Interview mit Pedro Cabrita Reis in Venedig anlässlich seiner Installation A REMOTE WHISPER im Palazzo Falier, 2013
Sabine B. Vogel: Dieser Palast wurde bisher noch nie öffentlich zugänglich gemacht – wie fanden Sie diesen Ort für Ihre Ausstellung während der 55. Biennale Venedig?
Pedro Cabrita Reis: Dieser Palast wurde mir von einem Freund vorgeschlagen, der sich in Venedig sehr gut auskennt. Er wusste, dass ich gerne wieder einmal in dieser Stadt ausstellen wollte, nachdem ich hier vor genau zehn Jahren auf der 50. Biennale Venedig Portugal im nationalen Pavillon vertrat und zugleich in der zentralen Ausstellungen von Francesco Bonami vertreten war. Er fand diesen Palast, ich kam hierher, schaute es mir an – und war begeistert.
SBV: Das Haus sieht frisch renoviert aus – waren die Räume bei Ihrer ersten Besichtigung bereits leergeräumt? Wofür wurde der Palast zuvor benutzt?
Pedro Cabrita Reis: Die Besitzer hatten den Palast an ein Unternehmen vermietet und den Vertrag aufgelöst. Die Renovierung habe ich dann mit Giovanni, einem der Eigentümer, gemeinsam diskutiert. Mein Wunsch war es, möglichst wenig zu ändern, alles sehr einfach zu halten, damit es auf keinen Fall zu schön wird. Denn was mir an dem Haus sofort gefiel war eine Art Reinheit: hier gibt es keine Malerei auf den Wänden, keine fixen Dekorationen und Verzierungen. Zwar hingen hier auch zwei große Murano-Deckenleuchter, aber die wurden freundlicherweise auf meinen Wunsch hin abmontiert – genauso, wie die Türen und auch diese Verbindungsfenster.
Nachdem all dieses geklärt war, sprach ich mit meinen Galerien. Wir trafen uns dann alle hier am 19. November 2012. Alle waren begeistert und später beim Abendessen haben wir schon das Projekt beschlossen.
SBV: Ihre Galerien halfen bei der Finanzierung?
Pedro Cabrita Reis: Ja, wir setzten einen Geschäftsvertrag auf. Ich finanziere meine eigene Produktion – ich möchte die absolute Kontrolle über das haben, was ich mache. Alles außerhalb meines schmalen Budgets finanzierten die Galerien: die Logistik, also Transport, Versicherung, den Ort, das Marketing. Ich bezahlte für die Kunst, die anderen für die Politik.
SBV: Die Ausstellung schaut nicht nach einem schmalen Budget für die Kunst aus …
Pedro Cabrita Reis: … ich habe eine Menge Freunde …
Sabine B. Vogel: Mit Erstaunen habe ich festgestellt, dass Sie in die Wände bohren dürfen – gab es da keine Beschränkungen?
Pedro Cabrita Reis: Wir erhielten dafür die Erlaubnis. Jemand von der städtischen Behörde kam und fragte, was ich plane. Ich konnte ihm nichts Konkretes antworten, denn ich arbeite nicht nach einem genauen Plan. Sicherlich habe ich eine Vorstellung über die generelle Ausrichtung, aber ich lasse mir die Freiheit spontaner Änderungen und Entscheidungen – sogar dramatische, also wieder bei Null zu beginnen. Aber das war hier nicht der Fall, ich bin nahe an meiner Ursprungsidee geblieben.
Sie fragten mich also, ob ich 50, 100 oder sogar noch mehr Nägel einsetzen würde. Aber die Wände sind nicht das Problem, sie baten mich, den Boden so wenig wie möglich zu beschädigen. Darum liegt das Gummi unter den Aluminiumstelen.
SBV: Sie sprechen von spontanen Entscheidungen – ist das denn in den Konstruktionen aus diesem Material überhaupt möglich?
Pedro Cabrita Reis: Sicherlich. Ich bin es gewohnt, in diesen Dimensionen – in Innen- und auch Außenräumen – zu arbeiten. Dieser Arbeitsprozess geht weit über die Gestaltung eines Kunstwerkes hinaus. Es ist eher wie …
SBV: … Architektur?
Pedro Cabrita Reis: … eine Performance! Ich arbeite gerne mit anderen Menschen, ich liebe den Sound von Arbeitsmaschinen, ich liebe die Herausforderung, im Moment zu arbeiten. Ich bin nicht diese Art von Künstler, der gerne viel Zeit mit Vorbereitungen verbringt. Ich bereite mich vor, nicht die Arbeit. Ich denke viel. Ein Großteil meiner besten Projektzeichnungen entstand erst im Nachhinein (lacht laut).
SBV: Sind die Werke hier an den Wänden ebenfalls im Nachhinein entstanden?
Pedro Cabrita Reis: Dieses sind Fotografien. Ich hatte für meinen Sohn einen riesigen TV-Monitor gekauft, damit er mit seinen Freunden diese Schießspiele spielen kann. Also hatte ich diese riesige Kiste von dem extra-Samsung-Apparat im Atelier und beschloss, daraus ein Modell zu bauen. Wir fotografierten es dann mit meinem Telefon und ließen es ausdrucken. Diese Zeichnungen – so nenn ich diese Arbeiten – sind keine Vorbereitungsskizzen, sondern unabhängige Werke. Ich arbeite immer so, dass um ein Projekt herum eigene Werke entstehen, wie Verzweigungen.
SBV: Standen nach Ihrer ersten Besichtigung des Palastes sofort Ihre Pläne für dieses Projekt fest?
Pedro Cabrita Reis: Ich arbeite viel mit Aluminium und besonders mit diesen eckigen 10×10-Röhren. Ich wusste sofort, dass es etwas sein musste, dass losgelöst ist vom Palast, mit einer anderen Temperatur. Temperatur ist nicht Fahrenheit oder Celsius. Es ist eine Haltung, eine Art der Wahrnehmung. In diesem venezianischen Palast, mit seiner Geschichte, dem Kontext der Stadt, wollte ich etwas schaffen, was sowohl im Austausch mit dem Umraum steht als auch einen Kontrast schafft. Es soll dem Raum etwas hinzufügen, ein Dialog entstehen – auch wenn es ein stummes Gespräch zwischen zwei Zuhörern ist, die sich gegenseitig folgen und sich der Gegenwart des anderen bewusst sind.
SBV: Hatten Sie vorab bereits diese Lager-ähnliche Raumsituation neben dem Kamin vor dem Erker mit Aussicht auf den Canale Grande geplant?
Pedro Cabrita Reis: Nein! Diese Situation ist ein Beispiel meiner Arbeitsweise. Ich sammele Müll, um Kunst zu machen. Darum kann ich sehr gut mit jenen Dingen umgehen, die ich nicht weiter benötige. Diese Stücke sind übrig geblieben. Es war der letzte Tag, wir waren hier zum Aufbau vom 5. bis 12. Mai, am 11.Mai entschieden wir diese Anordnung. Ich bin überhaupt nicht zurückhaltend dabei, das offen zuzugeben, denn es ist ein Teil meines Arbeitsprozesses: alles ist nützlich, alles wird verwertet.
SBV: Am Anfang hängen gelbe Regenjacken und Bauhelme – sind das Farbakzente oder Überbleibsel des Produktionsprozesses?
Pedro Cabrita Reis: Das sind Arbeitsjacken… Sehr oft wird meine Arbeit mit Architektur verbunden. Ich habe das vielmals diskutiert und immer darauf bestanden, dass ich mich eher auf der Seite der Konstruktion sehe. Architektur ist mehr ein politischer Prozess, der Beziehungen zwischen Individuen oder in der Gesellschaft zum sozialen und natürlichen Umraum herstellt. So wie ich Architektur verstehe, ist die Aufgabe, das Leben der Menschen IN einem Raum zu organisieren. Ein Konstrukteur dagegen ist mehr ein anthropologischer oder philosophischer Weg. Als Konstrukteur bin ich viel mehr an dem primären Akt interessiert, einen Stein auf den anderen zu stellen und davon ausgehend ein Haus zu bauen. Das Haus allerdings ist keine Unterkunft, sondern die Interpretation der menschlichen Stellung in der Welt. Es ist ein Erforschen unserer Gegenwart in der Natur. Ob wir für oder gegen die Natur sind, ist dabei bereits mit der Vertreibung aus dem Paradies entschieden worden: vom Gebiet des Schicksals in das Gebiet der Kultur. Der Beginn der menschlichen Freiheit beginnt exakt mit dem Engel, der aus dem Paradies fiel.
Als Konstrukteur bin ich mehr auf der Seite der menschlichen Geste – der Konstruktion. Architektur kommt viel später, ist ein politischer Eingriff in die soziale Landschaft. Ich bevorzuge es, davor zu bleiben, in der Dunkelheit des Anfangs statt in der Erleuchtung der sozialen Wahrnehmung.
SBV: Benutzen Sie deswegen so gerne viel Licht?
Pedro Cabrita Reis: Licht dient nicht der Beleuchtung. Es ist ein unberührbares Material. Licht ist so dick wie ein Ziegel, es ist Materie. Wenn ich Licht nehme, dann ist es immer ein industrielles Licht, ein reines, ärmliches, melancholisches Licht, keine LEDs, keine romantischen Glühbirnen, sondern Neon. Neon gehört in dasselbe Universum, in das die gelben Jacken gehören.
SBV: Gehören dorthin auch die drei Wasserkaraffen, die oben auf der Konstruktion stehen, eine halb gefüllt, die beiden anderen leer?
Pedro Cabrita Reis: Das Wasser bezieht sich auf ein langjähriges Thema in meiner Arbeit. In den 1990er Jahren habe ich mich viel mit Wasserzirkulation und Wasser-Architektur beschäftigt, also Kanalsysteme, Wassertanks etc. Dazu gehörte auch mein Werk auf der documenta 1992. Wasser ist seither Teil meiner Arbeit. Wenn man Wasser sucht, muss man in die Erde, in die Dunkelheit eintauchen, und muss es dann in eine Zirkulation überführen, um Leben entstehen zu lassen. Wasser war für mich ein fiktionales und metaphorisches Feld. Diese Karaffen sind einerseits eine Referenz an diese Beschäftigung und implizieren dazu einen zentralen Moment, der in meinem Werk immer wieder vorkommt: das Feiern von etwas. Ich habe immer wieder Tische in meiner Arbeit. Der Tisch ist Objekt für Feiern, an dem sich Menschen treffen, um Politik zu diskutieren oder nur gemeinsam zu trinken. Die Karaffen sind ein Teil dieses Aktes.
SBV: Es ist also nicht ein poetischer Moment inmitten der strengen Aluminiumröhren?
Pedro Cabrita Reis: Alles ist poetisch. Poesie wie auch Mathematik ist die ultimative Sprache. Poesie ist die Kondensierung von Intelligenz, ist wie mathematische Formeln, ist eine Menge von Wissen in einer einzigen Linie.