Shilpa Gupta + Indian Awakens in Österreich

08. Nov. 2010 in Ausstellungen

Shilpa Gupta. wikipedia, Foto dalbera, Paris

Die indische Kunst boomt! Zwar gibt es noch immer keine staatlichen Ausstellungshäuser. Aber der Kunstmarkt, die Galerienszene und die Initiativen privater Sammler haben sich in den letzten zwanzig Jahren so enorm gesteigert, dass die indische Kunstszene weltweit in den Fokus gerückt ist. Mittlerweile sind auf jeder wichtigen Messe Künstler wie Subodh Gupta oder Bharti Kher und Galerien wie Chemould Prescott Road vertreten; der indische Supersammler Anupam Poddar gehört zu den gefragtesten Gästen von Messe-Diskussionsrunden und Leiter internationaler Ausstellungshäuser geben sich in den Künstlerateliers in Bombay und Delhi die Türklinken in die Hand. In nahezu jeder europäischen Stadt fanden in den letzten zehn Jahren wichtige Überblicksausstellungen zu indischer Kunst statt und auf der diesjährigen Auktion von Werken des Begründers der indischen Moderne, Francis Newton Souzas, bei Chriestie´s wurde die erwartete Gesamtsumme von 3.4 Mio auf über 6 Mio nahezu verdoppelt.
Es hat sich also mittlerweile eine Vertrautheit mit indischer Kunst entwickeln, auf die Ausstellungen junger Gegenwartskunst aufbauen können. So zeigt jetzt in Linz das OK Centrum eine große Einzelausstellung der 1976 geborenen Shilpa Gupta – eine der wichtigsten Positionen konzeptueller Kunst in Indien. Zeitgleich eröffnete in Klosterneuburg das Essl Museum die Gruppenausstellung „Indian Awakens“, für die die indische Kuratorin Alka Pande 34 wenig bekannte, junge KünstlerInnen ausgesucht hat.
Pande möchte uns mit ihrer Auswahl die kulturelle Vielschichtigkeit ihres Landes zeigen. Als Subkontinent mit einer mehr als viertausend Jahre alten Kulturgeschichte und einer Bevölkerung von eineinhalb Milliarden Bewohnern, die laut einer Studie von 2001 122 Sprachen sprechen, von denen 22 als offizielle Sprachen in der Verfassung aufgenommen sind, und vier großen Religionen, steht in Indien ein reichhaltiger Fundus an Bildern und Geschichten bereit – und das spiegelt sich auch in „Indian Awakens“ wider. Immer wieder werden überlieferte Techniken (Manisha Jha), religiös konnotierte Themen wie der indische Tanz (Pratima Naithani) oder die allgegenwärtigen Dämonenköpfe (Shreyas Karle) aufgegriffen oder Mythologisches verarbeitet (Baptist Coelho). In Coelhos Video wickelt ein Mann immer weiter ein endlos langes Tuch von einer Säule ab. Zwar verstehen wir bald, dass hier Benimm-Regeln entfaltet werden. Aber den wesentlichen Hintergrund, nämlich die berühmte Hindu-Mythologie von Draupardi, müssen wir nachlesen. In solchen Werken werden wir uns unserer kulturellen Grenzen bewusst, finden unsere Neugierde und Wissensdurst herausgefordert und erleben eine reichhaltige Welt vielfältigster Bezüge, in denen Tradition und Heute zusammenfinden.
Anders als in „Indian Awakens“ sind die Werke im OK Centrum in Linz nicht sofort als indische Kunst zu erkennen. Zwar ist auch Shilpa Guptas Werk mit indischen Traditionen verwurzelt, aber mehr noch stellt sie in ihren Fotografien, interaktiven Installationen und Skulpturen Bezüge zu einer globalisierten Gegenwart her. Mit extrem reduzierten Materialien wie den mit „No Border“ bedruckten Absperrbändern oder Seife reagiert sie auf konkrete Momente unserer Zeit, auf die zunehmende Gewalt und Gewaltbereitschaft bis hin zum Terror. Im Zusammenspiel von fragilem Material und massiver Form erschafft sie dabei eine über die tagesaktuellen Bezüge hinausgehende, allgemeine Dimension, wenn sie hunderte von Seifenstücken zu einer Mauer auftürmt. Jeder Seifen-Ziegel ist mit „Threat“ bedruckt. Die ersten 4500 Besucher der Ausstellung in Linz dürfen eines der Objekte mitnehmen – die Wand der „Bedrohung“ damit abbauen und Stück für Stück wegwaschen.
Mit den Koffern, auf denen „There is no explosive in this“ aufgedruckt ist, thematisiert sie die global zunehmende, irrationale Angst. In „Steel Gate“ wird das Sicherheits-Denken zur Bedrohung. Ein massives, eisernes Tor schwenkt von einer Seite auf die andere. Wieder und wieder knallt es gegen die Wand. Die zwischen die Gitterstäbe eingeklemmt Form bohrt sich dabei immer tiefer in die Wand hinein. Dieser Körper erinnert an die Landesgrenzen von Kaschmir, könnte aber auch eine Form sein, die „bloß die menschliche Hoffnung auf Freiheit oder eine Begierde“ ist, „die alle Grenzen übersteigt, die um sie gelegt werden im Namen von Religion, Gender, Nation.“ (Gupta) Sehr zu recht gehört Shilpa Gupta mit ihren hochpolitischen und zugleich poetischen Werken zu den wichtigsten Künstlern der jüngeren Generation in Indien.

veröffentlicht in: Die Presse, 26.10.2010

OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich, Linz: Shilpa Gupta, Ein halber Himmel, 26.11.2010-30.1.2011, OK Platz 1, MO-FR 16-22 Uhr, Sa 11-22 Uhr; Katalogbroschüre 4,-

Essl Museum, Klosterneuburg: Indian Awakens, 26.11.2010-27.2.2011, Di-So 10-18, Mi 10-21 Uhr, im Rahmen dieser Ausstellung Eintritt Frei! Katalog 27,-