Schlachtfeld Museum

04. Jun. 2018 in Ausstellungen

Tiziano Vecellio, Nymphe und Schäfer, um 1570/75
Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie
© KHM-Museumsverband


Tiziano Vecellio, Nymphe und Schäfer, um 1570/75
. Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie
 © KHM-Museumsverband

Erinnern Sie sich noch an Ihre Museumsbesuche in den 1980er Jahren? Über Jahre blieben dieselben Werke hängen. Wechselausstellungen waren die seltene Ausnahme, Zeitgenössisches nicht existent. Es waren Orte der Kontemplation, an denen Kunst gesammelt, bewahrt, erforscht und ausgestellt wurde. Museen galten als kollektiver Referenzrahmen, an denen sich Diskurse, Qualitätskriterien und auch Normen orientierten, nicht nur der Kunst, sondern der Gesellschaft. Museen waren Werkzeug zur Bildung des Bürgertums, dort wurde bestimmt, was wertvoll ist, und dies ganz ohne ökonomische Verweise.

Optik Schröder II. Werke aus der Sammlung Alexander Schröder (Works from the Alexander Schröder Collection), mumok, 3. Februar – 27. Mai 2018 / February 3 to May 27, 2018 © mumok, Photo: Stefan Korte

Optik Schröder II. Werke aus der Sammlung Alexander Schröder.  mumok, © mumok, Photo: Stefan Korte

Heute stehen Museen untereinander in Konkurrenz. Sie sind zu Freizeittempeln geworden, die Einnahmen lukrieren müssen. Das führt dazu, dass sich die Häuser über lange Schlangen vor den Kassen, Medienrummel, Promi-Gäste und eine Handvoll immer gleicher Künstlernamen wie Warhol, Basquiat, Monet, Picasso definieren. Darin liegt die Gefahr einer intellektuellen Verflachung, was sich gerade krass in dem erschreckend sinnfreien Werbeslogan des unter neuer Direktion stehenden Wiener Belvedere andeutet: „Da passiert was“ – drei sinnfreie Worte, die auf Plakaten überall in der Stadt werben. Mit dem Slogan werden offenbar simple Marketingregeln in völliger Missachtung dessen angewendet, wofür ein Museum steht: für das Aufbewahren und Aufarbeiten von Kunst.

Carl Schindler, Am Tanzboden, 1840. Albertina Wien

Carl Schindler, Am Tanzboden, 1840.  © Albertina Wien

Wie spannend diese Aufgaben sein können, zeigt gerade die Albertina mit „Das Wiener Aquarell“ (bis 13.Mai). Anhand von rund 2500 hauseigenen Aquarellen von 1780 bis 1912 wird die Entwicklung eines heute als Hobbymalerei missverstandenen Genres vorgeführt. Damals dagegen begann es im Auftrag von Fürsten, die Künstler verstanden es als eigenständige Kunstform, die an der Akademie gelehrt wurde. Großartig ist auch „Shape of Time“ (bis 8. Juli) im Kunsthistorischen Museum Wien (KHM): Inmitten der permanenten Sammlung werden 19 hauseigene Schätze mit moderner und zeitgenössischer Kunst gepaart.

Peter Paul Rubens, Helena Fourment (“Das Pelzchen”), um 1636/38
Kunsthistorisches Museum Wien, 
© KHM-Museumsverband

 - Maria Lassnig, Iris stehend, 1972/73
© Maria Lassnig Stiftung, Wien

Peter Paul Rubens, Helena Fourment (“Das Pelzchen”), um 1636/38. 
Kunsthistorisches Museum Wien, 
© KHM-Museumsverband

 – Maria Lassnig, Iris stehend, 1972/73 
© Maria Lassnig Stiftung, Wien

Da trifft Peter Paul Rubens „Pelzchen“ auf Maria Lassnigs herausfordernd-direktes Portrait einer nackten Frau, Rembrandts Selbstportrait ist kombiniert mit Mark Rothkos düsterem, diffusem Raum – hier kann man Malereigeschichte studieren!

Jean-Michel Basquiat, Red Savoy, 1983. Courtesy Heidi Horten Collection, 
© Estate of Jean-Michel Basquiat/Bildrecht Wien

Jean-Michel Basquiat, Red Savoy, 1983. Courtesy Heidi Horten Collection, 
© Estate of Jean-Michel Basquiat/Bildrecht Wien

Ein Spektakel dagegen verspricht das Leopold Museum unter dem erschütternd-ehrlichen Titel „Wow!“ (bis 29. Juli). In diesem einen Wort ist alles zusammengefasst: ein wortloses Staunen. Zu sehen sind 175 Werke aus der Sammlung der Milliardärin Heidi Horten. Es hat keine kunsthistorische Aufarbeitung stattgefunden, keine These oder zumindest interessanter Blickwinkel auf eine Sammlung ist unterlegt. Es behauptet eine überwältigende Zustimmung, die kurzerhand einige Stolpersteine überdeckt, etwa das Fehlen jeglicher Hinweise auf die Herkunft von Hortens Vermögen, dass von einer NS-Arisierung profitiert. Oder die Doppelfunktion der Kuratorin Agnes Husslein, die zugleich im Vorstand des Museums sitzt und dort u.a. über Budgetpläne entscheidet. Und die Werkauswahl: Die Bestände des Leopold Museums gehören der gleichnamigen Privatstiftung mit klarem Schwerpunkt auf österreichischer Kunst. Ohne jegliche (kunst)historische Aufarbeitung ist dazu jetzt ein Raum für Baselitz gemischt, ein Raum für Warhol, Klee, Miro, Picasso, einige deutsche Expressionisten, Fontana, Rothko, Twombly, Basquiat, Damien Hirst – alles Namen, die in den letzten Jahren vor allem als Toplose im Auktionshandel medialen Wirbel erzeugten. Einige Werke sind von hoher Qualität, aber das ist das Mindeste, was man von einer Museumspräsentation erwarten kann. Präsentiert als unverbundene Abfolge, sind es hier vor allem eins: Trophäen.

Optik Schröder II. Werke aus der Sammlung Alexander Schröder (Works from the Alexander Schröder Collection), mumok, 2018 © mumok, Photo: Stefan Korte

Optik Schröder II. Werke aus der Sammlung Alexander Schröder. mumok, 2018 © mumok, Photo: Stefan Korte

Wenige Schritte weiter hat auch das MUMOK seine Räume für eine Privatsammlungen geöffnet. Mit rund 100 ist dort die Sammlung des Berliner Galeristen Alexander Schröder zu Gast (bis 27. Mai). 1968 geboren, eröffnete Schröder 1994 zusammen mit Thilo Wermke die Galerie Neu in Berlin und begann bald auch Kunst zu sammeln. Die Grenzen zwischen beiden Tätigkeiten sind fließend und so verwundert es nicht, dass im MUMOK von den 42 ausgestellten Künstlern genau die Hälfte zugleich von seiner Galerie vertreten wird. Die Sammlung sei ein „Portrait der 1990er Jahre“, erklärte Direktorin Karola Kraus – ein höchst subjektives, vergaß sie hinzuzufügen, das vor allem auf deutscher und US-amerikanischer Kunst basiert. Als Privatsammler und Galerist ist das absolut legitim. Schröder bevorzugt Werke, „die eine Geschichte erzählen“, wie er im Gespräch sagte. Aber im Museum geht mit der Präsentation die Behauptung einer institutionalisierten, also vergesellschafteten Bedeutung und Bewertung ein. Und in Folge dann eine ökonomische Aufwertung. Darum ist die Vermischung von Galerie bzw. Kunstmarkt und Museum, von privaten und institutionalisierten Kriterien auch höchst problematisch. Ohne jemandem etwas unterstellen zu wollen, aber aus welchem Lager stammen die Werke, sind es die Schätze der Sammlung oder auch Ladenhüter der Galerie? Kann eine strikte Trennung von ökonomischen Interessen und Qualitätsfragen bei Gastauftritten von privaten Sammlungen in Museen überhaupt gesichert werden? Werden Museen nicht immer mehr zum Laufsteg für Privatinteressen, zum „ökonomischen Durchlauferhitzer“, wie es Heinz Schütz im Kunstforum Bd. 251 nennt? Oder hat die Künstlerin Hito Steyerl recht, wenn sie Museen als „Schlachtfelder“ bezeichnet, und im Interview im Kunstforum erklärt, Museen seien heute „nahezu symbolhaft für die finanzielle Verfasstheit der Epoche“? Offenbar passiert in diesem Segment unserer Kultur tatsächlich etwas, dass uns ein „Wow!“ entreißt, aber dieses Staunen ist von Entsetzen geprägt.
veröffentlicht in: NZZ, 7.5.2018