Tanzimat, Augarten Contemporary, Wien 2010

26. Jan. 2010 in Ausstellungen

„tanzimat“ im Augarten Contemporary: Turban, Kanone, Speere und Säbel – so feindlich und bedrohlich sieht das Bild des Türken aus. In Wien hängt es in 30 Meter Höhe in der Spanischen Hofreitschule. Zwar ist dieses Klischee dem unmittelbaren Blickfeld entzogen, besteht aber in ähnlicher Form seit den Türkenkriegen noch heute in österreichischen Geschichtsbüchern, Museen und auch einigen Köpfen. Im Augarten Contemporary, der Außenstelle des Belvedere im 2. Wiener Bezirk, empfangen uns nun „Trophäen“ aus dem Gemälde.
Es sind die Kulissenfiguren von Franz Kapfer, der mit seinen schablonenartig zusammengezimmerten Pappkameraden immer wieder die Aufmerksamkeit auf Denkmäler und deren ideologische Versatzstücke und Taktiken der Inszenierung lenkt. Hier geht Kapfer bis in die Antike zurück, in der „Trophäe“ ein einfaches Gerüst bezeichnete, auf dem griechische Feldherren die Waffen und das Rüstzeug der Besiegten zur Schau stellten. Diese Bedeutung greift Kapfer auf, wenn er uns in der Ausstellung mit den Türken-Bildern aus der Hofreitschule begrüßt und mit dem Blick auf ihre Konstruktion beim Weggehen verabschiedet.
Aber lassen sich unsere klischee- oder lückenhaften Vorstellungen vergangener Zeiten und Völker tatsächlich wie „Trophäen“ bildhaft vorführen? Und welche Wirkungen haben sie heute? Wo sind sie noch am Werke, wo werden sie überwunden? Es ist ein ambitioniertes Vorhaben, solchen Fragen mit einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst nachgehen zu wollen – und dies noch dazu als Parallelveranstaltung zur großen Prinz-Eugen-Ausstellung, die im Februar im Unteren Belvedere eröffnen wird. Denn unter dem 1736 verstorbenen österreichischen Feldherrn, auch Bauherr und erster Bewohner von Schloss Belvedere, wurde 1699 im zweiten Türkenkrieg das Osmanische Reich besiegt. So beginnt „tanzimat“ schon im Vorfeld als zeitgenössische Antwort auf die historische Präsentation. Der Titel stiftet allerdings Durcheinander: „Tanzimat“ bezeichnet die politische Reformperiode im Osmanischen Reich Mitte des 19. Jahrhunderts, als Säkularisierung und Europäisierung auf der Agenda standen. Eine Epoche also zweihundert Jahre nach Prinz Eugen, die mit der Donaumonarchie in keinerlei Verbindung steht. Hier wird etwas zu gewollt Anschluss gesucht. Der hochgegriffene Titel ist ein konzeptueller Platzhalter und verweist vorwiegend auf eine geographische Region, auf das einstige Osmanische Reich und seine „kulturellen Schnittmengen und Brüche“ aus heutiger Perspektive.
So spannen jetzt elf rumänische, griechische, türkische und österreichische Künstler einen großen Bogen zwischen Orten, Zeiten und Kulturen. Von Hüseyin Bahri Alptekin stehen Abgussmodelle der Quadriga im Raum, jenes einzig erhaltenen Viergespanns aus dem Altertum, das Kaiser Konstantin von Rom nach Konstantinopel verschiffte und schließlich als Raubgut nach Venedig kam, wo eine Kopie noch heute am Markusdom installiert ist. Diese Skulpturen sind Zeugen einer untergegangenen Kultur, Sinnbild kriegerischer Eroberungen, in ihnen treffen sich ästhetische Vorstellungen und politische Vereinnahmungen. Vor dem Hintergrund des Ausstellungskonzepts verkörpern sie nicht nur die wechselvolle Geschichte des Mittelmeerraums, sondern sind auch so etwas wie ein ortsspezifischer Kommentar zum Ausstellungsraum selbst. Denn der Augarten Contemporary befindet sich im ehemaligen Wohn- und Atelierhaus des umstrittenen Bildhauers Gustinus Ambrosi, und so stehen Hüseyin Bahri Alptekins Pferde da wie das Zitat eines Skulpturbegriffs, dem im Laufe der Jahrhunderte zwar die Funktion, nicht aber die Unschuld abhanden gekommen ist.
Unfassbar banal in Konzept und Ausführung dagegen ist Marko Lulics Auflistung von Lehnwörtern, die das Serbische vom Türkischen übernommen und er als Kind gelernt hatte. Wenn Lulic noch dazu behauptet, ihn interessiere „das ästhetische Programm, das mit Sprachbildern einhergeht“, offenbart sich hier eine der kuratorischen Schwachstellen dieser Ausstellung, die eigentlich einer oberflächlichen Betrachtungsweise kultureller Dominanzen und Überschneidungen doch entgegenwirken will. Wie komplex der Blick auf Bedeutungswandel und Vermischung bzw. Aneignung fremder Kulturen ausfallen kann, zeigt Carola Dertnig mit ihrer Diashow über die Zacherlfabrik in Wien. Heute wird sie temporär als Ausstellungshalle genutzt, früher wurde dort Mottenpulver produziert. Das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert wurde im islamisierenden Stil gebaut, und Dertnigs Werk macht deutlich, wie klischee-, aber auch sehnsuchtsbeladen eine solche Orientalisierung war, zeigt, wie die Rezeption des Orients in Architektur, Marke und Marketing zusammengefasst wurde.
Aber auch in Gülsün Karamustafas Kombination von zwei geschichtlichen Ereignissen – Margarete Schütte-Lihotzkys Istanbul-Aufenthalt im Jahr 1938 und die zeitgleiche Modernisierung der ländlichen Schulen in der Türkei – oder Vangelis Vlahos Bilderserie von griechischen Zeitungsfotos zum Thema Balkan aus den 1960er- bis 1970er-Jahren: Immer wird unser Blick historisch ausgerichtet, um von dort aus über unsere heutigen Bilder zu sprechen. Wie sehr diese immer noch von Vorurteilen geprägt sind, macht am schärfsten Esra Ersens Installation deutlich: Sie bat Schüler eines Kölner Gymnasiums, sich türkische Gesichter vorzustellen und aus Ton zu modellieren. Entstanden sind 25 Köpfe ausschließlich von Männern, mit Bärten, großen Ohren, meist offenen Mündern. Präsentiert werden sie auf Drehscheiben, was nicht der Rundum-Ansicht dient, sondern den Zusammenhang zu einer Reproduktion an der Wand schafft. Die Zeichnung Karussell in der Winterreitschule zu Ehren der Alliierten von 1814 zeigt das Spektakel „Türkenkopfstechen“, das in der Spanischen Hofreitschule inszeniert wurde und bei dem Reiter vor Publikum aus Pappmaschee geformte Türkenköpfe abschlugen.
Am Ende bleibt die Frage, was diese Ausstellung konzeptuell will. Uns mit unseren zeitgenössischen Klischees vom „Fremden“ konfrontieren? Uns die historischen Wurzeln, sprich ideologisch eingefärbten Bilder dieser Vorurteile vor Augen führen? Oder geographische und kulturelle Verbindungslinien, Überschneidungen, gegenseitige Bereicherungen und Öffnungen aufzeigen? In manchen Werken vermag „tanzimat“ das durchaus, aber den im Pressetext versprochenen „differenzierten Blick“ auf die „emanzipierten Vorgänge“ der Tanzimat-Periode kann die Ausstellung keineswegs einlösen. Vielleicht hätte sich Kuratorin Eva Maria Stadler da in ihren Ansprüchen beschränken sollen. Als sensibilisierende Geschichtsstunde eignet sich die Schau nämlich durchaus. Dabei gelingt es ihr stellenweise auch, uns deutlich zu machen, was unser Bild von Geschichte prägt, aus welchen Versatzstücken es sich zusammenbaut. Und das ist innerhalb des historischen Prinz-Eugen-Kontextes, in dem diese Ausstellung steht, doch schon eine Menge.

„tanzimat“ mit Hüseyin Bahri Alptekin, Carola Dertnig, Esra Ersen, Franz Kapfer, Gülsün Karamustafa, Marko Lulic, Victor Man, Füsun Onur, Kamen Stoyanov, Vangelis Vlahos und Simon Wachsmuth – Augarten Contemporary, Belvedere, Wien. Vom 21. Januar bis 16. Mai 2010

veröffentlicht in: www.artnet.de, 26.Januar 2010