Qatar Museums: Kulturpolitik und erste Design-Biennale in Doha

25. Jun. 2024 in Ausstellungen

Mathaf – Museum of Arabic Art ist eine ehemalige Schule, in der jetzt die Sammlung der Arabischen Moderne mit zeitgenössischen regionalen Künstlern ausgestellt wird. Courtesy Qatar Museums

Die Reportage führt uns durch die extensive Museumslandschaft Qatars. Das kleine Land ist in der Golfregion zugleich Spitzen- und Vorreiter in Sachen Kulturpolitik – wie ist das entstanden?

Kreuz und quer verlaufen Linien durch den Raum. Auf dem Boden stehen längliche Gefäße, gefüllt mit blauem Pigment. In sich verdrehte Quadrate ragen von der Wand. Wir stehen in der Retrospektive von Mehdi Moutashar im Mathaf in Doha.

Mehdi Moutashar, Installationsansicht Mathaf, Doha, 2024. Courtesy Künstler und Lawrie Shabibi Gallery

Es ist eines der ersten Museen in Katar – keiner der prächtigen Prestigebauten namhafter Architekten, sondern eine umgebaute Schule. Moutashar ist 1943 im Irak geboren. Heute lebt er in Frankreich. Sehen wir hier eine arabische Version geometrischer Abstraktionen? Keineswegs, wehrt Mehdi Moutashar ab. Seine Abstraktionen seien in der arabischen Kultur verwurzelt. „Meine Inspiration hole ich aus unseren Ornamenten und der Kalligraphie“, betont er. Auch die Farbe Blau sei kulturell verwurzelt, er verweist auf das Handwerk der Sumerer, jenes Volk, das vor 5000 Jahren in dieser Region lebte.

Vision 2030: Modernisierung und Tradition

Diese Betonung einer kulturellen Verankerung in regionalen Traditionen hört man in Katar immer wieder, wenn mit man Designern oder Künstlern spricht. Es ist ein Mantra, das auch in der „Vision 2030“ festgeschrieben ist – jener 2005 veröffentlichte Plan der „fünf Hauptherausforderungen für Katar“. An erster Stelle steht dort die „Modernisierung und Konservierung von Traditionen“. Dafür wurden auf der nur 180 Kilometer langen, 80 Kilometer breiten Halbinsel, die gleich an Saudi-Arabien angrenzt, bisher sieben Museen gebaut. Vier weitere folgen noch. Damit ist Katar in der Region in bester Gesellschaft. Denn auch Abu Dhabi und seit kurzem Saudi-Arabien investieren enorm in den Aufbau einer kulturellen Infrastruktur.

Erste Sammlung in den 1980er Jahren

Mathaf, Arab Museum of Modern Art. Courtesy Qatar MuseumsKatar allerdings ist den anderen deutlich voraus. Und hat einen klaren Plan. Denn das kleine Emirat lädt nicht nur Stararchitekten ein, die Prachtbauten hinstellen. Anders als seine Nachbarn verfügt Katar bereits über beachtliche Sammlungen. Geld ist dafür genügend vorhanden. 1971 entdeckte Katar erstmals ein riesiges Gasfeld. Die vorhandene Menge ist so gigantisch, dass 2027 und dann noch einmal 2030 die Produktionen verdoppelt werden sollen.

Anders als bei den Nachbarn fließt in Katar ein kleiner Teil der Einnahmen schon seit den 1980er Jahren in die Kunst. Damals unterrichtete der Künstler Yousef Ahmad an der Qatar University. Einer seiner Studenten war der junge Hassan bin Mohamed bin Ali Al-Thani. Ahmad konnte das hochrangige Mitglied der Herrscherfamilie überzeugen, eine Sammlung arabischer Kunst der Moderne für Katar zu beginnen – in einer Zeit, als sich kaum jemand für diese Kunst interessierte.

Kunst im Gefängnis

Heute gilt die Hassan-Sammlung mit über 9000 Werke als beste der Welt und stellt die Basis des 2010 eröffneten Mathaf – was auf Arabisch Museum heißt. Vor der niedrigen Schule stehen monumentale Steinskulpturen wie Wächter der Kunst. Innen treffen gerade die Geometrien von Moutashar auf eine Schau arabischer Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts im oberen Stockwerk. Dort sieht man Inji Efflatouns emotional eindringliche Serie „Frauen hinter Gittern“ von 1959 bis 1963. Die 1924 in Kairo geborene, 1989 gestorbene Künstlerin gehörte 1959 zu den ersten weiblichen Gefangenen, die der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser unter dem Verdacht der Opposition verhaften ließ. Vier Jahre malte sie im Gefängnis, ihre großartigen, kantigen Portraits lassen uns die Härte des Lebens dort erahnen.

Arabische Moderne

Zeina Arida, Direktorin des Mathaf. Courtesy Qatar Museums

Das Mathaf gehört zur ersten „Vision 2030“-Phase – und weist zugleich weit darüber hinaus. „Wir wollen die arabische Moderne in die globale Moderne einschreiben“, beschreibt Zeina Arida die Aufgabe des Museums. Sie ist 1970 im Libanon geboren und leitet das Haus seit 2021. Kultur, das wird in den Katar Museen klar, ist eine hochpolitische Angelegenheit. Denn es geht nicht nur um den Kulturgenuss für die 2.7 Millionen Einwohner, von denen nur rund zehn Prozent Staatsangehörige Katars sind. Oder für Touristen. Es geht um die Positionierung des kleinen Emirats in der Region. In der Welt.

Sheikha Al Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al Thani bei der Eröffnung des Berber Schmucks im MIA, Doha. Courtesy Qatar Museums

So wehrt HE Sheikha Al Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al Thani im email-Interview auch die Frage nach einem Konkurrenzkampf in der Region ab. „Eines der Hauptziele der Katar Museen ist die Förderung des gegenseitigen Verständnisses und der Zusammenarbeit über Grenzen hinweg durch kulturellen Austausch“, erklärt sie. Und formuliert vorsichtig: „Wir sind auf jeden Fall offen für die Erkundung der Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit Institutionen in der Golfregion.“ 1983 geboren, ist sie die Schwester des herrschenden Emirs von Katar. 2013 wurde sie von Artreview auf Platz 1 der mächtigsten Menschen in der Kunstwelt gewählt. Denn als Vorsitzende der Qatar Museums ist sie Herrin über gewaltige Ankaufs-Millionen für den Aufbau der Museumssammlungen – 2013 war die Rede von 600 Millionen Pfund jährlich.

Museum of Islamic Art (MIA), Doha, Katar. Courtesy Qatar Museums

Bestätigt wurde diese immense Summe nie. Wieviel will auch niemand verraten. Aber man kann es erahnen, wenn man das Museum of Islamic Art (MIA) besucht. Für diesen ikonischen Bau am Ende einer langen Anfahrtsrampe ließ sich der Architekt I. P. Mei von einer Moschee inspirieren. Im hellen Sonnenlicht erstrahlen die ineinander verschachtelten Kuben jetzt wie eine magische Erscheinung. 2008 eröffnet, ist es die „flagship institution“ der ersten „Vision 2030“-Phase, wie Al Mayassa es nennt. Hier werde „Katars Geschichte und Kultur reflektiert und erforscht“. Das überzeugt angesichts der beeindruckenden, seit Ende der 1990er Jahre aufgebauten, permanenten Sammlungen.

Schmuck aus Marokko

Berber Schmuck der Sammlung des Königlichen Palasts Marokko im MIA. Courtesy Qatar Museums

Aber wie passt die Sonderausstellung „Berber Schmuck aus der Königlichen Palast-Sammlung Marokkos“ dazu? Die rund 200 glänzenden Beispiele des Silberschmuckhandwerks sind hier erstmals überhaupt außerhalb Marokkos zu sehen, erfahren wir. Seit 2015 ruft Katar jährlich ein „Year of Culture“ aus. Es ist eine Mischung aus politischen und wirtschaftlichen Interessen, die unter dem Slogan „kultureller Austausch und Dialog“ stattfindet – auch ein immer wiederkehrendes Mantra der Kulturpolitik. Dieses Jahr steht Marokko im Zentrum.

„Fashioning An Empire“ zeigt Textilien der Safawiden, einer iranisch-aserbaidschanischen Herrscherdynastie in Persien von 1501-1722. Foto Museum of Islamic Art, Doha. Courtesy Qatar Museums

Im Erdgeschoß des MIA dann überrascht uns ein weiteres Land: Noch bis Ende Juni sind hier Textilien der iranischen Safawiden zu sehen. Diese Herrscherdynastie regierte von 1601 bis 1722 und gilt als Grundlage des heutigen iranischen Staates. Im schonenden Halbdunkel sehen wir die historischen Gewänder und Teppiche, die mit zarten Blumenmotiven verziert sind.

Fashioning an Empire, MIA, Doha. Courtesy Qatar Museums

Spiegelt auch diese Ausstellung die Austausch-und-Dialog-Politik Katars wider? „Nein“, widerspricht MIA-Direktorin Sheika Nasser Al-Nassr im Gespräch in der riesigen Eingangshalle. Sie trägt ihre elegante Abaya offen, darunter eine weiße Bluse und Dior-Gürtel. Solche Überkleider plus Kopftuch sind hier keine Pflicht, sondern eine freiwillige Entscheidung, um die Tradition zu betonen. Sämtliche Objekte seien aus der Sammlung des Hauses – wie überhaupt die großen Ausstellungen des MIA nur aus den eigenen Beständen heraus entstehen würden, wehrt sie die politische Implikation entschieden ab.

Donald Judds + Dan Flavin: Maximalismus in Al Riwaq

Wenige Meter vom MIA entfernt steht Al Riwaq, ein riesiger, schmuckloser Kasten für zeitgenössische Wechselausstellungen. Hier läuft eine Donald Judd/Dan Flavin-Ausstellung – wie passen diese US-Künstler in das Programm der regionalen Verankerung? Früher waren bereits Jeff Koons und Damien Hirst zu sehen, offenbar dient der schlichte, lange Bau den großen Blockbustern. Für die Judd/Flavin-Schau bieten die hohen Hallen die einmalige Gelegenheit, die Skulpturen in außergewöhnlichen Dimensionen zu zeigen. „New York ist zu klein, um eine solche Ausstellung zu zeigen“, fasst es Judds Sohn Flavin zusammen – dafür braucht es den Nahen Osten, könnte man ergänzen. Und Kurator Michael Govan betont beim Rundgang: „Hier können wir zeigen, dass die beiden nicht dem Minimalismus, sondern einem Maximalismus zuzuordnen sind.“

Zur Kunsthalle umgebaute Feuerwache „Fire Station“, in der gerade die Soloschau von Pipilotti Rist läuft. Courtesy Qatar Museums

Pipilotti Rists „Electric Idyll“ in der Firestation

Govan ist Direktor des LACMA Museums in Los Angeles und lernte beide Künstler schon vor Jahrzehnten kennen. Er arbeite schon länger mit den Qatar Museums zusammen, sagt er, und habe die Ausstellung eben wegen der Chance auf die enormen Dimensionen der Werke vorgeschlagen. Er ist nicht der einzige Museumsdirektor, der hier schon lange im ´kulturellen Austausch´ steht. Auch Massimiliano Gioni arbeitet mit den Katar Museen zusammen, seit 12 Jahren – die im Zuge der Fußball-WM allgegenwärtige Kritik an Katar scheint die Kulturwelt nicht berührt zu haben. Gioni ist künstlerischer Direktor des New Museums in New York und verantwortet gerade die große Pipilotti Rist-Schau in Doha.

Pipilotti Rists Installation “Electric Idyll” in der Fire Station in Doha. © ProLitteris, Courtesy of the artist, Hauser & Wirth and Luhring Augustine. Foto Qatar Museums

Nach dem Ankauf einer raumgreifenden Installation von Rist für das Qatar National Museum habe es den Wunsch nach einer Personale der Schweizer Künstlerin gegeben, erzählt er. Jetzt verwandele ihre „Electric Idyll“ die zur Kunsthalle umgebaute ´Fire Station´ in ein „weiches Gebäude“, wie Gioni erklärt. „Wir haben vier Wochen lang installiert, bis die beiden Inseln mit den Möbeln im Raum passten. Das Bett stammt übrigens aus Pipilottis Schlafzimmer“, merkt er an. Über die „Inseln“, die Wände und Teppiche gleiten jetzt digital manipulierte, psychodelische Projektionen. Dazu erfüllt ein hypnotischer Sound die rund 650 Quadratmeter der ehemaligen Feuerwehr-Garagen. Wer seine Schuhe auszieht, darf die Inseln betreten, sogar auf dem Bett liegen – und Teil werden dieser farbenfrohen „Idylle“.

Rendering des Art Mill Museum des chilenischen Architekturstudios ELEMENTAL von Alejandro Aravena. 2030 sollen die umgebauten Türme der ehemaligen Getreidemühle am Corniche eröffnen. Courtesy Qatar Museums

Ging es in der zweiten Phase um „menschliche und soziale Entwicklung“, befindet sich Katar jetzt in der dritten, die internationale Kultur fokussierende Phase. Höhepunkt soll das vom Chilenischen Architekten Alejandro Aravena geplante ´Art Mill Museum´ werden, „unser vollständig internationales Museum“, wie es Al Mayassa nennt, das „auch Raum für ein Kreativdorf bietet“.

Kulturelles Eco-System

Denn Katars Ziel sei es, ein „kulturelles Eco-System“ aufzubauen, betont sie. Darin unterscheidet sich der Plan deutlich von jenen in Abu Dhabi und Saudi-Arabien. Dort wird dezidiert Tourismus anvisiert. Katar dagegen will Kreative anlocken.

Die Klassenräume der ehemaligen Schule dienen jetzt für workshops in dem zum Design-Zentrum Liwan in Doha. Courtesy Qatar Museums

Dafür stehen Arbeitsstätten im Liwan Design Studio bereit. Die ehemalige Schule mit den kleinen, schattigen Innenhöfen eignet sich perfekt für unkomplizierte Treffen. In den kleinen Klassenräumen finden Workshops statt, eine junge Designerin fertigte dort gerade schmale, lange Kerzen für Palästina an – für stolze 40 Euro pro Stück. Katar bezieht in dem Gaza-Krieg auch offiziell Stellung, Ende Februar fand in der von Rem Koolhaas entworfenen Zentralbibliothek der „Cultural Salon“ mit Lesungen zu Palästina statt. Zur Eröffnung der 1. Doha Design Biennale Ende Februar wurde auf das Ausstellungsgebäude M7 die palästinensische Flagge projiziert.

Installationsansicht Arab Design Now, Design Doha. Foto: © Julián Velásquez, Courtesy Qatar Museums

Die Design Biennale ist Katars jüngster Clou auf dem Weg in eine Gesellschaft, in der durch regionale Verankerung Kreativität entstehen soll. Und das Interesse sei groß, sagt Ghada Al Kahter. Sie sieht einen „Hunger nach Kunst und Design“. Auch sie ist traditionell gekleidet, obwohl sie in ihrer Position als „Ko-Kuratorin für Austausch“ am Liwan Design Studio für das neue Katar steht – Tradition und Innovation sind hier kein Gegensatz. Sie spricht von einer „Mini-Renaissance“: „Design war immer Teil unserer Gesellschaft und wird jetzt wieder wichtig“. Ob Design und Handwerk hier synonym gesetzt sind? Kunst und Design jedenfalls bereiten hier dieGesellschaft auf die Herausforderungen zukünftiger Generationen vor.

National Museum of Qatar designed by Ateliers Jean Nouvel. Foto: Iwan Baan

in leicht veränderter Version veröffentlicht in: NZZ, Art Basel Beilage, 10.6.2024