Robert Motherwell: Meister der Farbe Schwarz

18. Okt. 2023 in Ausstellungen

Robert Motherwell, Elegy to the Spanish Republic, um 1962/1982. Modern Art Museum of Fort Worth. Museumsankauf, Friends of Art Endowment Fund. © Copyright 2023 Dedalus Foundation, Inc./Licensed by Artists Rights Society (ARS), NY

In der USA ist Robert Motherwell ein Star, in Österreich war seine letzte Personale 1976, in Europa zuletzt 1998. Jetzt feiert das Kunstforum Wien Motherwell mit „Pure Painting“ – ein Highlight des Jahres!

Einmal wurde Robert Motherwell von einem Museumsbesucher gefragt, was denn sein großes, abstraktes Gemälde bedeute. Ihm sei da bewusst geworden, erzählte er später, dass es aus Tausenden Pinselstrichen bestand, jeder einzelne eine bewusste Entscheidung, die sein „inneres Ich“ beträfen. Alle seine Bilder seien „abgeschnittene Scheiben eines Kontinuums, dessen Dauer mein ganzes Leben ist.“ In der großartigen Ausstellung „Pure Malerei“ im Kunstforum Wien kann diese so ehrliche wie kryptische Antwort jetzt überprüft werden: Finden wir Motherwells Leben in seinen Werken? Rund 40  Gemälde von den 1940er Jahren bis kurz vor Motherwells Tod 1991 geben uns einen intensiven Überblick über das eindrucksvolle Oeuvre dieses Malers.

Robert Motherwell, in a 1986 photograph, seated in front of his painting Elegy to the Spanish Republic No. 70 from 1961. © Photograph by Renate Ponsold. Courtesy of the Dedalus Foundation Archives

Als einer der wichtigsten Künstler des Abstrakten Expressionismus ist Motherwell in den USA ein Star, nahezu jedes Museum besitzt Werke von ihm. In Europa ist er weitaus weniger bekannt, in Österreich etwa war eine Personale zuletzt 1976 im Wiener Museum für Moderne Kunst zu sehen, in Europa zuletzt 1998. Dabei ist seine Malerei – und das ist ein Aspekt der „abgeschnittenen Scheiben“ – tief in der europäischen Kunstgeschichte verwurzelt. 1915 in Washington geboren, fand Motherwell in den 1940er Jahren während einer Reise nach Mexiko durch die Bekanntschaft mit dem österreichischen Surrealisten Wolfgang Paalen zur surrealistischen Idee des Automatismus, des spontanen, vom Unbewussten geleiteten Schreibens bzw. Malens.

Überarbeitungen

Jahre später zieht er über die Malerei in „The Grand Inquisitor“ solche spontanen, graphischen Linien. Welch ein Kontrast dadurch zwischen den organischen, ockerfarbenen Farbflächen und den schmalen Linien entsteht! Wie in so vielen seiner Bilder zeugt auch diese Kombination von seiner Vorliebe für immer neue Überarbeitungen. Das beginnt schon bei seinem frühen „Litte Spanish Prison“ von 1941. Die ursprünglich gemalten offenen, organischen Formen verwandelte Motherwell nach dem Besuch einer Piet Mondrian-Ausstellung in eine strenge, geometrische Komposition mit vertikalen Balken. Noch radikaler überarbeitete er „Summertime in Italy No.8“, die er 1958 mit einer braunen, diamant-ähnlichen Form ausstellte, um zwei Jahre später alles mit einem monumentalen schwarzen Dreieck zu überdecken.

Robert Motherwell, Je t’aime No. II, 1955. Privatbesitz. © Copyright 2023 Dedalus Foundation, Inc./Licensed by Artists Rights Society (ARS), NY

Überhaupt erweist sich Motherwell in dieser Ausstellung als Meister der Farbe Schwarz. Wie nur wenig andere Künstler beherrscht er es, mit dieser Farbe skulpturale Formen zu schaffen, die voller Emotionen stecken – hier versteht man dann endgültig seine Formulierung der „abgeschnittenen Scheiben“: Mit den Farben und Formen, und nur damit, drückt er Momente seines Innenlebens, seiner Weltwahrnehmung, seiner Einflüsse und Gedanken aus. Diese ovalen schwarzen Formen in der „Elegy to the Spanish Republic“ vermitteln ein Gefühl des Zwanghaften – keine stürmisch-aufgewühlte Emotion wie in der „Je taime“-Serie, die er mit wilden Pinselstrichen während der Trennung von seiner zweiten Frau malte. Eher eine schwere Düsternis. Einem Bild dieser Serie fügt er mit wenigen Pinselstrichen Rot hinzu. Wir lesen es sofort als Blut, denken an den Spanischen Bürgerkrieg. Für Motherwell war der Bürgerkrieg emblematisch für jede Tragödie unserer Zeit. Aber es vermittelt auch ein eher diffuses Gefühl von Leiden und Sterblichkeit, er nannte die Serie einmal seine „Bestattungsbilder“ – daher auch der Titel: Elegien, Trauergesänge.

Robert Motherwell, Summer Open with Mediterranean Blue, 1974. Modern Art Museum of Fort Worth. Museumsankauf, Friends of the Art Endowment Fund © Copyright 2023 Dedalus Foundation, Inc./Licensed by Artists Rights Society (ARS), NY

Wie anders dagegen die vom Minimalismus der 1960er Jahre beeinflusste „Open“-Serie mit U-förmigen Motiven und Grundflächen in monochromen Farbtönen. Obwohl in dieser Serie der Titel „Elegy“ wieder auftaucht – gemalt im Andenken an seinen verstorbenen Freund Mark Rothko – scheint die Idee der ´Öffnung´ das krasse Gegenteil der schweren Spanien-Serie. Was die beiden Serien verbindet, das zeigt diese emotional sehr berührende Ausstellung, ist Motherwells große Fähigkeit, einzig mittels Farben und Formen „die Gefühle der Welt geltend zu machen“, wie er es einmal nannte. In der abstrakten Kunst sah er ein Bedürfnis nach „empfundener Erfahrung – intensiv, direkt, fein, einheitlich, warm, lebendig, rhythmisch“ – das ganze Leben eben. Kann es mehr Bedeutung geben?

veröffentlicht in: Die Presse, 11.10.2023
Robert Motherwell – Pure Painting, Kunstforum Wien, 12.10.2023-14.1.2024