 2009 bis 17. Januar 2010