Damit hatte niemand gerechnet. Eigentlich war doch längst eine Lösung gefunden: Die Sammlung Essl sollte bis 2044 als Dauerleihgabe an die Albertina gehen. Der vorherige Kulturminister Thomas Drozda hatte zugesagt, dass der Bund die dadurch erhöhten Kosten der Albertina mit 1,1 Millionen Euro pro Jahr ausgleiche. Aber dann wechselte die Regierung und dazu hatte es scharfe Kritik des Rechnungshofs gegeben, da die Wertsteigerung nicht der Republik zugute käme und die Kosten nicht budgetiert seien. Jetzt einigten sich Staat, Albertina und Privatsammler auf eine neue Lösung: 40 Prozent der Sammlung Essl, d.h. 1323 Kunstwerke im Wert von 84-91 Millionen Euro, gehen als Schenkung an die Albertina. Die 60 Prozent im Besitz von Hans Peter Haselsteiner bleiben weiter Dauerleihgabe.
Diesem Schritt geht eine längere Geschichte voraus: Fast zwei Jahrzehnte lang gehörte die Sammlung Essl zu den bekanntesten Privatsammlungen Österreichs. Dank der Baumarkt-Kette Baumax konnte das Ehepaar Karlheinz und Agnes Essl Malerei aus Österreich, Deutschland, zunehmend auch aus Zentral- und Osteuropa bis zu China ankaufen und in ihrem Privatmuseum in Klosterneuburg zeigen. Anselm Kiefer, Sigmar Polke, Maria Lassnig, Georg Baselitz – von einigen dieser heutigen Kunstmarktstars sind größere Konvolute darunter, auch von Martin Kippenberger oder der erst jüngst wiederentdeckten Martha Jungwirth. Aber 2014/15 musste das Unternehmen zerschlagen werden, und das betraf auch die Sammlung. Damals wurde der Buchwert der 7421 Objekte mit 86 Millionen Euro angeben und es wurde dem österreichischen Staat ein Kaufangebot gemacht. Die allerdings lehnten ab. Stattdessen stieg der Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner ein und kaufte 60 Prozent der Sammlung. 40 Prozent blieben im Familienbesitz der Essls. 2014 wurden 44 Werke bei Christie´s versteigert. Ursprünglich sah der damalige Deal vor, dass das Museum in Klosterneuburg erhalten bleiben sollte. 2016 wurde es geschlossen.
Jetzt also trennt sich die Familie komplett von ihrer Sammlung und gibt ein „gewaltiges Vermögen aus der Hand“, wie Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder sagte, um gleich die Gegenleistung seines Hauses anzufügen: „Dauer“. Denn die Albertina verpflichtet sich, die Sammlung zu bewahren, wissenschaftlich aufzuarbeiten und auszustellen. Explizit ausgeschlossen werden jedwede Verkäufe – ob darin auch einer der Gründe für die radikale Lösung auf Seiten der Essls liegen mag? Denn Sammlungsmitinhaber Haselsteiner ließ in den letzten Jahren rund 300 Werke verkaufen, um den Ankaufskredit zurückzuzahlen – ein smartes Geschäftsmodell! Und ein Modell, dass weitreichende Konflikte vermuten lässt. Am Ende steht jetzt die Trennung, Haselsteiner war bei der Pressekonferenz in der Albertina nicht einmal anwesend.
Wie aber wurde der 40-60-Besitz geteilt? Schröder spricht von einer „fairen Realteilung“, an der zeitweise bis zu 50 Mitarbeiterinnen seines Hauses „unter strengster Verschwiegenheit“ beteiligt gewesen wären: Die Albertina habe sich alle „als museal eingestuften Werke“ sichern können, während der Rest bei Haselsteiner bleibt. Ob Schröder mit dem allzu oft betonten „museal“ ein Schönreden in Abgrenzung zu „hoher Kunstmarktwert“ erfunden hat? Der größte Teil der Schenkung stammt von österreichischen Künstlern (608 Werke), 269 von Internationalen, 310 von internationalen Fotografen, ein Konvolut von 75 Werken aus Gugging und 35 von Aboriginals. Überaschenderweise findet sich nur ein einziges Werk von Anselm Kiefer darunter, keines von Sigmar Polke (von dem 2008 14 Werke zu sehen waren), nichts von Anish Kapoor. Waren in der Ausstellung „Baselitz bis Lassnig“ 2008 stolze 21 Werke von Baselitz im Essl Museum ausgestellt, sind in der Schenkung nur 8 vorhanden, von den 8 damals ausgestellten Werken Gerhard Richters ist keines in der Albertina gelandet, von Julian Schnabel nur eines. Die vollständige Schenkung ist online einsehbar: http://sammlungenonline.albertina.at/essl
Ob einiges davon schon verkauft wurde? Immerhin hatte Haselsteiner dafür eigens eine Mitarbeiterin angestellt, die mit der Dauerleihgaben-Absprache sang- und klanglos zur Albertina-Kuratorin wurde. Ob sie jetzt weiterhin verkaufen wird? Schröder beteuert, dass Haselsteiner zwar weiter veräußern darf, aber nur, um „Lücken in seiner Sammlung“ zu füllen – die er selbst geschaffen hat? Wie auch immer: Haselsteiners Sammlungsbesitz steht noch bis 2044 als Dauerleihgabe der Albertina zur Verfügung, wofür das Museum heuer 800.000, im nächsten Jahr 850.000 Euro vom Bund an zusätzlichem Budget erhält. Wie es dann weitergeht, wird neu verhandelt werden müssen, betonte Kulturminister Gernot Blümel – eine Formulierung, die er gerne und auch für die Zukunft des Hauses der Geschichte benutzt. 2019 wird das große Verhandlungsjahr? Gezeigt werden soll die Sammlung Essl im Künstlerhaus Wien, dass mehrheitlich der Haselsteiner Stiftung gehört, die auch die 40 Millionen teure Renovierung und die laufenden Betriebskosten von 700.000 Euro jährlich übernehmen: die Stiftung beauftragt dafür das eigene Unternehmen – wieder ein profitables Geschäftsmodell! Gelagert wird die Sammlung im leerstehenden Essl Museum, dessen Depot gerade für 2.5 Millionen Euro renoviert wurde. Und was passiert mit diesem Haus in Klosterneuburg? Laut Vertrag darf es kein Essl Museum mehr geben. Er schaue sich verschiedene Alternativen an, erklärte Karlheinz Essl, „die Räume sind ja wunderschön“.
veröffentlicht in: NZZ, 20.10.2018