Die Idee eines Museums ist tief mit der Gesellschaft verbunden. Denn was in den hehren Hallen Eingang findet, wird ´institutionalisiert´, also ´vergesellschaftet´. Es entspricht den Werten und Vorstellungen einer großen Gemeinschaft, und dies meist über Jahrhunderte. Museen sind Orte des Bewahrens und Erforschens, hier werden künstlerische Methoden, Traditionen und Entwicklungen interpretiert. Das erste Museum eröffnete 1734 in Rom. Es folgte eine Zeit, in der Kunst als Eigentum der Nation und zur Bildung des Volkes betrachtet wurde.
Knapp dreihundert Jahre später hat sich das geändert: Während heute die staatlichen Museen mit Budgetkürzungen bis Schließungen kämpfen, boomen Privatmuseen. Was aber passiert, wenn dieses wunderbare Konzept zunehmend privatisiert wird? Wenn mehr und mehr finanzstarke Kunstkäufer ihre eigenen ´Museen´ eröffnen?
Sicherlich, ohne das Engagement von Einzelpersonen ist kein Museum denkbar. Nahezu alle Sammlungen gründen auf aristokratischen oder kirchlichen Initiativen. Die historischen Personen sammelten sicherlich auch, um ihren Ruhm zu repräsentieren, ihren Ruf zu stabilisieren. Aber sie sammelten nie, um zu verkaufen. Und sie sammelten nicht, um sich in eine Welt hineinzukaufen – sie waren ja bereits der Mittelpunkt eines Hofstaates. Der renommierte Kunsttheoretiker Hal Foster schrieb in seinem Essay „After the white cube“: Die Sammlungen der „neoliberalen Millionäre“ seien „auratisch als ein Objekt, fungieren aber als Asset.“ Er nennt es „neo-aristokratische Institutionen“, die keinerlei Verbindung zur Öffentlichkeit herstellen. Stattdessen dienen sie zu gleichen Teilen dem Prestige und dem Portfolio der Eigentümer.
Das US-amerikanische Internet-Magazin „Larry´s List“ veröffentlichte jüngst den „private art museum report“. Dafür waren an 317 privat gegründete Museen in 45 Ländern Fragebogen verschickt worden, den 160 beantworteten. Die Auswahl konzentrierte sich auf öffentlich zugängliche Sammlungen im Privatbesitz.
Die Auswertungen sind erstaunlich: 71 Prozent aller Privatmuseen entstanden in den letzten fünfzehn Jahren. 45 Prozent aller neuen Museen wurden in Europa gegründet, gefolgt von 33 Prozent in Asien. Im Städte-Ranking entstanden die meisten in Seoul (13 Museen), Berlin und Peking (je 9), trotz Wirtschaftskrise sogar 7 Privatmuseen in Athen. Im Ländervergleich liegen Südkorea (45), USA (43) und Deutschland (42) vorne, gefolgt von China (26), Italien (19) und Frankreich (10). Eine Recherche, ob mäzenatisches Engagement mit Schenkungen an und finanzieller Unterstützungen von öffentlichen Museen im selben Zeitraum zu- oder abnahm, steht übrigens noch aus.
Aber ab wann können Privatinitiativen überhaupt als Museum bezeichnet werden? Das wird in der Studie elastisch gehandhabt, denn darunter fällt in Berlin etwa die Sammlung Hoffmann, die Samstags ihr „Zuhause“ öffnet, wie es auf ihrer Internetseite heißt. Auch die Sammlung Springmeier ist „gelebte Allianz von Kunst und Wohnen“, „Besichtigungen gelegentlich möglich“, zu lesen im „BMW Art Guide by Independenten Collectors“. Gerade in der dritten, erweiterten Auflage im Verlag Hatje Cantz erschienen, listet dieser Führer 236 Sammlungen in 39 Ländern auf. In Österreich sind sechs Einträge verzeichnet, darunter auch die Privatmuseen Liaunig, Angerlehner und Essl. Auf die Drei trifft die Definition vom Internationalen Museumsrat (ICOM) durchaus zu: „Ein Museum ist eine gemeinnützige, ständige, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zu Studien und Bildungszwecken, zu Freude, Spaß und Genuss materielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt.“
Zwar erfüllen die Privatmuseen kaum den Forschungsauftrag, aber der ist eh zunehmend dem Bildungsanliegen gewichen – wozu auch gehört, dass Museen Voraussetzungen für kulturelle Integrationsprozesse und interkulturelle Kompetenz schaffen. Das allerdings ist ein Anliegen, dass die Privaten bisweilen eigenwillig erfüllen: Laut dem Report besitzt die Hälfte aller befragten Privatsammlungen US-amerikanische Künstler, 15 Prozent haben Werke von Andy Warhol, 9 Prozent Bilder von Anselm Kiefer, Gerhard Richter und Damien Hirst, 8 Prozent von Pablo Picasso. In den italienischen Privatmuseen besitzen ein Drittel ein Werk von Maurizio Cattelan, gefolgt von Fotografien von Thomas Ruff – berühmte Namen dienen offenbar dazu, dass Portfolio aufzuwerten. Das hat allerdings eine fatale Folge: eine weltweite Standardisierung.
Dazu passt eine weitere Zahl: 43 Prozent dieser Häuser haben weniger als 500 Kunstwerke in der Sammlung, 38 Prozent haben weniger als fünf Mitarbeiter und nicht einmal die Hälfe organisiert mindestens drei Ausstellungen pro Jahr. „Ich sehe das Konzept des Museums im 21. Jahrhundert als Schaulager,“ formuliert es der belgische Sammler Walter Vanhaerents passend.
Nahezu jeder Museumsgründer betont, seine Liebe zur Kunst teilen zu wollen. Das chinesische Sammlerpaar Liu Yigian und Wang Wei, die gleich zwei Museen in Shanghai besitzen: „Kunstwerke sind nichts anderes als Objekte, wenn sie nur in einem Lager stehen.“ Von den 160 Rückantworten an Larry´s List gaben allerdings 19 Prozent an, weniger als 2500 Besucher pro Jahr zu haben, weitere 19 Prozent nannten bis zu 5000 Besucher. Immerhin ein Drittel notierte 20.000. Die Hälfte der Privatmuseen zeigt ausschließlich ihren eigenen Besitz. Manche sprechen aber auch aus, was andere befürchten: „Ich habe ein privates Museum gegründet, weil ich glaube, dass ich gute Kunst erkennen kann,“ beschreibt Savina Lee aus Seouls selbstbewusst ihre Motivation – ihr Museum wurde übrigens 1996 als Gallery Savina gegründet und 2002 in Salvina Museum umbenannt. Da fragt man sich bang, wie viel Einfluss solche Häuser auf die zukünftige Kunstgeschichte nehmen werden?
Ein Künstler wünschte sich jüngst, sein neues, ihm besonders wichtiges Werk möge bitte nur an ein Museum, nicht an einen Privatkunden verkauft werden – was, wenn es da immer seltener einen Unterschied gibt? Und staatliche Museen sich ein Werk für 140.000,- Euro gar nicht mehr leisten können? Oder solche Ausstellunge, wie es die Foundation Louis Vuitton in Paris mit großartigen Museumsleihgaben veranstaltet? Schlimmer noch: In Deutschland steht gerade eine Museumsschließung zur Debatte. Sehr kurzsichtige Wirtschaftsprüfer der Gesellschaft KPMG schlagen der Stadt Leverkusen vor, das Museum Schloss Morsbroich inklusiv Depot zu opfern, 778.450,- Euro pro Jahr würde das ausmachen. Und in Klammern: „Verkaufserlöse Kunstwerke sind hier nicht enthalten.“
Das veranlasste den deutschen Maler Gerhard Richter zu einem offenen Brief an den Oberbürgermeister: „Eine öffentliche Sammlung ist keine Geldanlage, die ja nach Kassenlage geplündert werden kann. Sie ist ein Stück Kunstgeschichte und repräsentiert das Gedächtnis ihrer Träger“, schreibt Richter. Für Privatmuseen gilt dieser Satz nicht – hoffen wir, dass die staatlichen Museen den Bildungsauftrag nicht abgeben.
veröffentlicht in: Die Presse, 28.2.2016