RIBOCA1 – Riga International Biennale 2018

12. Aug. 2018 in Biennalen

James Beckett Palace Ruin 2016. The Former Faculty of Biology of the University of Latvia, RIBOCA1

James Beckett Palace Ruin 2016. The Former Faculty of Biology of the University of Latvia, RIBOCA1

Jetzt hat auch Lettland eine Biennale. Dank privater Mittel eröffnete im Juni die 1. Riga International Biennale, kurz: RIBOCA1.
Lettland ist etwas kleiner als Bayern. Knapp zwei 2 Millionen Einwohner leben hier, 26 Prozent davon gehören zur russischen Minderheit. Der baltische Staat wurde 1940 von Russland besetzt, kam 1941 kurz zu Deutschland, wurde dann wieder russisch. Seit 1991 ist Lettland zwar unabhängig, aber Russland ist noch immer allgegenwärtig. Erst jetzt wurde beschlossen, dass in den Schulen ab der 10. Klasse nur noch Lettisch als Unterrichtssprache erlaubt ist, was Russlands Präsident Putin sofort scharf kritisierte. Anfang dieses Jahres geriet die größte lettische Bank wegen systematischer Geldwäscherei in die Schlagzeilen. Das wunderschöne Ferienstädtchen Jurmala knapp 20 Kilometer von Lettlands Hauptstadt Riga entfernt ist Tummelplatz russischer Oligarchen, die sich jahrelang für nur 150.000 Euro ein „goldenes Visum“ kaufen konnten und hier die größten Villen besitzen.

Ag auf der Eröffnungszeremonie RIBOCA1, 2018. Foto Didzis Grodzs

Agnija Mirgorodska auf der Eröffnungszeremonie RIBOCA1, 2018. Foto Didzis Grodzs

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die vor zwei Jahren gegründete Riga Biennale von vielen lettischen Politikern und auch in der Kunstszene mit großem Misstrauen beobachtet wurde. Denn Gründerin ist die 30jährige Agnija Mirgorodska, Tochter eines russischen Unternehmers, der die Biennale maßgeblich finanziert. Das Schlagwort „Russisches Geld“ hörte man noch während der Eröffnungstage überall. Die gesamte Vorbereitungszeit sei sie damit konfrontiert worden, erzählte Chefkuratorin Katrina Gregos im Gespräch. Dahinter steht die in Lettland allgegenwärtige Angst vor einer militärischen oder auch kulturellen Übernahme durch das mächtige Nachbarland. Aber die in Griechenland geborene, in Brüssel lebende Kuratorin entkräftigt die Sorge: Die russische Finanzierung sei völlig transparent, es bestehe keinerlei regierungsnahe Indienstnahme. Im Gegenteil – die RIBOCA, wie die Abkürzung für die Riga Biennale of contemporary art lautet, lege einen Schwerpunkt auf Kunst aus baltischen Ländern und der nordischen Region. Russland wird darin zwar nicht ausgespart, aber auch nicht betont. „Das Hauptziel der Biennale ist es, die Annahmen und Meinungen sowie die Ansichten von Menschen über zeitgenössische Kunst zu ändern“, betonte Mirgorodskaya auf der Pressekonferenz. „Wir zeigen Werke, die Wissenschaft, Technologie und verschiedene psychologische Zustände von Menschen verbinden.

Katarina Gregos auf der Eröffnungszeremonie RIBOCA1, 2018. Foto Peteris Viksna

Katarina Gregos auf der Eröffnungszeremonie RIBOCA1, 2018. Foto Peteris Viksna

Als Titel der 1. RIBOCA wählte Gregos das von Alexei Yurchaks gleichnamigen Buch entliehene Motto „Alles war ewig, bis es aufhörte zu existieren“ („Everything was forever until it was no more“). Yurchak diskutiert darin den Zusammenbruch der Sowjetunion. Gregos greift es auf, um Prozesse der Veränderung und unseren Umgang damit zu thematisieren. „Wir sind in eine Periode der Unstabilität eingetreten, in der sich viele unserer geliebten Annahmen und Sicherheiten in Luft auflösen“, fasste sie den düsteren Tenor unserer Zeit zusammen. Dafür lud sie 104 Künstler inklusiv 10 Kollektiven ein. Ein Drittel stammt aus baltischen Ländern, 70 Prozent aus der baltischen Region, worin auch Schweden und Deutschland eingereiht sind. Damit erübrigt sich auch von Beginn an die Frage nach einer spezifisch baltischen Ästhetik, zu offen ist die Kategorie angelegt. Das Budget der Biennale beziffert Mirgorodskaya mit „mehrere Millionen“, darin eingerechnet 900.000 für Produktionen und auch Künstlerhonorare. Die 114 Werke, darunter 49 eigens für die Biennale produzierte, sind in einem Rundgang über die Stadt verteilt in 8  höchst diversen Orten, darunter die ehemalige Uni-Fakultät für Biologie wenige Gehminuten von der historischen Altstadt entfernt, die frühere Residenz des 1928 verstorbenen, lettischen Architekten Kristaps Morbergs mit Blick auf den Park, die halbverfallene Textilfabrik „Boljevicka“, ein Pier am Fluss Düna, das Art Centrum Zuzeum und für den „Epilog“ ein Bahnhof im Stil der Sowjetischen Moderne in Jurmela, den man mit dem Zug für 2,80 Euro hin- und retour erreichen kann. An diesen Orten werden die „Geister aus der Zukunft heraufbeschwört und die Propheten der Vergangenheit zurückgerufen“, wie Gregos es bildreich zusammenfasst.

Jakob // SBV

Jacob Kirkegaard // SBV

Als Auftakt dient James Becketts (1977, Zimbabwe/Holland) „Palace Ruin“ im Park neben der Biologischen Fakultät. Wie ein ausgebranntes, noch rauchendes Skelett eines Hauses erzählt es von etwas Vergangenem. Diese morbide Stimmung setzt sich in der ehemaligen Fakultät fort, wo Künstler Bilder für den Klimawandel suchen, wenn Jacob Kirkegaard (1975, Dänemark) in einem in diffuses rotes Licht getauchten Raum den Sound von schmelzenden Gletschern vorspielt, oder Julian Charrière (1987, Schweiz/Deutschland) eine mit Eis überzogene Blume in einer Kühlvitrine zeigt, an deren Glasscheiben Eisblumen wachsen.

Julian Charriere, RIBOCA1 // SBV

Julian Charriere, RIBOCA1 // SBV

Andere Künstler wie Sissel Tolaas (1963, Norwegen/Deutschland) integrieren Spuren der schon lange geschlossenen Universität in ihre Werke: Für ihre Erforschungen von Gerüchen inszeniert sie ein Labor mit vorgefundenen und selbst entworfenen Reagenzgläsern, aus denen es herausdampft. Nikos Navridis (1958, Griechenland) sortiert die vorher achtlos herumgelegenen Bücher der Bibliothek zu einer Wand aus aufgeschlagenen, aber unlesbaren Seiten.

Nkos Navridis, All of old, Nothing else ever ... , 2018 , RIBOCA1 // SBV

Nkos Navridis, All of old, Nothing else ever … , 2018 , RIBOCA1 // SBV

Andere Beiträge greifen wissenschaftliche Themen und Arbeitsmethoden auf – eine aktuell stark zu beobachtende Tendenz in der Kunst, die die alles dominierende Stellung der Wissenschaft in unserer Gesellschaft widerspiegelt. In seiner vielteiligen Installation „Transformation Scenario“ bündelt Clemens von Wedemeyer (1974, Deutschland) Recherchematerial zum Thema ´menschliches Verhalten in Gruppen“, das allerdings derartig komplex angelegt ist, das man es sich kaum erschließen kann. Kerstin Hamilton (1978, Schweden) verteilt über mehrere Räume ihre Recherche zu baltischen Wissenschaftlerinnen in „The Science Question in Feminism“. Zu den überzeugendsten Beiträgen gehört Julian Rosefeldts (1965, Deutschland) Film „In the land of Drought“: Komplett weiß gekleidete Wissenschaftler untersuchen Spuren von Zivilisation, gefilmt aus der Vogelperspektive von einer Drone. Am Ende des 43minütigen Film formen ihre Bewegungen eine Choreographie, die an eine Zellteilung erinnern – ein spannendes Spiel zwischen Mikro- und Makroperspektiven.

Fernando Sanchez Castillo, Guernica Syndrome, 2012/2018. RIBOCA1 // SBV

Fernando Sanchez Castillo, Guernica Syndrome, 2012/2018. RIBOCA1 // SBV

Jeder Ort steht unter einem eigenen Leitmotiv, in der Residenz sind es historische und politische Veränderungen, in der Fabrikruine Aspekte von Entropy und Zerstörung. Im neugegründeten, privaten Zuzeum Art Center wird eine persönlichere Perspektive vorgeschlagen, wenn etwa Maryam Jafri (1972, Pakistan/Dänemark/USA) in ihren Objekten unter dem Stichwort Wellness zeigt, wie angstbesetzt und zugleich narzisstisch unser Verhältnis zum eigenen Körper ist. Von den Beziehungen zwischen Staat und Menschen erzählt Erik Kessels (1966, Holland) Fotowand „Chain of Freedom“ im Sporta2Square: Er sammelte so viele Fotos wie möglich von der 675.5 Kilometer langen Menschenkette, die 1989 in den drei baltischen Staaten als Zeichen gegen die sowjetische Besatzung gebildet wurde. In den besten Beiträgen schaffen es die Künstler, dem meist dystopischen Grundtenor emotional intensive, poetische, manchmal sogar humorvolle und vorsichtig optimistische Bilder beizusteuern. In seinem 8minütigen Film zeigt Aslan Gaisumov (1991, Tschetschenien/Holland) einen Raum, der sich langsam mit alten Menschen füllt. Für seine Dokumentation versammelte Gaisumov diese Menschen, die die bis heute nicht aufgearbeitete sowjetische Deportation im Februar 1944 überlebten. Niemand spricht auch nur ein Wort, denn keine Sprache kann das Unbeschreibbare beschreiben. Beklemmend und zugleich poetisch ist auch Augustas Serapinas (1990, Litauen) Beitrag, der in den abgelebten Zimmer der ehemaligen Residenz mithilfe konservatorischer Techniken die Leere thematisiert. Paulis Liepa (1987, Lettland) entwirft Bilder für eine Erinnerung von Dingen, die niemals stattfanden.

Indre Serpytyte, (1944-1991)Former NKVD - MVS - MGB - KGB Bzildings, 2009-ongoing. RIBOCA1 // SBV

Indre Serpytyte, (1944-1991)Former NKVD – MVS – MGB – KGB Bzildings, 2009-ongoing. RIBOCA1 // SBV

Umgekehrt recherchierte Indre Serpytyte (1983, Litauen) ehemalige sowjetische Geheimdienstgebäude in Litauen und ließ davon Holzmodelle anfertigen, die jetzt eng gedrängt auf Metallregalen stehen und hoffen lassen, dass dieses Kapitel der Geschichte ins Lager verbannt ist. Das finnische Team IC-98 hat zusammen mit dem Designer Kustaa Saksi (1975, Finnland/Holland) einen wunderschönen, riesigen Teppich als Bild der Zukunft entworfen: Der Meeresspiegel hat die Menschheit ausgelöscht, Pflanzen übernehmen das Territorium.

Maarten Vanden Eyndes, Pinpointing Progress, RIBA 2018 // SBV

Maarten Vanden Eyndes, Pinpointing Progress, RIBA 2018 // SBV

Und unten auf dem Industrieareal am Fluss steht Maarten Vanden Eyndes (1977, Belgien) große Skulptur „Pinpoiting Progress“: Bus, Motorrad, Fahrrad, Telefon bis Handy sind aufeinander stapelt. Die Produkte wurden in Riga produziert, zeigen technologischen Fortschritt, erinnern zugleich an Insekten in Museen, die auf Nadeln aufgespießt werden, aber auch an die Bremer Stadtmusikanten. Mit einem Augenzwinkern hat der Künstler damit ein komplexes, weithin sichtbares Denkmal für das Biennale-Thema der Veränderungen geschaffen.

Bricks Bar, RIBOCA1 // SBV

Bricks Bar, RIBOCA1 // SBV

Als tatsächliche, permanente Veränderung angelegt ist Andris Eglitis´ Beitrag. Der berühmte lettische Künstler hat seit Jahren sein Atelier auf dem Gelände der ehemaligen Fabrik, die ihm als Materialreservoir und Freiraum dient. Für die Dauer der Biennale baute er die „Bricks Bar“, als Treffpunkt, als funktionale Skulptur, als Zeichen, wie konstruktiv ein verfallenes Areal in eine lebendige Welt umgewandelt werden kann. Und zwischen all den Schutthaufen und überwucherten Gebäuden findet man hier auch die kleinen Objekte von Adrian Villar Rojas (1980, Argentinien). Insgesamt platzierte Rojas rund 70 dieser an Wespennestern orientierten Skulpturen entlang des Biennale-Parcours. Er gibt uns bewusst keine Hinweistafelen, wir sollen unsere Umgebung genau anschauen, denn auch das gehört zum Thema der Veränderung – und ist damit eines der schönsten, optimistischen Werke dieser intensiven Biennale, in der mit dem Tag der Eröffnung auch die Angst vor dem russischen Geld verschwunden war und der Vizebürgermeister gemeinsam mit den Künstler entspannt in der Villa Benjamin in Jurmela feiern konnte.

RIBOCA, 2. Juni – 28. Oktober 2018
https://www.rigabiennial.com/

veröffentlicht in: Kunstforum, Bd. 255, 2018