Thomas Schütte in Wien

20. Mai. 2011 in Ausstellungen

Irritiert schauen die Passanten, die über den Graben in der Inneren Stadt flanieren. Ihr Blick fällt auf vier riesigen, dunklen Gestalten. Es sind die „Großen Geister“ von Thomas Schütte, die mit einer derartig mächtigen Präsenz hier an der Kreuzung von Kohlmarkt und Graben stehen, dass niemand daran einfach vorbeigehen kann.Letztes Jahr saß hier ein Pinocchio auf einer sechs Meter hohen Leiter, Cosima von Bonins „Tagedieb“. Auch Schüttes „Großen Geister“ sind von stattlicher Größe. Aber es sind nicht die 2.5 Meter, wodurch sich seine Skulpturen derartig mächtig in unsere Aufmerksamkeit drängeln. Es ist ihre merkwürdige Form aus lauter Wülsten, die wie beim Michelin-Männchen einen amorphen Körper formen. Diese „Großen Geister“, das wird sofort klar, sind keineswegs Denkmäler für Helden oder für die Goethe und Beethovens unserer Kultur. Sie sind eher Wesen unserer Albträume, sind ganz spezielle Monster, die da mitten in der Einkaufsstrasse stehen. Es sind freundliche Monster, die eher ratlos als bedrohlich wirken, fast liebenswürdig – und ein Passant nach dem anderen posiert daneben und lässt sich fotografieren.

Thomas Schütte schuf seine „Großen Geister“ in den 1990er Jahren. Er fertigte kleine Modelle aus Wachs an und ließ sie in einer Gießerei in seiner Wahlheimatstadt Düsseldorf herstellen. „Es gab einmal 100 kleine Geister aus Wachs. Ich habe damals bis zu sieben Stück am Tag gemacht. Aber die Originale sind verloren gegangen.“ 18 große entstanden. Ein Drittel ist in PVC gegossen, der Rest in Aluminium. Einige der Dreiergruppen stehen heute in Essen, in Utrecht und in Chicago. Die vier in Wien sind aus Bronze, schwarz patiniert. „Weil die unglaublich schnell zum Markenzeichen wurden, habe ich die Serie aber relativ schnell beendet.“ Warum? „Ich bin doch nicht Volkswagen,“ antwortet Schütte knapp. Den Mechanismen des Kunstmarkts steht er kritisch gegenüber, das Produzieren nur um des Verkaufs willen lehnt er genauso ab wie das „Atelierwesen“: „Ich habe die Herstellung meiner Arbeiten ausgelagert. Ich kaufe keine Maschinen, habe keine Angestellten und kein Atelierwesen. Dadurch kann ich von einem auf den anderen Tag anfangen, aber auch aufhören. Ich habe das Hamsterrad nicht.“

Im Herbst letzten Jahres erhielt er die Anfrage von der städtischen Organisation KÖR (Kunst im öffentlichen Raum), prominent am Graben eine Skulptur aufzustellen. Erwin Wurm hatte ihn ausgewählt. Eigentlich würde er solche Anfragen nicht so schnell zusagen. „Aber ich habe mich gerade zwei Monate lang gelangweilt und zu allem ja gesagt. Jetzt habe ich zwei Sachen pro Woche …“. So lapidar das klingt, hört man doch auch Stolz durch. Denn kaum ein Künstler ist heute derartig gefragt. Thomas Schütte ist einer der wichtigsten Künstler Deutschlands, nahm bereits drei Mal an der documenta teil und erhielt 2005 den Goldenen Löwen in Venedig. Seine Werke erzielen auf Auktionen Höchstpreise, gerade erst wurde eine kleine Skulptur aus der Serie „United Enemies“ in New York auf eine Millionen Dollar hoch gesteigert. Diese ´Vereinigten Feinde´ sind drei Puppen-ähnliche Figuren, die eng aneinander gebunden sind. Wie auch die „Großen Geister“ wirken sie verstörend, denn wir sehen darin Muster unseres sozialen Verhaltens gespiegelt. Genau darin liegt auch die große Bedeutung Schüttes, der Themen wie Einsamkeit und Desillusion, aber auch Verletzlichkeit in intensive Bilder umsetzt.

Dazu gehört auch seine neueste Reihe, die „One Man Houses“: Eines der bisher fünf Modelle, die als funktionstüchtige Behausungen für genau eine Person konzipiert sind, sorgt gerade in Tirol für großen Wirbel. Der deutsche Galerist Rafael Jablonka lässt in Mösern das „Ferienhaus für Terroristen“ errichten – wogegen sich soviel Widerstand richtete, dass Schütte es in „Ferienhaus T“ umbenannte. Dabei ist es selbstverständlich nicht als Parteinahme für Terroristen entstanden – ganz im Gegenteil: „Wer ein Haus besitzt, rennt nicht los und wirft Bomben“, kommentiert es Schütte. Ende des Jahres soll es fertig gestellt sein und möglicherweise kann man es dann auch buchen. Dann sind die „Großen Geister“ in Wien bereits wieder abgebaut und die Passanten müssen sich ein neues Lieblingsmotiv suchen.

Temporäre Installation vom 18.Mai bis 2. November 2011, Höhe Graben Nr. 21, 1010 Wien

veröffentlicht in: Die Presse, 19.5.2011