Wie viel Kuratieren verträgt eine Kunsthochschule?

23. Nov. 2016 in Ausstellungen

Monira Al Qadiri, Behind the Sun, 2013. Video, 10:00 Min.

Monira Al Qadiri, Behind the Sun, 2013. Video, 10:00 Min.

Einmal im Jahr ist Rundgang, dann zeigen die Studierenden an ihren Kunsthochschulen, woran sie das Jahr über arbeiten. Und üben die Ausstellungspraxis. Aber einmal im Jahr ist dafür zu wenig. Also richten immer mehr Unis eigene Räume ein, um frühzeitige Praxiserfahrungen zu ermöglichen. Die Wiener Akademie der bildenden Künste geht noch einen Schritt weiter. Dort gibt es mit xhibit mitten im Haus einen Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst in kuratierten Projekten. Jedes Jahr wird dafür ein Jahresthema ausgelobt, 2016/17 lautet es knackig „Kunst und Trans-/Inter-Humane Kommunikation“. Das Programm wird von einer großteils hausinternen, elfköpfigen Kommission ausgewählt.

Einblick in die Ausstellung: Weiterleben | In anderen Worten über Leben?, 18.11.2016–08.01.2017, xhibit. Arbeiten von li. nach re.: Tracey Rose, Raison d’Être, 2009, Video, Produzent_innen der Kayapó, pidjôkango oicõ djã nho meàkà, Kopfschmuck aus Strohhalmen, Lorenz Helfer, Minha Floresta, 2016 und Hartes Jahr, 2015, Öl auf Papier. Foto: Lisa Rastl © Akademie der bildenden Künste Wien

Installationsansicht. vlnr: Tracey Rose, Raison d’Être, 2009, Video, Produzent_innen der Kayapó, pidjôkango oicõ djã nho meàkà, Kopfschmuck aus Strohhalmen, Lorenz Helfer, Minha Floresta, 2016 und Hartes Jahr, 2015, Öl auf Papier. Foto: Lisa Rastl © Akademie der bildenden Künste Wien

In der kurzen Erklärung zum diesjährigen Thema ist von einem „posthumanen Zeitalter“ und anderen Schlagwörtern die Rede, verbunden mit der Frage, „welche Mittel stehen der Kunst zur Verfügung, in diesem Feld aufzuzeigen, aber auch zu intervenieren und zu verändern.“ Die erste Ausstellung dazu zeigte mobile Lebenswelten, die aktuelle ist betitelt mit „Weiterleben / In anderen Worten über Leben?“. Das Kuratorenduo Delal Isci und Thiago de Paula Souza verbindet darunter nichts weniger als „postkoloniale, ökologische und ökonomiekritische Diskurse zu einer Befragung von möglichen Ausdrucksformen des Sozialen angesichts der Zerstörung von Lebenswelten und der weitgehenden Verdrängung lokaler Geschichtsauffassungen.“ Drei Kapitel hat das Duo sich dazu ausgedacht: Weiterleben; Koloniale Wunden/Gespenster/Körper; Ökonomie des Öls.

Thomas Ender, Ausladung der Waren an der Hauptmaut – rote Treppe, 1817-1818, Bleistift, aquarelliert, 203 x 283 mm, HZ 13380. © Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien

Thomas Ender, Ausladung der Waren an der Hauptmaut – rote Treppe, 1817-1818, Bleistift, aquarelliert, 203 x 283 mm, HZ 13380. © Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien

Derartig viele Themen, Schlagworte und Behauptungen in einer Ausstellung bündeln zu wollen macht neugierig. Gleich zu Beginn sehen wir Aquarelle von Thomas Ender, die der Landschaftsmaler während der österreichischen Brasilien-Expedition 1817/18 anfertigte. Die Blätter gehören dem hauseigenen Kupferstichkabinett, sind wunderbare Werke und gewähren dazu noch spannende Einblicke in die frühe Zeit der Kolonialisierung. Hier interessiert die Kuratoren vor allem die Grenze zwischen „natürlicher Landschaft“ – was immer das sein mag – und einer „Ökonomisierung der Landschaft“ – an starken Begriffen mangelt es nicht. Die „Wunden, Gespenster und Körper“ kann man dann aus fünf Fotografien herauslesen, daneben liegt Em´kal Eyongakpas aufgeschlagenes Künstlerbuch mit einer Sammlung von Fotografien, Textfragmenten und Skizzen, das laut Pressetext nichts weniger als „ein vielschichtiges Gebäude zwischen den Welten des afrikanischen und europäischen Kontinents konstruiert“.

Em’kal Eyongakpa, BE-side(s) work- Em’kal Eyongakpa, friends and traces, 2014-2009, Künstlerbuch, 2014. Courtesy der Künstler und Boîte Editions, Lissone (IT)

Em’kal Eyongakpa, BE-side(s) work- Em’kal Eyongakpa, friends and traces, 2014-2009, Künstlerbuch, 2014. Courtesy der Künstler und Boîte Editions, Lissone (IT)

Schon hier ahnt man es bereits: Diese Ausstellung lebt von großen Worten. Weder ist ersichtlich, wie Lorenz Helfer in seinen Zeichnungen „Ansichten des Mata Atlantica (atlantischer Regenwald an der Ostküste Brasiliens) mit Landschaftsbildern aus Österreich in Zusammenhang“ bringt, noch wird das Versprechen eingelöst, dass Monira Al Qadiri „lokale Bildproduktionen in Kuwait während des Golfkrieges mit VHS Aufnahmen von brennenden Ölfeldern mit religiösen und endzeitlichen Aussagen zur Natur im Fernsehen der damaligen Zeit in Verbindung bringt“ – vor allem sieht man lodernde Flammen in miserabler Bildqualität. Zwar ist in Tracey Rose´ Video ein klares ökologisches Thema erkennbar („Rettet unsere Fische. Esst Bananen“ lautet der Titel), Debora Maria da Silva und Clara Ianni recherchieren zentrale Geschichtsmomente für ihre Videos. Aber diese Beiträge stellen uns vor ein Dilemma, das für die gesamte Ausstellung gilt: Was sind Fakten, wo beginnt die Fiktion, wieviel Subjektivität spielt in die Weltsichten hinein, die da präsentiert werden? Wir können die Behauptungen kaum überprüfen, zumindest nicht im Moment der Betrachtung. Als was sollen wir dann solche Werke anschauen – als Reportage mit Wahrheitsanspruch? Oder als Kunst, und d.h. eben auch die Möglichkeit einer Doku-Fiktion. Als Kunst übrigens müssen dann auch Fragen nach künstlerischer Qualität gestellt werden – ein Aspekt, den diese Ausstellung offenbar gänzlich ausklammert, anders wäre das steile Gefälle nicht zu erklären.

Installationsansicht, Arbeiten vlnr: Em’kal Eyongakpa, mutumbu na me (rhythm is me), Video, 2013, und BE-side(s) work- Em’kal Eyongakpa, friends and traces, Künstlerbuch, 2014 , im Hintergrund: Lorenz Helfer, Minha Floresta, 2016, Öl auf Papier. Foto: Lisa Rastl © Akademie der bildenden Künste Wien

Installationsansicht, Arbeiten vlnr: Em’kal Eyongakpa, mutumbu na me (rhythm is me), Video, 2013, und BE-side(s) work- Em’kal Eyongakpa, friends and traces, Künstlerbuch, 2014 , im Hintergrund: Lorenz Helfer, Minha Floresta, 2016, Öl auf Papier. Foto: Lisa Rastl © Akademie der bildenden Künste Wien

Gerade diese Beobachtung ist in überambitionierten Kuratorenprojekten häufig zu machen.  Offenbar scheint die Frage nach Qualität viele schlicht nicht zu interessieren. Auch gut – aber an einer Akademie kommt diesem Aspekt eine ganz besondere Bedeutung zu: Was vermittelt eine solche Ausstellung den Studierenden der Fachbereiche Kunst? Theorieunterbau statt Qualität – wie wird ein solche, hier zudem stark Ideologie-lastige Ausstellung wahrgenommen? Es spricht nichts dagegen, diese in den 1990er Jahren entwickelte Praxis weiterzuführen. Aber es fragt sich, wie ein so strikt nur darauf aufbauendes Ausstellungsprogramm an einer Kunstakademie sich auf die angehenden KünstlerInnen auswirkt – besonders, wenn dabei Qualitätsfragen wohl keine Bedeutung zukommt. Entwickeln Studierende Werke für solche Projekte, sehen sie darin ihren künstlerischen Weg? Es ist interessant, gerade im universitären Bereich Alternativmodelle zum kommerziellen Kunstmarkt auszuprobieren. Aber besteht hier nicht die Gefahr, dass solche kuratorischen Schlagwortpuzzle allzu einseitig beeinflussen, vielleicht sogar exkludierend und damit kontraproduktiv wirken?

Weiterleben. In anderen Worten über Leben?, Akademie der bildenden Künste Wien, bis 8.1.2016