SBV: Was bedeutet der Vorschlag der Wirtschaftsprüfer KPMG, Schloss Morsbroich zu schließen und die Sammlung zu verkaufen, für die Zukunft der Museen? Können Häuser ohne Spektakelausstellungen überhaupt noch existieren?
STEPHAN BERG, Direktor Kunstmuseum Bonn: Man kann das so erbarmungslos sehen, aber ich bin nicht ganz so pessimistisch. Was stimmt: Häuser, die nicht in der Eventlogik mitmachen wollen oder können, drohen marginalisiert zu werden. Erschwerend kommt hinzu, dass das mediale Echo praktisch nur noch bei den Ausstellungen passiert, die von vornherein als Blockbuster angelegt sind. Weder die FAZ noch die Süddeutsche sind in der Lage oder willens, die interessanten Projekte, die es im Land gibt, besprechen zu lassen, weil die Redaktionen in den Feuilletons der gleichen Logik unterliegen wie die Blockbuster-Museen. Die Tatsache, dass KPMG empfiehlt das Museum Morsbroich zu schließen und die Sammlung zu verkaufen unterstützt diese These. Da wird ein Museum einer rein ökonomischen Betrachtung unterzogen und nur die Einschaltquote betrachtet, ohne die spezifische Identität und Eigenlogik eines Museums zu beachten – die eben auch nach rein ökonomischen Kriterien nicht evaluierbar ist.
SBV: Gibt es da keinen Ausweg?
STEPHAN BERG: Wir sind in einer sehr schwierigen Situation. Jeder, der heute rein inhaltliche oder fachliche Kriterien verfolgt, gerät in die Defensive. Als städtisches Institut gerät man schnell in den Verdacht des Elitären, wenn man als Direktor das versucht zu machen, weswegen die Institutionen gebaut wurden: Sammlungen vorantreiben, auf die Logik der Sammlung mit Projekten reagieren, Positionen präsentieren, auf die man einen neuen Blick werfen kann – all das wird aber schnell als ein Versagen ausgelegt. Wir wollen natürlich nicht zurück zu der Museumsarbeit der 1960er Jahre, in die damals nur nach innen gewendete Elfenbeinturm-Situation. Ich bin ja in meiner Begeisterung für Gegenwartskunst intrinsisch motiviert, und will all das was wir nach innen tun, so druckvoll wie möglich nach außen vermitteln. Und wir müssen doch auch sehen, dass gerade im Vermittlungsbereich in den letzten 30 Jahren da auch massiv was passiert ist. Bis hin zu dem Punkt, wo die Didaktisierung so massiv geworden ist, dass sie den Besuchern völlig das Denken abnimmt und durch Säle schleust, wo man die Wandtexte liest und dann nur noch kurz die Kunstwerke dazu abnickt.
SBV: Welche Rolle spielen die Museen denn heute?
STEPHAN BERG: Es werden immer mehr Museen gebaut, die dann als Teil des Stadtmarketings fungieren, als Ausstellungsmaschinen. Der Name Museum soll nur als Begriff Identität stiften, seine Inhalte sind dagegen zunehmend nicht mehr gefragt. Das erzeugt eine große Verunsicherung. Einerseits steht in meinem Anstellungsvertrag, dass ich die Sammlung auf der Basis der letzten 60 Jahre lebendig fortentwickeln soll, und Projekte entwickeln soll, die zur Identität des Hauses und dem Profil der Sammlung passen. Was Öffentlichkeit und Politik von mir andererseits fordern, sind aber nicht diese, die museale Eigenlogik bedienenden Projekte, sondern das Gegenteil davon. In diesem Spagat noch irgendwie vernünftig zu agieren, ist schwierig. Ich versuche die Vorwärtsverteidigung, indem ich betone, wie wichtig Häuser mit einer spezifischen Identität sind, die nur möglich ist durch ein Reflektieren auf die Traditionen, Ursprünge, in unserem Fall auf den rheinischen Expressionismus, Malerei und Bildbefragung, woraus sich bestimmte Konsequenzen ergeben, die man weiterentwickeln kann. Ich behaupte tapfer, dass sich daraus ein konsistentes Programm ergibt, das über eine Perspektive von fünfzig Jahren dann auch seine Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit beweisen kann. Kurzfristig innerhalb von Wahlperioden ist man mit dieser Entscheidung gegenüber den Häusern mit Eventlogik allerdings im Nachteil. Aber es gibt leichte Zeichen, dass der Zwang zum Event nachlässt. Klaus Biesenbachs Ausstellung von Björk im MOMA in New York 2015 erhielt ja massive Kritik, da wurde der Schritt hin zu Pop und Glamour nicht mehr akzeptiert.
SBV: Ist die Diskussion um die Schließung von Museum Morsbroich nicht ein gegenteiliges Signal?
STEPHAN BERG: Das macht tatsächlich Sorge. Ich dachte schon vor Jahren, dass ein Kunstverein, eine Kunsthalle leicht geschlossen werden kann. Aber ein Museum? Da gibt es die Sammlung, das Depot, da ist zu viel Substanz. Diese Unantastbarkeit ist sehr brüchig geworden. Der gesellschaftliche Konsens darüber, dass ein Museum unser kollektives kulturelles Gedächtnis ist, das eine Sammlung zusammengehalten werden und der Logik der Ökonomisierung entzogen sein muss, den gibt es wohl nicht mehr. Das KPMG Gutachten und die Gespräche mit Stadtkämmerern zeigen, dass heute eine ganz nüchterne Perspektive herrscht. Es wird zunehmend schwierig, sich dagegen zu stemmen. Wenn die Hamburger Kunsthalle die Türen aufmacht, Licht anschaltet und Bewachung in die Räume stellt, produziert sie schon ein Defizit in Höhe von einer knappen Million Euro pro Jahr, weil der Zuschuss für das Haus seit Jahren strukturell zu niedrig angesetzt ist. Viele Flaggschiffhäuser der Bundesländer sind finanziell so miserabel ausgestattet, dass sie weder in ihrem operativen Bereich mit Ausstellungen und Veranstaltungen, noch bei Ankäufen handlungsfähig sind – sie sind weitgehend auf private Hilfe, also Fördervereine angewiesen. Die sind wichtig und toll, bestimmen gegebenenfalls aber auch die Ankaufspolitik mit. In dem KPMG-Gutachten heißt es denn ja auch in schöner zynischer Offenheit: Das Museum hat eh schon lange kein Ankaufsetat und könne sich ja eh nicht mehr weiterentwickeln – eben darum wäre es besser, es ganz aufzugeben.
SBV: Dasselbe gilt ja für das KPMG-Argument der Besucherzahlen: von 16.000 sind nur 3000 Zahltickets – vor allem, weil die Schulklassen kostenlosen Zugang haben!
STEPHAN BERG: Dem Haus wird das zum Vorwurf gemacht, was politisch zumindest früher gewünscht wird. Die relativ geringen Eintrittsgebühren und die Ausrichtung nach der städtischen Gebührenordnung, die vielen Gruppen freien oder ermäßigten Eintritt gewährt, sind ja politisch vorgegeben und insofern gewollt. Das Operieren mit solchen Zahlen ist daher wenig aussagekräftig.
SBV: Da packt das Handwerkszeug der Wirtschaftsprüfer nicht …
STEPHAN BERG: … genau! Aber es ist ja die Stadt selbst, die diese Agentur beauftragte. Viel besser wäre es zu fragen, mit welcher Logik man bei einem Abfallamt und mit welcher bei einem Museum vorgeht, welche langfristige Strategie für eine Stadt man verfolgen will. Bei diesen Beratern steht ja von vornherein das Ergebnis fest. Man müsste sich mal vorstellen, eine Kulturberatung würde die deutsche Industrie auf die Tiefe ihres ästhetischen Profils hin durchleuchten. Das Ergebnis wäre, dass alle Unternehmen defizitär sind! Dass KPMG in Morsbroich einen Kostendeckungsgrad von 12 % ermittelt und lauthals fordert, das müsse gesteigert werden, ist völlig absurd, weil es in Deutschland kaum ein Museum gibt, das einen deutlich höheren Kostendeckungsgrad hat – auch das ist nämlich als Ermöglichung eines schwellenniedrigen Zugangs zur Kunst politisch so gewollt worden! Insofern ist es die logische Konsequenz daraus, wie Museen gegründet und öffentlich alimentiert werden. So ist die Kulturlandschaft angelegt worden. Man kann ja sagen, das war falsch – aber man darf doch nicht die Häuser dafür verantwortlich machen!
SBV: Das klingt alles sehr aussichtslos?
STEPHAN BERG: Wenn man die Situation systematisch betrachtet, stimmt das. Aber noch kann man das ändern, wenn man vor Ort mit konkreten Personen redet und klärt, dass ästhetische Kategorien nicht rücksichtslos durchgerechnet und rein ökonomisch bewertet werden kann. Aber die Gesamtentwicklung zeigt in eine deprimierende Richtung, zumal es in Deutschland durch die förderale Struktur eine hohe Versorgung mit Kultur gibt. Ich will nicht die Diskussion führen, die Christiane Lange von der Staatsgalerie Stuttgart öffentlich angestoßen hat, dass kleine Museen geschlossen werden sollen, damit die großen überleben können. Damit leisten wir nur einer Selbst-Kannibalisierung Vorschub. Aber diese Diskussion zeigt, wie groß die Angst überall ist. 1990 hatten wir in Deutschland 4500 Museen, heute 7000. Darunter sind 750 Kunstmuseen, davon allein für das 20. und 21 Jahrhundert 110 in Nordrheinwestfalen. Das resultiert auch aus der Struktur, dass der Staat die Kultur finanziert, damit es möglichst viel demokratische Partizipation und Teilhabe von möglichst großen Teilen der Gesellschaft gibt.
SBV: Ist das Gutachten der Wirtschaftsprüfer in Leverkusen für Dich ein Damoklesschwert?
STEPHAN BERG: Es hat ja schon vor vielen Jahren in Bochum die Schließungsdiskussion gegeben, die abgewendet werden konnte. Das Museum Morsbroich ist also nicht der erste Fall, wo man darüber nachdenkt, ein Museum zu schließen, aber wohl der bisher drastischste. 1951 gegründet und über mehr als 60 Jahre ein stolzer, wichtiger Leuchtturm für Leverkusen gewesen, genießt das Haus auch über NRW hinaus einen Ruf als wichtige Institution. In der Härte des Gutachtens und der erbarmungslosen Konsequenz von Schließung und Verkauf liegt eine neue Qualität. Der Rat in Leverkusen stellt sich zwar geschlossen gegen das Gutachten, aber es ist durch alle Feuilletons gegangen und bestimmt in einigen Köpfen von Kämmerern und Politikern eingesickert als reelle Möglichkeit. Den NRW-Kommunen geht es ja teilweise sehr schlecht, vor allem im Ruhrgebiet. In dieser Situation ist Kultur als freiwillige Leistung der Streichposten per se, weil es dafür keine gesetzliche Verpflichtung gibt. Kunstinstitutionen fungieren als gesellschaftlicher Kitt, weil sie Werte und Inhalte produzieren, gerade weil sie sich dem Messbaren entziehen – aber darüber besteht offenbar kein gesellschaftlicher Konsens mehr. Da wird die Politik möglicherweise gar nicht anders können als früher oder später in diese Richtung zu gehen Ich bin mir zwar absolut sicher, dass es in zwanzig Jahren darüber einen großen Katzenjammer geben wird – aber dann ist es zu spät. Diesen Senf wird man nicht mehr in die Tube kriegen.
SBV: Herzlichen Dank für das Gespräch!