Problembewusstein auf der 6. Taipeh Biennale 2008

27. Sep. 2008 in Biennalen

Taipeh Museum

Taipei Fine Arts Museum // SBV

 

 

Lauter Fahnen schwingende Pappkameraden bevölkern die Eingangshalle des Taipei Fine Arts Museums, von der Decke hängen riesige Banner und auf dem Boden liegen massenhaft mehrsprachige Manifest-Zettel, die für „errorism“ plädieren. Es ist eine wilde Begrüßung, mit der uns hier die 6. Taipeh Biennale als älteste, internationale Biennale Asiens empfängt.  Als einer der ersten „Tigerstaaten“, reich geworden mit den „Made in Taiwan“-Billigprodukten, leistete sich der Inselstaat bereits 1992 die Gr0ßveranstaltung.
Zur 6. Taipeh Biennale jetzt weiten die beiden Kuratoren Manray Hsu (Taipei/Berlin) und Vasif Kortun (Istanbul) die Ausstellung erstmals aus dem Museum in den Stadtraum aus – und dies nicht nur räumlich mit den Beiträgen in U-Bahn-Stationen und der Brauerei, sondern auch inhaltlich. Denn nicht weniger als sämtliche Problemzonen des jungen Jahrtausend stehen hier zur Debatte: Migration, Globalisierung, Mikro-Nationen, Krieg und die Möglichkeiten, darauf und dagegen zu reagieren.

Vasif Kortun (l), Manray Hsu (r)

Internacional Errorista, Taipeh 2008

Künstler, politische Aktivisten und Künstler-Aktivisten mischen sich in Zustände ein, „Internacional Errorista“ plädieren für die Macht der Fehler, Burak Delier setzt sich mit seiner „Counter Attack“ für eine indigene Bevölkerungsgruppe ein, Oliver Ressler stellt eine Ausstellung rund um Anti-Globalisierungs-Strategien zusammen und am Tisch der Künstlergruppe IRWIN können wir einen „NSK“-Pass beantragen. Welch unverhoffte Dienste dieses Dokument schon leisten konnte, davon erzählen Passinhaber in den großen Videoprojektionen.

Irwin

 

Jun Yang, Taipeh 2008

 

Projekt ´Vorschlag für ein Zentrum Zeitgenössischer Kunst in Taipeh´, Jun Yang

Überhaupt ist Video das vorrangige Medium dieser enorm zornigen 6. Taipeh Biennale 2008. Zwar können wir in Superflex´ Installationen Kartoffeln mit dem Hammer zermatschen, aber meist müssen wir passiv wahrnehmen: Wir hören die von Mario Rizzi dokumentierten, tragischen Geschichten von Immigranten in Taiwan, verfolgen Wei Lius Scheitern beim Versuch, mit chinesischen Studenten über das Tian´anmen-Massaker zu sprechen und werden von der glatten Ästhetik der vier „Smash the Ghetto“-Videos der spanischen Künstlergruppe „Democracia“ geblendet.

Superflex, Taipeh 2008

Unter den 8 asiatischen Biennalen dieser Saison ist dies die sicherlich engagierteste Ausstellung. Anders als in Shanghai werden hier nicht Einzelpositionen platziert, nicht wie in Gwangju ´the best-off´ präsentiert, keine regionale Szene wie in Singapur gefördert. Genau genommen geht es hier gar nicht um Kunst, jedenfalls nicht um eine Kunstmarkt-Kunst. Hier soll das Publikum aufgerüttelt werden. Während der Eröffnung postulierten die Kuratoren, dass die durchschnittlich 150.000, hauptsächlich lokalen Besucher aus dieser Biennale verändert herauskommen werden. Neue Tendenzen und globale Höhepunkte sind auf den mehr und mehr parallel stattfindenden Kunstmessen besser aufgehoben. Dagegen soll hier ein Problembewusstsein geschaffen werden – eine Aufgabe, für die Biennalen in ihrem Spagat zwischen internationalem Anspruch und lokaler Adressierung perfekt geeignet sind.

Ausstellungsort Brauerei

 

Wong Hoy Cheong, Lichtkästen in U-Bahn-Station

 

Nevin Aladag, Projektin Arena

Taipei Fine Arts Museum, 13.9.2008 – 1.4.2009

Publiziert in: NZZ, 27.9.2008,  http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur_und_kunst/zornig-und-problembewusst-1.932674