Wozu Ausstellungen? Sponsoring & Spektakel (1992)

27. Mrz. 1992 in Ausstellungen

I. Unternehmenskultur
Gemeinsam die Erlebniswelt Kunst erschließen“ – dieser Titel zierte die Ankündigung der „1.KulturManagerKonferenz„(1). Auf der Tagung selbst erwiesen sich die angekündigten „Kulturmanager“ nicht als Spezialisten aus der Kulturbranche, sondern als Marketing-Experten, die über die Einsatzmöglichkeiten von Kunst/Kultur beraten. Ihr Thema: Kunstsponsoring.
Als bevorzugtes Format erwies sich dafür schnell die Kunstausstellung, um über Themen und Titel Gemeinsamkeiten zwischen den Sponsoren und Veranstaltern herzustellen. Denn anders als manche Mäzene wollen Sponsoren keinen Einfluß auf die Kunstgeschichte ausüben, sondern suchen Synergien. „Sponsoring als integratives Element der Unternehmenskommunikation“ – gemeinsam erleben? Die große Plane CI (Corporate Identity) schafft die Gemeinsamkeiten: „Kultur und Unternehmenskultur“, „Banken als Kunstmanager“, „Stadtmarketing mit Kunst und Kultur“. Dem integrationssuchenden Referatsthema des Leiters der Abteilung Förderprogramme IBM Deutschland stehen dann übrigens die Stichworte des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine e.V. nebenan: „Haben die Kunstvereine ein eigenes Konzept?“ „Ausstellungen, genügt das?“ „Wirtschaft und Kunst“. Läßt sich daraus erahnen, wohin das Referat die versammelten „Führungskräfte aus Industrie- und Handelskammern und Werbeagenturen“ – die explizit mit dieser Konferenz angesprochen wurden – hinführt?

II. Sponsoring-Botschaften
Ein Münchener Marketing-Experte formulierte die Notwendigkeit des Sponsorings derartig, daß die Wirtschaft sich an „Problemlösung gesellschaftlicher Bereiche“, z.B. der Kunst, beteiligen solle, und zwar vornehmlich auf der Basis des marktwirtschaftlichen Prinzips. „Speziell mit dem Kultur- bzw. Kunstsponsoring ist eine reale und gewünschte Demonstration gesellschaftlicher Verantwortung mit einer entsprechenden Beeinflussung des Unternehmens-Image möglich.“ Das ist ein klares Statement: es geht um ein Verantwortungsbewußtsein, daß die unternehmens-internen Verbindlichkeiten ausklammert. Wo es stattdessen lokalisiert ist? „Sponsoring-Botschaften werden als integraler Bestandteil erlebnisreicher Freizeitsituationen wahrgenommen.“ Die Verantwortung wird im Freizeitbereich demonstriert – Ausstellungen als Freizeitvergnügen, als Verantwortungsdemonstration.

III. Spektakel
Gehört und gelesen werden konnte auf der Tagung, wie militärisch orientiert, nämlich einzig auf Strategien und Territorien gezielt, geplant wird. Sicher nichts neues, aber Eingangsbedingung, um über Ausstellungen als Informationsform und -ort zu reden. Und Ausstellen ist Informieren. Gezeigt werden allerdings nicht nur die sichtbaren Dinge, sondern auch die abwesenden, die Sponsoren und deren Absichten/Interessenslagen, die nicht-ausgestellten Künstler und damit die internen Bewertungskriterien.
Ausstellungen sind bewertungsproduzierende Räume. Hier werden Zulassungen sichtbar, die von Themen über Namen bis zu Werten reichen. Abgrenzung zwischen Hoch- und Trivialkultur findet hier statt, ebenso wie die wertkonstituierende Unterscheidung zwischen Repräsentation und Interaktion, zwischen passiver und aktiver Teilnahme.
Ist demnach von Ausstellungen als Informationsräume über Kunstproduktion, über Werke, überhaupt noch zu reden? Nicht eher von Sichtbarwerdungen der Strategien? Zwei namhafte Beispiele, die letzten beiden Mega-Ausstellungen: „Bilderstreit“ und „Metropolis“. Beide Spektakel präsentierten Werke, die aufmerksamen Beobachtern des Betriebes bereits bekannt waren. Ein Informieren über Werke kann dort kaum das Anliegen gewesen sein – stattdessen Sichtweisen der Werke? Oder das Präsentieren der eigenen Informiertheit, und das reicht von theoretisch-konzeptuell über Präsentationsweisen bis zum richtigen Namen an richtiger Stelle. Als Argument kommt an dieser Stelle meist der Verweis auf die Bedeutung der Kombinationen – ein Legitimationsversuch, der kaum haltbar ist. Denn die Künstler und Werke solcher Ausstellungen sind bereits seit Jahren in ein und demselben Kontext – in Zeitschriften z.B. – kombiniert und präsentiert worden. Neuerungen im Informationswert einzelner Werke über visuelle Nachbarschaften und (kon)textuelle Zugaben im Ausstellungs-Rahmen vorzunehmen, enthüllt sich meist als Ausrede für Name-dropping-Präsentationen.

IV. Laboratorien
Das erste Ausstellungs-Modell ist das des Spektakels, der Sportveranstaltung. Das andere ist das aus dem prozessualen kommende Modell des Labors. Ausstellungen als Informationsräume sind ein derartig offen angelegtes Konzept, daß sich hier Experimente oder Laboratorien – ein sich gerade wachsender Beliebtheit erfreuendes Wort – fast schon aufdrängen. Labor: Das kann mediale Selbstreflexion über in den architektonischen Räumen parallel laufende Aktivitäten bis zu ausgebauten textuellen Räumen (Plakat, Katalog, Namens- und Erläuterungstafeln etc.) umfassen. Als Konzept ist dieser Begriff schon lange aus Jean-Christophe Ammanns Statements bekannt, wird jetzt aber auch an gänzlich anderer Stelle innerhalb des Institutionen-Betriebes – Helmut Draxler – und außerhalb bzw. an der Peripherie – Gestaltung – herangezogen. „Laboratorium der Zivilisation“ heißt die neugeplante Werkbundakademie, wo „die Frage des Gebrauchs – über die Kategorie passiver Gebrauchsfähigkeit hinaus – als Element aktiver Umformung der Lebenswelt gestalterisch neu“(2) thematisiert wird. Etwas weniger utilitaristisch formuliert, gilt dasselbe für Labor-Ausstellungen. Statt auf passive, kontemplative Wahrnehmung – auf Spektakel in Hochkulturgewand – wird auf aktive Teilnahme hin konzipiert. ‚Aktiv‘, d.h. z.B. mit Beuys „Kunst = Denken“, heißt: auf Wahrnehmung soll ein verbindliches Denken folgen.
Innerhalb einer Ausstellung kann die Experimentierfreudigkeit im Sinne einer offenen Organisationsstruktur konkretisiert werden. Institutionell ungebundene Ausstellung bieten die Möglichkeit, rhizomatische Situationen zu bilden. Als weder personell noch örtlich festgelegte Ereignisse sind Kontext und Erwartung variable Größen. Die Informationsorte – architektonische, ideologische und textuelle Räume – können weitgehend frei bestimmt werden. Für „Labor“-Ausstellungen bedeuten nicht-institutionelle Orte größere Offenheit – z.B. für kunst-externe Anbindungen. Für die Sponsoring-Situation ist der gewählte Ort von Nebeninteresse – solange die Bedeutung des Standortes und eine ordentliche politisch-gesellschaftliche Einordnung gewährleistet ist, steht dem nichts im Wege. Für die Spektakel-Ausstellungen scheint der Ort kunstimmanent und finanzierungs-technisch gleichfalls von Nebenbedeutung zu sein: „Bilderstreit“ im Kölner Museum, „Einleuchten“ in Hamburgs Deichtorhallen, „Metropolis“ im Gropius Bau in der zukünftigen Hauptstadt. Und „documenta“ als fest eingerichtetes Informations-Spektakel: zu viel zum tatsächlichen Sehen, genug, um die Gastronomie- und Hotelbranche zu erfreuen, zu wenig, um Veränderungen auszulösen.

V. Geschichte der Ausstellungen
Die letzte Verortung von Ausstellungen wird in den gesellschaftlichen Raum plaziert. Kunstausstellungen präsentieren als eine Konventionsform des gesellschaftlichen Bildungsvergnügens bürgerliches Selbstverständnis. Kunstinterne Entwicklungen und politische Veränderungen gehen hier immer parallel. In der frühen Form von Kunstausstellungen wurden die Kunstwerke als ‚Dinge‘ betrachtet, die ihre Bedeutung über die Einbindung in einen größeren Zusammenhang – kirchlichen, festlichen oder merkantilen – erhielten. Später (17.Jh.) entwickelten sich die Ausstellungen zum Teil des gesellschaftlichen Lebens, zunächst eng gebunden an das Leihgeberwesen, zur Ausschmückung von höfischen Festen. Ausstellungen dienten nicht nur dem Adel als Rahmenbildung. Auch das aufstrebende  Bürgertum schmückte – Kirche und Adel folgend – die eigene Lebenssphäre mit Kunstgut aus, um den bürgerlichen Besitz- und Bildungsanspruch zu manifestieren.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts tritt die repräsentative Funktion der Kunst hinter dem ästhetischen, das einzelne Werk als Selbstzweck setzenden Verständnis zurück. Die sich daraus ergebenden freien (nicht-eingebundenen, ohne Vorab-Zensur zusammenkommenden Salon-)Ausstellungen werden im 20. Jh. zu einem auf Autonomie-Forderungen basierenden System. Spätestens seit den 60ern ist dieser Autonomie-Anspruch als illusionäre Forderung aufgegeben und stattdessen sind – idealiter – politisch-gesellschaftliche Aspekte in die Kunst und in die Ausstellungen explizit eingebunden.
Im Modell des gesellschaftlichen Raumes finden sich Ausstellungen als Barometer und Werkzeug genutzt: Mit dem aktuell und schnell reagierenden Ausstellungsleben wird das kulturpolitischen Prestige gestärkt und politischen Veränderungen Ausdruck gegeben, Standort-Qualitäten gehoben, der Fremdenverkehr angekurbelt, Kunstmoden gesteuert, Kultur-Leitbilder gesetzt und (Kultur-)Grenzen kontrolliert.

VI. Produktionsstätten
All diese Funktionen benötigen allerdings die textuellen Räume. Ausstellungen als Bedeutungsproduktions-Stätten bzw. Bedeutungsübernahmen können nicht auf das Ausgestellte aufbauen, sondern bedürfen der Vermittlung – der Einbettung in textuelle Systeme (Katalog, Zeitschriften, Erläuterungsschilder). Ausstellen heißt auswählen und hervorheben, womit Begriffe wie ‚Relevanz‘ und ‚Qualität‘ einhergehen. Eigenschaften, die den Werken – und Strategien? – auf sprachlicher Ebene beigegeben werden. Im textuellen Raum entstehen auch die aufgebauten Vergleichssituationen und die Rahmenbedingungen. Die von Ausstellungen initiierten Diskurse können die Rezeption der Werke grundlegend verändern. Stellt sich in Ausstellungen schon per se die Frage der Verkörperung von Besitzverhältnissen, so ist dies durch textuelle Eingriffe leicht zu lenken. Dann werden die Ausstellungsobjekte zu Repräsentanten: der Galerien, des Sammlers, des Reichtums einer Stadt/eines Sponsors. Und ‚Reichtum‘ muß dabei nicht unbedingt monitärer bestimmt sein, kann ebenso auch kulturelle Schätze oder, damit verbunden, Reichtum an gesellschaftlicher Verantwortung bedeuten.
Ausstellungen sind Vermittlungsformen für Werte und Eigenheiten, die durch den Ausstellungszusammenhang vorgegeben sind: Hier erhalten Objekte den Status von Kunst; hier werden die Werke als Produkte eines von Arbeit und Konsum getrennten Bereichs definiert, die durch den Wert der reinen visuellen Freude vom Kommerz befreit sind. Im Ausstellungssystem – und das gilt auch für die Laboratorien – ist die Trennung vom Alltagsraum vorgenommen. Eine Trennung, die vornehmlich auf textueller Ebene (Schilder, Kataloge etc.) stattfindet, auf visueller Ebene (und dazu gehören nicht nur die Kunstwerke, sondern auch ‚Rahmenerscheinungen‘ vom Wärter über Souvenir-Ecken bis zu Katastrophenplänen) dagegen kaum zu halten ist. Die ‚Laboratorien‘ allerdings beginnen, Beiträge, die nicht unter dem Begriff ‚Ausstellungsstück‘ zu fassen sind, als gleichzubehandelnde Informationen zu setzen. Dazu gehören Architektur, Publikationen, Verkaufs- und Bewachungssituationen, Vorträge, Filme und im idealsten Falle die Fortsetzung in (Kunst-)Zeitschriften. Und die Ausdehnung der Ausstellungstätigkeit in den nicht-institutionellen Raum hinaus.

VII. Fazit
Die drei imaginierte Modelle zeigen Räume, in denen Kunstpräsentationen verortet sind. Ausstellungen finden nicht nur im und durch die präsentierten Werke statt. Die dort initiierte Repräsentation und auch Kommunikation geht weit über den Rand der Objekte hinaus. Implizit ist z.B. die Verantwortung über den Informationsgehalt, was sowohl kunstimmanente wie politisch-gesellschaftliche Informationen beinhaltet.
Ausstellungen als Spiegel von Entwicklungen und Strategien sind Anlaß zur Notwendigkeit von Laboratorien. Umgekehrt ist die einfache Sichtweise, die Kunst als einen vom Alltag (und d.h. Arbeit) räumlich und inhaltlich getrennten Bereich zu betonen, Hauptanliegen der gutgesponserten Spektakel-Ausstellungen. Das Marketing-Interesse von Philipp Morris und American Express, Großausstellungen wie ‚documenta‘ (was allerdings fehlschlug, da Philipp Morris aus dem documenta-Sponsoring wieder ausgeschlossen wurde) oder Rembrandt zu finanzieren, basiert auf der Gleichsetzung von Kunst und Freizeit-Erlebnis. Das Spektakel führt zur Passivität, die initiierte ‚Gemeinsamkeit‘ zieht keine Handlung, sondern Harmlosigkeit nach sich. Experimentelle Ausstellungen dagegen konfrontieren mit der Forderung nach verbindlichem Denken, mit Handlungs-Konsequenz.

(1) Diese Konferenz unter dem Thema ‚Kulturmarketing‘ fand im Februar in Köln statt, veranstaltet vom „Kognos Institut„, angeboten für zahlungsfreudigste Interessenten.
(2) Bernd Meurer, Laboratorium der Zivilisation, in: werk und zeit, Deutscher Werkbund e.V., Frankfurt, 39.Jahrgang, 4.Quartal 1991
veröffentlicht in: Kunstzeitschrift ARTIS, Zürich, 3/1992