„Das weiß kein Mensch,“ antwortet Peter Weibel zornig auf meine Frage, warum die Neue Galerie in das frisch adaptierte Joanneumsviertel umgezogen ist. Immerhin steht jetzt nur mehr die Hälfte der ehemaligen Fläche zur Verfügung. Gut 38 Mio. Euro haben der Umbau und die Außenanlage gekostet, um die Landesbibliothek, die Neue Galerie, das „Bruseum“ und bald auch die naturkundliche Sammlung unter einem Dach zu vereinen. Gemeinsam ist allen nicht nur die Dachmarke „Universalmuseum Joanneum“, sondern auch ein unterirdisches Besucherzentrum. Das Licht fällt hier durch gepunktete Glaseimer herunter. Damit sich in den nach oben offenen Schächten nicht der Schnee sammelt, ist der Außenboden ganz unnachhaltig beheizt.
Dieses Besucherzentrum ist gewöhnungsbedürftig, fährt man doch erst hinunter, um dann gefühlte 100 Treppen wieder zum Ausstellungsbereich hinauf zu gehen. „Der Rundgang durch die Ausstellung beginnt von hinten,“ schimpft denn auch Weibel – die Spannungen zwischen dem Chefkurator der Neuen Galerie und dem Joanneum-Intendanten Peter Pakesch kommen in nahezu jedem Satz zum Ausdruck. Der dagegen sieht den Umzug als Gewinn, seien die alten Räume doch unzulänglich gewesen. Die Neue Galerie sei aus dem Barock- in dieses 19. Jahrhundertgebäude umgesiedelt, weil die Räume hier „für Zeitgenössisches besser geeignet“ seien, erklärt Pakesch während der Pressekonferenz. Aber ist nicht neuerdings die Neue Galerie auf Kunst vom 19. Jahrhundert bis in die 1960er Jahre limitiert und soll vor allem die rund 60.000 Werke umfassende Sammlung zeigen?
Wie und was und von wem auch immer in den neuen Räumen in Zukunft geschieht, die Auftaktausstellung ist jedenfalls ein großartiger Paukenschlag. Denn der mittlerweile leider zum Ex-Chefkurator erklärte Peter Weibel hat eine waghalsige These aufgestellt: Unter dem Titel „Moderne: Selbstmord der Kunst“ stellt er die Selbstauflösung der Kunst zur Diskussion. Nicht die Abstraktion sei die gewaltige Neuerung der Moderne gewesen. Das sei nur ein Übergang. Das Entscheidende sei die Ablösung der Repräsentation durch die Realität. Erst wurde der Gegenstand mit der Abstraktion aus der Malerei vertrieben, dann kam er als reales Ding wieder zurück. In elf Kapiteln, von Linie über Farbe, Licht, Landschaft bis zu Körper, beweist diese Ausstellung, dass mehr und mehr nicht mehr die Welt künstlerisch dargestellt wird, sondern die Dinge für sich selbst stehen.
Dazu wählt Weibel zusammen mit Christa Steinle ein einleuchtendes Prinzip: Neben dem gemalten Bügeleisen von Hedwig Krönig steht derselbe Gegenstand als gusseisernes Objekt von Man Ray, neben Edmund Pick-Morinos „Stilleben mit Roastbeef“ sind Damien Hirsts Würste in Formaldehyd platziert, neben Thomas Enders Wasserfall ein Video von Olafur Eliassons großartigem Wasserfall, den er 1998 im Hof der alten Neuen Galerie installierte. Schlüsselwerk dieser Entwicklung ist Duchamps Werk „Boite (Die Große Schachtel)“, in dem zwischen Original und originalgetreuten, aber verkleinerten Kopien kein Unterschied mehr besteht.
Mit diesem Prinzip gelingt der Ausstellung nicht nur der Beweis der zentralen These. Vor allem werden damit Qualitäts- und Zeitsprünge mit Leichtigkeit übersprungen. Dies ist ein Weg, der sich nicht nur für solche heterogene Sammlungen, sondern auch für die Herausforderungen der immer globaler werdenden Kunstgeschichte bestens eignet – um die Einteilung in Epochen und Stile zu umgehen. Besonders radikal wird das im letzten Kapitel zu ´Körper´: Maria Lassnig neben Egon Schiele, Sophie Calle neben Salvatore Dali, Erwin Wurm neben Markus Schienwald – und all das als Überleitung zum Wiener Aktionismus und zum „Bruseum“, dem als ständige Präsentation geplanten Günther Brus-Museum.Größer können die formalen Gegensätze kaum sein und doch versteht man hier ohne jede weitere Erklärung, wie weit der Weg der Selbstauflösung geht, wenn der eigene Körper bis hin zum Publikum Motiv, Medium und Gegenstand der Kunst geworden ist.
Nach dem Parcour all der kleinen Räumen mit Anfangs Gewölbe-, später abgehängten Stuckdecken, einer notgedrungen bisweilen allzu dichten Hängung und ganz unvermittelt einem massiven, gotischen Architraven dazwischen führt der Weg dann in das oberste Geschoß: große, hohe, schöne Räume, in denen das Werk von Hans Hollein in einzigartiger Vielschichtigkeit ausgebreitet ist. Ähnlich wie Brus, der als Zeichner, Aktionskünstler und Literat einen universalistischen Anspruch vertrete, habe auch der Architekt mit seinen Möbeln, Schmuck, Porzellan bis zu den aktuellen Bauten in China das universelle Vokabular der Moderne mitentwickelt und eingesetzt, erklärt Weibel. Bei beiden wird die Grenze zur Realität überschritten, beide sind Söhne der Moderne – womit Weibel ganz nebenbei die Datierung dieser Epoche bis zum heutigen Tag erweitert hat. Ob es am Jonanneum nach Weibel noch jemals solch ambitionierte, nahezu universalistische Ausstellungen geben wird?
Moderne: Selbstmord der Kunst? Neue Galerie, Joanneumsviertel, 26.11.2011-2.9.2012
Der Universalkünstler Hans Hollein, Neue Galerie, Joanneumsviertel, 26.11.2011-9.4.2012
veröffentlicht in: Die Presse, 27.11.2011