Rekordpreise für Kunst

12. Mai. 2012 in Kunstmarkt

Ein Rekord nach dem anderen jagdt durch die Feuilletons. Kunstwerke werden zur Meldung des Tages. Aber kann es in der Kunst überhaupt Rekorde geben? Aber warum muss man dann bis in den letzten Winkel der Welt von Munchs „Der Schrei“ als „Weltrekord“ lesen? Aus dem Lateinischen kommend, bezeichnet ´recordari´ ´sich erinnern, merken´. Was werden wir von diesem Rekord erinnern? Bildmotiv, Komposition, Verkaufsort, Preis? Haben Sie sich den letzten spektakulären Rekord gemerkt? Das ist zwei Jahre her: „Akt mit grünen Blättern und Büste“ von Pablo Picasso, eine Kombination von Stilleben und Akt, eine fantastische Komposition, dynamisch und voller kunsthistorischer Zitate. Ersteigert bei Chriestie´s in New York für 95 Millionen Dollar, plus Aufschlägen also 106,5 Millionen Dollar.
Erinnern Sie wenigsten noch die Rekorde letzter Woche: der teuerste aller Mark Rothkos für $ 86,3 Mio Dollar, ein kleines Bild von Roy Lichtenstein für $ 44, 9 Mio? Dieses „Sleeping Girl“ von 1964 ist reichlich simpel und war einzig begehrt, weil es als „marktfrisch“ angepriesen wurde – eine entsetzliche Kategorie für Kunst, die keineswegs mit Qualität verwechselt werden darf. Der Begriff bedeutet, dass das Werk bisher nicht im Auktionshandel war, also noch nicht ins Astronomische gesteigert wurde und daher noch Rendite verspricht. Das ist wichtig, denn die Kunden für diese Rekord-Preiskategorie sind selten leidenschaftliche Sammler. Sie sind Investment-orientierte griechische Reeder, russische Oligarchen und US-amerikanische Finanzjongleure, und noch häufiger professionelle Kunsthändler, die die ersteigerten Werke anschließend unter Ausschluss der rekordverliebten Öffentlichkeit wieder gewinnbringend weiterverkaufen.
Das ist auch der banale Hintergrund dieses Rekord-Spektakels: Es sind Meldungen über Investitionen, die dem Anheizen weiterer Investitionsgier dienen. Die Kunstwerke werden zum Bild für Vermögen, von Wirtschaftswachstum – und übrigens auch von Inflation. Aber das wird genauso selten thematisiert wie die Fehlpässe: Andy Warhols „Double Elvis“, der auf $ 30 – 50 Mio. geschätzt worden war, ging ´nur´ für $ 37 Mio. weg. Seine „Campbells Soup“ (1986) blieb unverkauft. Auch Richard Prince´ „Emergency Nurse“ (2004), das auf $ 3-5 Mio geschätzt worden war, fand keinen einzigen Bieter. Und Claes Oldenburgs „Popsicle, Hamburger, Price“ von 1961-62 wurde vor sechs Jahren für $ 623.000,- versteigert, brachte jetzt im Wiederverkauf nur $ 485,500.
Noch etwas verliert sich im Glanz der Rekorde: Die Höchstpreise kommen keineswegs von ungefähr. Hinter dem Verkauf von Munchs „Schrei“ steht eine beispielslose Marketingkampagne. Der norwegische Künstler ist bei weitem nicht so bekannt wie Picasso, Andy Warhol oder andere frühere Rekordhalter. Daher musste das Auktionshaus den Verkauf intensiv vorbereiten. Zunächst kamen andere Bilder des Malers auf den Markt, wurden als Topwerke ausgerufen, bis dann heuer der „Schrei“ als Supertopwerk positioniert werden konnte. Fünf Tage lang durften 7500 ausgesuchte Kunden die von dickem Glas geschützte, nur 92 cm kleine Wachskreidezeichnung in London aus ehrfurchtsvoller Distanz begutachten. Anschließend kam es nach New York, wo noch exklusivere Kunden in einem geschlossenen Raum das Bild ungeschützt und aus der Nähe betrachteten. Für die Allerexklusivsten wurde das Bild entrahmt und noch Ausgesuchtere durften sich das Werk sogar ausleihen. Zudem produzierte das Auktionshaus zwei Promotion-Videos und limitierte Hard-Cover-Bücher für eine kleine Kundenschar.
All dies zielte auf Exklusivität und Staunen – etwas, was wir auch angesichts von Rekorden erleben. Bei Kunst geht Staunen üblicherweise vom Kunstwerk, nicht vom Verkaufspreis aus. Bei Sprechen von Rekorden ist das verdreht – könnten wir daher bitte auf dieses Thmea wieder verzichten?