Wieviel Gruppe ist in Gruppenausstellungen?

28. Aug. 1992 in Ausstellungen

Anlässlich der Ausstellung Oppositionen & Schwesterfelder in der Wiener Secession 1992 stellte sich mir die Frage, wieviel Gruppe überhaupt in einer Gruppenausstellung ist. Der Text erschien als Teil der Ausstellung in der Künstler-Zeitschrift A.N.Y.P. (minimal club):

I.
Bei allen Benennungs- und Beschreibungsversuchen zur Ausstellung Oppositionen & Schwesterfelder in der Wiener Secession taucht immer wieder ein Problem auf: daß nämlich das suggestive Gewicht ‚alter‘ Begriffe zu Störungen beim Beschreiben aktueller Zustände führt. Begriffe sind Klassifikationsprinzipien, die im Benennen schnell verunklären. Das darf nicht dazu verleiten, sich der Anstrengung des Begriffs zu entziehen. Bei der Kategorie ‚Gruppenausstellung‘ drängen sich zwei solcher Begriffe in den Vordergrund: ‚Gruppe‘ und ‚Medium‘.

II.
Ausstellung, Katalog und die aktuelle Ausgabe von A.N.Y.P. sind verschiedene Medien von Oppositionen & Schwesterfelder“ – A.N.Y.P. als bereits vorhandenes und auch unabhängig von der Ausstellung publizierte Jahreszeitschrift. ‚Medien‘ benennt eine vermittelnde Position, was für die Ausstellung und für A.N.Y.P. nicht zutrifft, für den Katalog nur teilweise. ‚Medien‘ muß durch ‚Räume‘ ersetzt werden, denn jeder dieser drei Bereiche ist ein eigenständiger Ereignisplatz, der sich nicht in der Funktion des Vermittelns erschöpft.

Gemeinsam ist diesen ‚Räumen‘ im Zusammenhang mit Oppositionen & Schwesterfelder die Grundlage einer Gruppe. Diese Gruppe wird – wie in jeder Gruppenausstellung – für die Dauer von soundsoviel Wochen zu einer sichtbaren Gemeinschaft. Die Frage ist, unter welchen Parametern ihre gemeinsame Basis – und zwar über die Minimalangabe von einheitlichem Ort und Zeit hinausgehend – entsteht. Grundlage der Behauptung ‚Gruppe‘ ist Kommunikation, was sowohl für die Ausstellung (Vorbereitungen und Aufbau inkludiert) als auch für die Publikationen gilt. Zunächst einmal ist es eine externe Setzung, ausgerichtet auf kollektive, nicht notwendigerweise gemeinsame Ziele. Bereits gebildete und durch einen Namen gekennzeichnete Gruppen dagegen fassen ihre Ausstellungen unter dem Gruppennamen (also markttechnisch als Einzelausstellung) zusammen, womit die Grundstruktur weniger durch die Bezugsgrößen (Ort, Anlaß) als durch soziale Bedingungen vorgegeben ist.

III.
Kunsthistorische Rückblicke auf die Avantgarde-Bewegungen schreiben der Gruppenbildung eine erhöhte Durchsetzungsfähigkeit zu. Obwohl sich viele Gruppen kurz nach der Gründung wieder aufgelöst haben, bleibt dieser Mythos unangetastet. Für die Struktur von Ausstellungen ist dies insofern relevant, als mit diesem Mythos gearbeitet wird. Der Begriff ‚Gruppe‘ ist eine markttechnisch brauchbare Hilfe – zur Durchsetzung einzelner Positionen. Der Kommunikationswert wird zum Warenwert. Kommunikation, als grundlegender Prozeß zur Bildung von sozialen Systemen, wird zum Äquivalent für Kapital. Beides wird als wertgleich identifiziert. Daraus soll keine moralisierende Anklage erhoben, sondern die Voraussetzung bestimmter Entwicklungen von Gruppenausstellungen erklärt werden.

Die Gruppe in Gruppenausstellungen dagegen entsteht nicht aus einer internen Entscheidung, sondern als Ergebnis einer organisatorischen Wahl: mehr als ein Künstler. Hier stehen  nicht auch außerhalb des Ausstellungsrahmens relevant Kommunikationsleistungen zur Debatte, sondern verschiedene Einzelpositionen. Oder Produktpakete. Das organisatorische (Kurator-)Konzept kann dabei so mächtig werden, daß es die präsentierten Arbeiten verdeckt. Ob es sich dabei um eine nationale Überblicksausstellung wie z.B. „Amerikanische Kunst“ oder ‚Deutsche Kunst in Paris‘ handelt, oder um Vereinheitlichungen aufgrund der Präsentationsform – Malerei etwa – ist gleichgültig.

Als Kunstkritikerin bringen mich solche Veranstaltungen in die Situation, nicht über die Ausstellung, noch weniger über die vorgeführte ‚Gruppe‘, sondern nur noch über das Ausstellungskonzept schreiben zu können. ‚Mehr als 40 Künstler‘, ‚über 60 Werke‘ etc. sind übliche Formulierungen in den Presseerklärungen zu (spektakulären) Gruppenausstellungen. Naheliegenderweise reagieren Kritiker auf diese Vorgaben mit der Suche nach allem, was dabei ausgelassen wurde. In der Wiener Malerei-Ausstellung Der Zerbrochene Spiegel blieb mir nichts anderes übrig, als das Konzept als Konzept zu überprüfen – eine Übereinstimmung oder negativ gesagt Illustration des Konzeptes nachzuziehen ist unergiebig, Auswahlkriterien zu erraten müßig und die einzelnen Positionen bestimmend werden zu lassen ist unmöglich. Eine Kommunikationsstruktur ist nicht sichtbar. Eher das merkwürdige Phänomen, daß gerade MalerInnen ihr Genre als Genre zu behaupten suchen – indem das Verbindende eben die Präsentationsform, unter Ausschluß anderer Präsentationsformen, ist.

IV.
In der Soziologie wird zur Beschreibung von Gruppenstrukturen von ‚Investition‘ gesprochen. Engagement in Gruppen als Investition für gemeinsame Zielsetzungen, d.h. auch des Weges. Gemeinsam erarbeitete Zusammenhänge bringen gegenseitige Verpflichtungen, z.B. zur Aufrechterhaltung eines sozialen Systems – woran viele der Avantgarde-Gruppen scheiterten. Die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung eines solchen Systems, einer Gruppe, wird über Institutionen geregelt. Sie bilden sozusagen die ‚Investitionsgarantie‘, d.h. sie vermitteln Werthaltungen, die in Verhaltensweisen umgesetzt werden, von denen her umgekehrt wieder eine Speisung gesellschaftlich-kultureller Werte in ihrer organisatorischen Form erfolgt.

Diese Bestimmung gilt für Kunstausstellungen an dem Punkt der Institutionen nicht mehr. Eher umgekehrt: die Investitionsgarantie muß in bzw. aus der Gruppe heraus erbracht werden. Institutionen, d.h. gesellschaftlich anerkannte (und starre) Einrichtungen sind Orte, die über Ausstellungen repräsentiert sind, die Ausstellung oder die Gruppe dadurch umwertend. Beim Beispiel der ‚Konstruktivistischen Internationale‘, einem Versuch, internationale Künstlergruppen künstlerisch und wirtschaftlich zu organisieren, hat gerade dieses Paradox zum unmittelbaren Scheitern bereits der ersten gemeinsamen Konferenzen geführt. Ein ‚Miteinander‘ kann in der Kunst nicht im Rahmen von Institutionen aufgebaut, gefordert oder geführt werden, da hier ein Verdinglichungsmechanismus des Austausches eintritt.

Sowohl die organisatorische als auch die inhaltliche Struktur von Gruppenausstellungen spielen um die Frage des ‚Miteinander‘. `Miteinander‘ heißt, dem symbolischen Kapitalwert einer Ausstellung einen sozialen Kommunikationswert hinzuzufügen. Aus den separierten Ateliersituationen heraustreten, das Potential einer Publikation als gemeinsames Produkt benutzten, die Ausstellungsstruktur besprechen, um dort dann das Label ‚Gruppe‘ verbindlich werden zu lassen. Verbindlich z.B. in Hinblick auf Veränderungen der Ausstellungsstrukturen bzw. von Kommunikation.

V.
Den Wert Gruppenausstellung mit einem über die temporäre Ausstellungssituation und markttechnische Belange hinausgehendem Kommunikationswert zu ergänzen, wird z.Z. auf verschiedene Weisen ausprobiert. Die Einladung aller Beteiligten im Vorfeld der Ausstellung Oppositionen & Schwesterfelder nach Wien hatte ich in diesem Sinne ausgesprochen. Obwohl damit die grundlegende Setzung, von außen eine ‚Gruppe‘ zu bilden, übergangen ist, war es ein Versuch, die Tür für ein ‚Miteinander‘ zu öffnen. ‚Miteinander‘ klingt nach sonnigem Idealismus, nach schulisch verordneter Teamarbeit – was auch nicht fern liegt. Denn solange dieser Versuch, durch eine gemeinsame Planung Arbeitsteilung, traditionelle Prozesse und Wege anzugreifen, institutionell gerahmt ist, solange bleibt es ein Schulklasseneffekt. Nach dem Klingeln löst sich die Gruppe auf. Trotzdem meine ich, daß es unbedingt solcher Versuche an den verschiedenen Voraussetzungen von Gruppenausstellungen bedarf, um die Verdinglichungsmechanismen (von Kommunikation) dieser Einrichtung aufzulösen.

In Justin Hoffmanns Münchner Ausstellung Kollektive Prozesse 1 z.B. trafen sich die Künstler-Kollektive vorab, um die Ausstellungsbeiträge zusammen zu besprechen und damit den Kommunikationsbeginn nicht erst auf die Aufbau-Zeit zu verschieben. Der Ausstellungstitel gibt nicht nur eine Schnittmenge zwischen den Teilnehmern an, sondern verweist auch auf die Ausstellungsstruktur, ohne sich als großer Hut über die Präsentationen zu legen.

VI. In der Ausstellung, dem Katalog, der Zeitung im Zusammenhang mit Oppositionen & Schwesterfelder können Außen- mit Innenorientierungen verbunden werden, was zu einer persönlichen Orientierung und d.h. Handlungsentschlossenheit führen kann. Der ‚aktuelle Zustand‘, der bei den Begriffen ‚Medium‘ und ‚Gruppe‘ gemeint ist, basiert auf einer handlungstheoretischen Sicht: daß nicht (was systemtheoretisch wäre) die Ordnungsaspekte bzw. Integrationsprobleme von Gruppenausstellungen auf ein System gemeinsamer Werte und Normen reduziert wird. Das reproduziert und gewährleistet die Regelhaftigkeit sozialen Handelns. Stattdessen richtet sich mein Interesse auf Veränderungsmöglichkeiten, die sich in Prozessen der gegenseitigen Verhaltensanpassung ergeben. Für Gruppenausstellungen heißt das, sich nicht nur mit dem Warenwert ‚Kommunikation‘ zufrieden zu geben, sondern darüber kunstwelt-interne und gesellschaftliche Bezugsgrößen und Bedingungen mitzustrukturieren. Dafür bedarf es nicht notwendigerweise der Bildung einer Gruppe, denn solche Kommunikationsprozesse laufen auch in temporären Situationen entlang sozialer Strukturen. Und nur über kommunikative Prozesse ist es möglich, die Bedingungen für Gruppenausstellungen so zu verändern, daß sich die Benennung ‚Ereignisplatz‘ nicht unter repräsentierenden Funktionen verliert.