Eigentlich sollte es einer der Höhepunkt des Jubiläums 150 Jahren diplomatische Freundschaft zwischen Österreich und Japan sein. Dann aber wendete sich die japanische Botschaft plötzlich von der Ausstellung Japan Unlimited im Wiener Museumsquartier ab. Waltete dort doch nicht ausreichend „Feingefühl und Diplomatie“, um anhand der Werke von 19 KünstlerInnen „brisante Aspekte der japanischen Gesellschaft“ zu thematisieren, wie es Kurator Marcello Farabegoli formulierte? Offenbar, denn japanische Blogger lösten in den letzten Tagen einen gewaltigen shitstorm aus. Sie orten eine anti-japanische Haltung in den Werken.
Dabei ist Japan Unlimited zwar spannend, gbit einen überraschenden Überblick über japanische Gegenwartskunst, ist aber für unsere Verhältnisse weitgehend harmlos: die Performance-Gruppe Chim Pom zeigt eine riesige gelbe, an das Pokemon Pikachu erinnernde „Superratte“, um über Resistenzentwicklung und Kontamination zu sprechen; Sputniko! präsentiert eine Menstruationsmaschine und der einzige Nicht-Japaner Edgar Honetschläger zeigt sein Video „L+R“.
Schon zur Eröffnung Ende September hatte er gewarnt: „Mein Video kann Probleme erzeugen“. Er lebte 12 Jahre in Japan und kennt die Situation dort sehr genau, er weiß um die vielen Tabuthemen wie Nacktheit, die Reaktorkatastrophe Fukushima, Kritik am Kaiserhaus und an der Politik. Trotzdem lässt er einen Rapper in seinem Video offen über Staatspropaganda zur Durchsetzung von neuen Atomkraftwerken rappen und sogar eine Rede des Kaisers vorlesen. Aber es hat nicht ihn getroffen. Ins Visier der japanischen Hassposter kam dagegen das Video von Makoto Aida. Denn da entschuldigt sich ein an den amtierenden japanischen Premierminister Shinzo Abe erinnernder, kabarettistischer Schauspieler für völkerrechtliche Verbrechen – wozu auch die sogenannten „Comfort Women“ gehören: asiatische Frauen, die im Dienste der japanischen Armee während des 2. Weltkrieges zur Sexarbeit gezwungen wurden.
Lange war dieses Thema in Japan tabuisiert und wurde bis vor vier Jahren von amtierenden Politikern nicht anerkannt – von manchen bis heute nicht. Anfang August hatte es gerade auf der japanischen Aichi Triennale zu einem Skandal geführt: Ausgerechnet aus der nach Zensur fragenden Sektion After Freedom of Expression? musste das Werk des koreanischen Duos Kim Seo-kyung und Kim Eun-sung über „Comfort Women“ entfernt werden. Hassposter hatten über Twitter einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Artikel 21 der japanischen Verfassung garantiert eigentlich die Nichteinmischung von Autoritäten und soll Zensur verhindern. Trotzdem wurde die Sektion geschlossen. 72 der insgesamt 90 Biennale-KünstlerInnen unterzeichneten daraufhin einen offenen Brief gegen diese Zensur, zehn zogen sogar ihre Werke in Solidarität zurück. Zwei Monate später, fünf Tage vor Ende der Triennale, eröffneten die Sektion mit sämtlichen Werken zwar wieder – für wenige, über eine Lotterie ausgewählte Besucher. Aber die Konsequenzen bleiben weiterhin spürbar: Ein Teil der bereits zugesagten, zukünftigen Förderungen der Triennale wurden gestrichen – laut Japan Times immerhin 720.000 Dollar, was 11 Prozent des Gesamtbudgets ausmacht. Denn Steuergelder sollten nicht für „anti-japanische Propaganda“ benutzt werden, wie die Politiker argumentierten.
Jetzt geht die Geschichte also in Wien weiter. Dort stürzt sich die japanische Social Media-Meute nicht nur auf Aidas Video wegen der „anti-japanischen“ Aussagen. Es trifft auch Yoshiko Shimadas Werke, die zusammen mit BuBu de la Madeleine eine Fotografie von General Doulgas MacArthur und dem japanischen Kaiser von 1945 nachstellte.
Und Chim Pom, die in einer Performance offen von Radioaktivität sprechen – noch eines der Tabu-Themen. Auch der aus Italien stammende Kurator Marcello Farabegoli geriet ins Visier, er erhielt Drohungen und wird absurderweise als Mitglied der italienischen Untergrundorganisation Rote Brigaden diffamiert. Bis zu 500.000 follower haben manche dieser Hassposter auf Twitter, das mache durchaus Angst, erklärt er im Gespräch. Die Folge der Aktionen: die japanische Botschaft in Wien ist eingeknickte. Eine „erneute Prüfung“ habe ergeben, dass Japan Unlimited dem „Zweck, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Japan zu fördern“, nicht entspreche, hieß es im Schreiben der Botschaft vom 30. Oktober. Die offizielle Anerkennung als Teil des Jubiläums werde entzogen.
Aber wieso startete der shitstorm und damit die Botschaft erst jetzt, fünf Wochen nach der Eröffnung? Gewöhnlich reagieren die selbsternannten Tugendwächter in den sozialen Medien unmittelbar auf ihnen nicht genehme Kunstwerke. So geschah es auf der Aichi Triennale, jüngst auch auf der Karachi Biennale. In der pakistanischen Stadt hatte die renommierte, in New York lebende Künstlerin Adeela Suleman 440 Grabsteine aufgestellt, jede in Erinnerung an eine unschuldig durch Polizisten erschossene Person – innerhalb nur eines Jahres vom Team eines einzigen Offiziers, Rao Anwar. Nur Stunden nach der Eröffnung forderte eine Gruppe die Entfernung von The Killing Fields of Karachi, in der Nacht wurde ein Großteil zerstört. Offenbar eingeschüchtert distanzierte sich daraufhin das Biennale-Team in einem offenen Brief von der Installation und der Künstlerin, was zu einer Welle der Empörung in der Kunstszene führte. „Viel Glück beim Zeigen von Landschaften und botanischen Stilleben in der nächsten Edition“, schreibt einer auf Facebook – wird das die Zukunft der Kunst in Zeiten wütenden social media-Horden sein?
Können entfesselte Hassposter tatsächlich bestimmen, wie kritisch Kunst sein darf? Oder sind medial losgetretene Aktionen vielleicht gezielt gelenkt und im Dienste rechter Parteien instrumentalisiert? Anders als in Aichi und Karachi sind die Folgen in Wien jedenfalls positiv: Es wurde nichts zensiert, nichts zerstört. Im Gegenteil: die schwache Haltung der japanischen Botschaft bringt Japan Unlimited eine unerwartete, internationale Medienaufmerksamkeit.
veröffentlicht in: NZZ, 18.11.2019
Japan Unlimited, Frei Raum Q21, Wien, 26.9.-24.11.2019