Renata Lucas in der Wiener Secession

17. Dez. 2014 in Ausstellungen

Renata Lucas, Wiener Secession

Renata Lucas, Wiener Secession

Zur Eröffnung war die Galerie im Untergeschoß der Secession geschlossen. Der Beitrag der brasilianischen Künstlerin Renata Lucas war nicht fertig geworden. Bei allem Zeitdruck, der mit jeder Ausstellung einhergeht, passiert solch ein Totalausfall nahezu nie. Aber hier trafen gleich zwei Probleme zusammen: Das Transportunternehmen hatte ihre Werke statt nach Wien in die USA geliefert. Als endlich alles aufgebaut werden konnte, mischte sich die Brandschutzpolizei ein: Das untere Geschoß der Secession ist als Keller ausgewiesen und dort dürfen die Fluchtwege nicht verbaut werden. Jetzt aber ist alles gelöst und wir betreten mit Spannung die Galerie. Welches Erstaunen – die Räume von Renata Lucas sind leer!

Die 1971 geborene, in Rio de Janeiro lebende Künstlerin ist bekannt für ihre streng konzeptuellen Werke. Immer reagiert sie direkt auf den Ort und krempelt Vorhandenes gehörig um. In Rio bedeckte sie eine große Straßenkreuzung mit einem Sperrholzboden, was eine irritierende Vermischung von öffentlichem und privatem Raum ergab. Für einen Moment begegneten sich Autofahrer und Fußgänger auf dieser Bühne. Den Anwohnern waren die lose aufgelegten Bretter zu laut, sie demolierten die Konstruktion und baute daraus eine neue Installation: „Failure“ (Scheitern).
Es ist eine der wenigen transportablen Werke, die zuletzt 2008 auf der Istanbul Biennale zu sehen war: Auf dem Boden liegen Holzpanelen, die mit Scharnieren verbunden sind. Die Besucher können einzelne Platten wie Hindernisse aufstellen, können einen wie von einem Erdbeben aufgebrochenen Boden kreieren. Auf der Biennale Venedig 2009 asphaltierte Renata Lucas einen Teil des Kiesweges in den Giardini – eigentlich unübersehbar und ein massiver Eingriff, trotzdem drang es bei vielen Besuchern nur sehr langsam ins Bewusstsein. Eine Herausforderung an unsere Achtsamkeit installierte Lucas auch 2010 vor den Kunstwerken in Berlin: Wie eine gewaltige, tektonische Verschiebung versetzte sie den Gehweg vor dem Haus auf der Auguststraße um 7.5 Grad gegen den Uhrzeigersinn. Auf einem Stück führte uns das Bodenmuster plötzlich gegen die Hauswand.
Renata Lucas befragt wirklichkeitsformende Strukturen. Sie mache den Hintergrund zum Protagonisten, erklärte die Künstlerin einmal. Immer greift sie ein Raumelement auf und inszeniert eine kleine Verschiebung: „Fiktion ist meine Intervention“, fasst sie es zusammen: „Definiere deinen eigenen Pfad, deinen eigenen Zeichenwald.“ Nicht immer kann sie dabei ihre Pläne umsetzen: In Venedig hatte sie ursprünglich einen Kanal in eine Straße verwandeln wollen, in Berlin scheiterte ihre Idee, drei Grundstücke mit einer gemeinsamen Tür zu verbinden. Ursprünglich hätten die Grenzen zwischen der benachbarten Synagoge, Dan Grahams Glaspavillon und einem Wohnhaus vermischt werden sollen, aber die Nachbarn waren dagegen.
Schwierigkeiten gehören wohl zu ihrem Werk dazu: „Die Diskussionen im Vorfeld sind untrennbarer Teil meiner Arbeit“, betont die Künstlerin. In der Wiener Secession konnte Lucas ihr Konzept zuletzt doch noch durchsetzen: Wir betreten die unteren Räume durch eine Drehtür. Jede Drehung erzeugt einen Ton, denn die Tür ist durch ein kleines Zahnrad mit einem im Boden eingelassenen Plattenspieler verbunden. Wann immer jemand die Räume betritt, setzt die Tür den Apparat in Gang. Was dann erschallt, ist keine Musik, sondern ein recht quälendes Geräusch – zumal die Tür in beide Richtungen bewegt werden kann. Je mehr Menschen allerdings hintereinander durch die Tür gehen, desto kontinuierlicher läuft die Langspielplatte, desto eher meint man etwas verstehen zu können. Die Nadel ist in einem kleinen Loop gefangen, der immer wieder die Textzeilen „she will come“ und „she will go“ abspielt. In einer ähnlichen Installation war „I was opening the door“ zu erahnen – was als das Motto der Künstlerin gelten kann. Denn immer öffnet sie uns Räume, die durch verhärtete Vorstellungen zugestellt sind. Da ist es nur konsequent, dass Lucas mit einem Minimum an Materialaufwand auskommt – leer aber sind ihre Räume nie.

veröffentlicht in: Die Presse, 9.12.2014

Wiener Secession, bis 25.1.2015