Extravagant, pompös, grenzwertig sind die Couture-Kleider, die wir im prächtigen Winterpalais sehen. Wir schreiten durch eine Märchenwelt, in der opulenter Barock und glamouröse Jetztzeit nahtlos verschmilzen. Es ist zauberhaft. Aber Mode im ehemaligen Winterpalais von Prinz Eugen von Savoyen – ist das nicht vulgär? Ja, und genau das ist das Thema der aktuellen Ausstellung. Denn vulgär hat viele Bedeutungen, und genau damit wird hier jongliert.
Das Adjektiv geht zurück auf die Wortwurzel vulgus für Volk, woraus sich im Französischen vulgaire für gewöhnlich ableitete, also das aus dem einfachen Volk Stammende, im Gegensatz zum Adel. Was Anfangs eine objektive Beschreibung war, änderte sich im Laufe der Zeit zu einem Ausdruck für Beleidigungen. Man verband damit Anmaßung und deplatzierten Ehrgeiz. Heute wird das Adjektiv vor allem eingesetzt, um die Grenzen des guten Geschmacks und damit Stilunsicherheit zu markieren. Aber das Vulgäre fasziniert auch, spätestens seit Punk gehört das Spiel damit zum festen Repertoire von Modedesignern. Denn vulgär ist ein Attribut zur Abgrenzung – und genau die wird in dieser vom Londoner Kuratorenduo Judith Clark und Adam Philips konzipierten Ausstellung ausgehebelt.
Zunächst stationierte „Vulgär? Fashion Redefined“ als strenge Inszenierung in der brutalistischen Architektur des Barbican Center in London (Okt. 2016- Feb. 2017). In Wien hat Co-Kurator Alfred Weidinger die 89 Kleidungsstücke mit Querbezügen in der Architektur des opulenten Barockbaus verankert. Auf den Holzpodesen scheinen sie zwar zu schweben, aber durch die Kombination mit historischen Gemälden verschwimmen die Grenzen. Oft weiß man gar nicht, aus welchem Jahrhundert die Exponate stammen.
Da sehen wir Kleider von Karl Lagerfeld und Pam Hogg vor den spätbarocken Ruinenlandschaften von Marcantonio Chiarini; zwischen Maison Martin Margielas „Wig Shoulder Pads“ und Walter van Beirendonck phallischem Elefantenreifrock kombiniert mit Stephen Jones Hut schaut streng Hakob Hovnatanjans „Schah von Persien“. Einen Raum weiter sehen wir historische Gewänder, die einmal mehr unterstreichen, wie fließend die Zeitsprünge gelingen.
Oft sind es kleine Abweichungen, manchmal grobe Übertreibungen, mit denen die heutigen Designer sich von historischen Vorbildern abgrenzen: Mal ist der Maßstab zu groß, ein Detail zu viel, die Pracht überstrapaziert oder ein historisches Zitat zu pompös ausgefallen. Auf den Erläuterungstafeln lesen wir, dass viele dieser Modestücke ein Verlangen nach Exzess zeigen. Was kann noch Mode und damit zur tragbaren Norm werden? Und wie abrupt passieren die Bezugnahmen, möchte man ergänzen, wenn man die heutigen Adaptionen der kunstvollen, historischen Kragen aus Flachs-Nadelspitzein der Kollektion von Jon Galliano für Christian Dior 2009 sieht, oder der barocken Mantua-Kleider mit den ausladenden Röcken, die Galliano 2005 adaptierte. Offenbar strebt die Ästhetik der Haute Couture-Mode seit der Jahrtausendewende gerne nach Höherem, weit weg vom Volk – vulgäre Extravaganz? Was uns hier beeindruckend unterhaltsam und wertfrei vor Augen geführt wird ist nichts weniger als die „Sprunghaftigkeit von Geschmack“, wie es Kuratorin Clark formuliert.
Vulgär? Fashion Redefined, Winterpalais, Himmelpfortgasse 8, 1010 Wien, bis 25.juni 2017; Katalog Verlag Buchhandlung Walther König, 48,- Euro. Alle Fotografien: Christian Wind © Belvedere, Wien