Pieter Bruegel d. Ältere in der Albertina

23. Okt. 2017 in Ausstellungen

Pieter Bruegel d. Ä., Die Trägheit, 1557, Feder in Graubraun. © Albertina, Wien

Pieter Bruegel d. Ä., Die Trägheit, 1557, Feder in Graubraun. © Albertina, Wien

Pieter Bruegel der Ältere gehört zu den berühmtesten Alten Meistern, obwohl von seinem Oeuvre nur mehr 40 Gemälde und rund 60 Handzeichnungen vorhanden sind. Ein erstaunlich großer Teil davon befindet sich in Wien, im Kunsthistorischen Museum und in der Albertina. 2019 jährt sich der Todestag des Niederländers. Eine gemeinsame Ausstellung beider Häuser kam leider wegen konzeptueller Differenzen nicht zustande, so prescht die Albertina bereits jetzt vor und zeigt den bedeutendsten Zeichner des 16. Jahrhunderts in einer überzeugenden Kabinettausstellung.

Pieter Bruegel d.Ä., Die Versuchung des Heiligen Antonius, 1556. Kupferstich. Albertina

Pieter Bruegel d.Ä., Die Versuchung des Heiligen Antonius, 1556. Kupferstich. Albertina

Dafür durchforstete die Kuratorin Eva Michel in mehrjähriger Forschungsarbeit die Archive der Albertina- und fand eine bisher unbekannte, großformatige Stadtansicht Antwerpens von einem Zeitgenossen Bruegels. Vor allem aber entdeckte sie mehr als 100 bisher nicht bekannte Druckgraphiken, darunter singuläre Zustände und seltene Blätter.

Pieter Bruegel d. Ä., ZORN. Pieter van der Heyden, Hieronymus Cock. 1558, Kupferstich. Albertina

Pieter Bruegel d. Ä., ZORN. Pieter van der Heyden, Hieronymus Cock. 1558, Kupferstich. Albertina

80 Werke sind jetzt ausgestellt, darunter 20 Zeichnungen aus eigenem Bestand, 15 Leihgaben und einige Werke von Zeitgenossen wie Bosch, Dürer oder Altdorfer als Inspirationsquellen und Vergleichsbilder. Es beginnt mit Bruegels frühen Landschaftsdarstellungen von 1552. Man weiß bis heute kaum etwas über das Leben des Meisters, geboren wurde er um 1525/1530 vermutlich in Breda und starb 1569 in Brüssel. 1552 begab er sich auf eine Italienreise, während der die alpinen Ansichten entstanden. Nach seiner Rückkehr begann er für den Antwerpener Verleger Hieronymus Cock zu arbeiten. Bald wurden seine Zeichnungen als Drucke vertrieben, oft in einer Auflage bis zu 2000 Exemplare – eine lukrative Einnahme für den jungen Künstler, dessen Name damals allerdings noch so unbekannt war, dass der Drucker manche Werke gar nicht oder sogar irreführend auswies. So ist weder das großartige Blatt einer Waldlandschaft mit fünf Bären namentlich gekennzeichnet noch „Die großen Fische fressen die kleinen“ (1556) – hier ist „Hieronymus Bos.inuentor“ hinzugefügt. Während übrigens ein Druck von Boschs berühmter Zeichnung „Baummenschen“ (um 1500) die Inschrift „Bruegel“ trägt. Beide hängen jetzt in der Albertina nebeneinander, wodurch man die so oft behauptete Nähe der Künstler wunderbar studieren kann.
Es sind vor allem die Landschaften, mit denen Bruegel den Grundstein seines einzigartigen Werkes legte. Bahnbrechend ist die extreme Nahsicht. Man sieht keine konstruierte Weltlandschaft mehr, sondern Bäume, Hütten, Flüsse, und der Betrachter wird direkt ins Bild versetzt. Damit bereitete Bruegel nicht nur eine neue Tradition der Landschaftsmalerei vor, sondern auch die für ihn so typischen, ausdifferenzierten Details der Bauernbilder und seiner „gestochenen Ethik“, wie ein Kapitel der Ausstellung heißt.

Pieter Bruegel d. Ä., Trägheit. Pieter van der Heyden, Hieronymus Cock, 1558, Kupferstich. Albertina

Pieter Bruegel d. Ä., Trägheit. Pieter van der Heyden, Hieronymus Cock, 1558, Kupferstich. Albertina

Ab der zweiten Hälfte der 1550er Jahre steht der Mensch und seine Position in der Gesellschaft im Fokus von Bruegels Werk, das im Kontext politischer und sozialer Umbrüche entstand. Es war der Vorabend des 80jährigen Krieges, in dem die Niederlande um ihre Unabhängigkeit von der spanischen Krone kämpften. Hinrichtungen, Inquisition, später der Bildersturm – Gewalt und Grausamkeiten waren alltäglich. Aus dieser Zeit stammt der Zyklus der „Sieben Todsünden“ (1556/7).

Pieter Bruegel d. Ä., Hochmut, 1558 Kupferstich. Albertina

Pieter Bruegel d. Ä., Hochmut, 1558
Kupferstich. Albertina

Ähnlich wie Hieronymus Bosch, der gut ein halbes Jahrhundert früher die Todsünden thematisierte, addiert Bruegel hier groteske Mischwesen in Wimmelbild-ähnlichen Kompositionen. Aber anders als Bosch legt er das Motiv nicht mehr religiös als Folge des Sündenfalls an, sondern säkularisiert die moralischen Abweichungen wie Habgier, Wollust, Neid und Trägheit. Zwar entdeckt man immer wieder humorvolle Details wie jene kleine Figur in der „Völlerei“, die ihren fetten Bauch in einem Karren vor sich herschiebt. Aber jetzt ist nicht mehr die Welt vom Bösen infiziert, sondern der Mensch der Träger des Bösen – er ist inmitten der Hölle.

Pieter Bruegel d. Ä., Habgier, 1558 Kupferstich. Albertina

Pieter Bruegel d. Ä., Habgier, 1558. Kupferstich. Albertina

Drei Jahre später entstand Bruegels großartiger Zyklus der „Sieben Tugenden“ (1559), ähnlich wie in den „Todsünden“ mit weiblichen Personifikationen in szenischen Darstellungen. Die starr in der Bildmitte verharrende Gerechtigkeit ist da umgeben von Hinrichtungen und Folter, die Tapferkeit steht gebeugten Hauptes inmitten eines wilden Kampfgetümmels und die Hoffnung balanciert auf einem Anker im stürmischen Meer. Es sind eher Infragestellungen als Bekräftigungen moralischer Werte. Ungewohnt sind auch die Attribute der Tugenden, wenn die Klugheit ein Sieb auf dem Kopf trägt als Sinnbild des Trennens von Gut und Böse. Und der Glaube trägt nicht wie damals üblich ein Kirchengebäude auf dem Kopf, sondern steht in einem Gotteshaus. Das Kreuz hinter ihr ist leer – eine Anspielung an die damals heftig geführte Debatte über die Legitimität von Abbildern Gottes, wie Daniela Hammer-Tugendhat im ausführlichen Katalog mutmaßt.

Pieter Bruegel d. Ä., Völlerei, 1558 Kupferstich. Albertina

Pieter Bruegel d. Ä., Völlerei, 1558
Kupferstich. Albertina

Gerade die Attribute betonen die enge Verankerung von Bruegels Bildwelten in seiner Alltagswirklichkeit, die im nächsten Schritt auch bäuerliche Vergnügungen wie Hochzeiten, Kirtag, Festessen als eigenständige Bildmotive umfassten – was ihm den Beinamen „Bauernbruegel“ einbrachte. Zwar erfand er dieses Genre nicht, schon Albrecht Dürer und Lucas van Leyden hatten Menschen niederer sozialer Stände ins Bild gerückt. Aber wie schon in den Landschaften versetzt Bruegel auch hier wieder den Betrachter mitten in das Geschehen. Der Beiname ist übrigens missverständlich, denn Adressat seiner Werke war nicht der Bauernstand – darauf weisen die lateinischen Schriften der Bilder hin, die für die Albertina-Ausstellung neu übersetzt und teilweise korrigiert wurden. Die Käuferschicht damals war die städtische Elite und die höfische Gesellschaft. Später dann verblasste Bruegels Ruhm, bis zur Wiederentdeckung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert gingen viele seiner Werke verloren. Man schätzt, dass der heutige Bestand nur 1 Prozent des ehemaligen Bestands an Zeichnungen umfasst. Ein Drittel plus dem größten Bestand an Druckgraphiken besitzt die Albertina, deren Bruegel-Schätze im Zuge der Ausstellung jetzt erstmals auch digitalisiert und über eine Online-Datenbank öffentlich zugänglich gemacht werden.

Pieter Bruegel d. Ä., Neid, 1558 Kupferstich. Albertina

Pieter Bruegel d. Ä., Neid, 1558
Kupferstich. Albertina

Pieter Bruegel d. Ä., Wollust, 1558 Kupferstich. Albertina

Pieter Bruegel d. Ä., Wollust, 1558
Kupferstich. Albertina

Peter Bruegel, Das Zeichnen der Welt, 7.9.-3.12.2017
veröffentlicht in: NZZ, 14.10.2017