
Claire Fontaine im Innenhof des Frauengefängnis von Venedig. Vatikan Pavillon, 60. Esposizione Internazionale d’Arte –La Biennale di Venezia, „Con i miei occhi“, Installation view, Foto: Marco Cremascoli
Schon häufiger nahm der Vatikan an der Biennale Venedig statt – aber heuer bespielt der Heilige Stuhl erstmals ein Gefängnis, das sogar besucht werden darf.
Ich hetze die Guidecca entlang. Um 10:30 beginnt die Pressetour, ich bin viel zu spät. Es ist meine einzige Chance, den Vatikan-Beitrag der Biennale Venedig im Frauengefängnis auf Guidecca zu sehen. Alle Touren in der ersten Woche sind ausgebucht. 25 Journalisten und Fotografen stehen vor dem dem alten Backsteinbau – langsam, einer nach dem anderen müssen wir einen kleinen Raum betreten. Müssen Smarthphones hergeben, Taschen einschließen, den Pass durch eine dicke Glasscheibe abgeben. Wir werden gescannt – und nach dreißig Minuten dürfen wir endlich das Frauengefängnis betreten.
Venedigs Frauengefängnis war schon häufiger Teil der Biennale Venedig, aber bisher nur mit Produkten aus vereinzelten Workshops. Heuer dürfen erstmals Besucher das ehemalige Kloster aus dem 13. Jahrhundert betreten. 80 Frauen sind hier kaserniert. Drei davon erwarten uns schon, in selbstgeschneiderten und -entworfenen schwarz-weiß-Übermänteln. Mit Schmuck und Lippenstift entsprechen sie gar nicht unseren klischeehaften Vorstellungen von Gefangenen. Sie werden uns die Werke der sieben Künstlerinnen des Vatikan Pavillons hier erklären. Die achte, Maurizio Cattelans riesiges Wandbild von Füßen, werden sie wohl nie sehen: Es ist an der Außenmauer angebracht.

Sister Corita oder Corita Kent in der Kantine des Frauengefängnis Venedig. Padiglione della Santa Sede, 60. Esposizione Internazionale d’Arte –La Biennale di Venezia, „Con i miei occhi“, installation view, ph. Marco Cremascoli
Begleitet von Wärtern und Polizisten betreten wir eine kleine Kantine. Der Raum ist nur dem Personal und der Polizei vorbehalten. Hier hängen die poppigen Siebdrucke von Sister Corita – jene katholische Ordensschwester, die in den 1960er Jahren mit Plakaten gegen soziales Unrecht, Armut und Vietnamkrieg engagierte. Warum diese Werke hier? Wissen die Gefangenen auch nicht, sie erklären nur die Inhalte, auf italienisch, gefolgt von einer sekundenkurzen Übersetzung ins Englische.
Weiter geht es in den langen, klaustrophobischen Außengang zwischen den hohen Außenmauer und den uralten Gemäuern mit den verrosteten Fenstergittern. Hier hat Simone Fattal den Gang mit Keramik-Reliefs dekoriert, versehen mit Texten, inspiriert von den Insassinnen, auf englisch, kaum leserlich. Kurator des Beitrags ist übrigens Bruno Racine, Direktor des Palazzo Grassi und damit im Dienst des Multimillionärs Francois Pinault – was ein Kontrast! Wir gehen durch eine kleine Werkstatt neben dem Gemüsegarten, die aus den 1920ern stammen könnte. Der Oberwärter spricht eine Warnung aus, die keiner versteht, dann öffnet eine Wärterin mit ihrem riesigen Schlüssel die dicke Tür zum Innenhof.

Simone Fattal. Padiglione della Santa Sede, 60. Esposizione Internazionale d’Arte –La Biennale di Venezia, „Con i miei occhi“, installation view, ph. Marco Cremascoli
Wir fühlen uns beschämt. Ja, es ist der Vatikan Pavillon. Aber jetzt sind hier rund ein Duzend Frauen beim Hofgang, zu zweit, allein, in Gruppen. Sie beäugen uns misstrauisch. Wir trauen uns kaum zurückzuschauen und sind doch immens neugierig. Einige aus unserer Gruppe starren die Gefangenen unverhohlen an, die Fotografen suchen geeignete Motive. Wir dürfen niemanden ansprechen, auch auf keinen Fall unsere Führerinnen nach ihren Straftaten fragen – was jeder so gerne wissen würde. Das fühlt sich alles schrecklich voyeristisch an, wir fröhliche Pressemeute, die hier mal kurz einfällt und den trüben Alltag der Inhaftierten durcheinanderwirbelt. Wir sind die Freiheit, das Draußen. „With My Own Eyes“, wie der Vatikan Pavillon-Beitrag heißt, bekommt hier etwas Aufdringliches. Eigentlich soll es eine „poetische Idee“ sein, ohne Vorurteile zu schauen, erklärt eine Gefangene. Der Pavillon soll eine „Kultur der Begegnung fördern“ – wir fühlen uns noch deplatzierter, zu ungleich ist diese ´Begegnung´ – und das steigert sich noch bei den nächsten Schritten. Denn wir durchqueren, wir stören den Besucherraum. Entsetzt schauen uns die Frauen an den drei Tischen an.
Als wären diese Einblicke in das Leben hinter Gittern nicht genug, folgt noch der 17minütige Film von Marco Perego und seiner Gattin, der Schauspielerin Zoe Saldana, die aus dem Film „Avatar“ bekannt ist. Sie zeigen eine Art fiktionale Doku, gedreht in diesem Knast mit den Insassinnen, zwischen denen Saldana als eine Gefangene agiert, die das Gefängnis verlässt. Am Ende schaut sie in Freiheit auf eine tote Möwe. Das wirkt hier am Originalschauplatz entsetzlich pathetisch. Eine unserer Führerinnen weint.
Den Rest der Ausstellung habe ich nicht mehr gesehen. Einige von uns nahmen die Möglichkeit war, so schnell wie möglich durch eine Tür wieder auf die Straße zu treten.
veröffentlicht in: Die Presse, 23.4.2024

Sonia Gomes, Vatikan Pavillon, 60. Biennale Venedig 2024. Padiglione della Santa Sede, 60. Esposizione Internazionale d’Arte –La Biennale di Venezia, „Con i miei occhi“, installation view, ph. Marco Cremascoli

captionPadiglione della Santa Sede, 60. Esposizione Internazionale d’Arte –La Biennale di Venezia, „Con i miei occhi“, installation view, ph. Marco Cremascoli
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